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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Glaube, Toleranz; Antwort zu Assmann; Thesen religionsgeschichtliche nicht haltbar; Athanasius von Alexandrien; Aurelius Cotta; Sokrates: Dialog mit Eutyphron -> Widersprüchlichkeit des Seins


Kurzinhalt: Wir können festhalten: Götter waren keineswegs immer friedlich austauschbar ... Die Wahrheitsfrage ist nicht erst von »Mose« erfunden worden. Sie stellt sich notwendig ein, wo das Bewußtsein eine gewisse Reifung erlangt.

Textausschnitt: 175a Damit kehren wir zu Assmann zurück. Wie ist das nun mit dem »Deus sive natura«, mit der Verträglichkeit der Götter, die nicht nach Wahrheit fragen, mit der Befreiung von der Unterscheidung zwischen Sünde und Gutem? Wie lebt sich das? Wie »wahr« ist das? Denn - Assmann trägt ja seine Thesen als Wissenschaftler vor, und so muß an sie jedenfalls die Frage gerichtet werden, ob sie wahr sind. Und er rät uns einen Weg. So muß auch gefragt werden, ob und wie man darauf gehen kann. Wenn wir in die tatsächliche Geschichte der polytheistischen Religionen hineinsehen, so erscheint das Bild, das er davon - ziemlich vage übrigens - andeutet, selbst als ein Mythos. Zunächst einmal sind schon die polytheistischen Religionen unter sich sehr verschieden. Nicht wenige kennen in irgendeiner Form im Hintergrund den einen Gott, der wirklich Gott ist. Im Buddhismus und in Teilen des Hinduismus wie auch in späten Formen des Platonismus erscheinen die Götter als Mächte einer Welt, die als ganze nur Schein oder jedenfalls nicht das Letzte ist und übersprungen werden sollte, wenn man wirklich zum ganzen Heil gelangen möchte. Die These, die polytheistischen Götter seien durchaus untereinander vertauschbar und daher Wege interkultureller Verständigung, kann sich auf die Religionspolitik des Imperium Romanum stützen, aber sie entspricht keineswegs der Geschichte des Polytheismus im allgemeinen.1 Es genügt, Homer zu lesen, um sich an die Kriege der Götter zu erinnern und daran, daß die menschlichen Kriege als Spiegelungen und Folgen der Kriege der Götter angesehen worden sind. Es ist erhellend zu lesen, was in diesem Betreff Athanasius von Alexandrien - ein Ägypter also, der durchaus noch die Zeit der Götter erlebt hatte - zu sagen hat: »Einstens, als man die Anbetung der Götter praktizierte, lieferten sich Griechen und Barbaren den Krieg und erwiesen sich grausam ihren eigenen Blutsgefährten gegenüber. Es war praktisch unmöglich, die Erde oder das Meer zu befahren, ohne seine Hände mit dem Schwert zu bewaffnen angesichts der unbeendlichen Kämpfe untereinander. Sie brachten ihr ganzes Leben unter Waffen zu; das Schwert stand anstelle des Stabes und nur so konnten sie sich helfen. Obwohl sie - wie gesagt - den Göttern opferten, half ihnen ihre Ehrfurcht vor den Göttern nichts, um diese Mentalität zu korrigieren.«2 Athanasius sieht in der Bekehrung der Völker zum Christentum die Prophetie des Jesaja erfüllt, die Schwerter würden zu Pflugscharen umgeformt (Jes 2,4), und sagt dazu: »Diese Prophezeiung hat nichts Unglaubliches an sich. Solange die Barbaren mit ihren von Natur aus wilden Sitten ihren Göttern opferten, erbitterten sie sich gegeneinander und konnten nicht eine Stunde ohne ihre Schwerter bleiben. Aber als sie die Lehre Christi annahmen, verließen sie sogleich den Krieg, um sich dem Ackerbau zuzuwenden, und anstatt ihre Hände mit dem Schwert zu bewaffnen, erhoben sie sie zum Gebet - kurz, statt untereinander Kriege zu führen, bewaffnen sie sich gegen die Teufel und gegen die Dämonen und siegen über sie durch Maßhaltung und die Tugenden der Seele.«3 Gewiß - diese Schilderung ist apologetisch stilisiert und schematisiert. Aber Athanasius mußte durchaus mit Lesern rechnen, die die Zeit vor der christlichen Mission erlebt hatten, und konnte nicht einfach seiner Phantasie freien Lauf lassen. Als Entmythologisierung des Bildes von der so friedlichen Welt der Götter reichen seine Aussagen aus, wie immer man im einzelnen ihren historischen Gehalt beurteilen mag. (Fs)

177a Wir können festhalten: Götter waren keineswegs immer friedlich austauschbar. Sie waren genauso oft, ja häufiger Grund gegenseitiger Gewalt; auch das Phänomen, daß die Götter der einen Religion zu Dämonen der anderen wurden, ist bekannt. Übrigens stellt die Bibel selbst durchaus realistisch den Ägyptenträumen des murrenden Israel die ägyptische Realität gegenüber: Das reale Ägypten war nicht ein Land der schönen Freiheit und des Friedens, sondern ein »Sklavenhaus«, ein Land der Unterdrückung und der Kriege gewesen. Aber nun müssen wir einen weiteren Schritt tun. Die polytheistischen Religionen sind nicht eine statische Realität, die es einmal als in sich wesentlich identische Größe gab und die man nach Wunsch wiederherstellen könnte. Sie sind durchaus einem geschichtlichen Prozeß unterworfen, den wir in der Spätantike besonders anschaulich beobachten können. Die Mythen, die anfänglich die Erfahrung der Welt und des Lebens ausdrücken, die im Kult gelebt und in der Poesie gestaltet werden, verlieren - gerade im Zug ihrer konkreten Formung - immer mehr ihre Glaubwürdigkeit. Die Entwicklung der griechisch-römischen Antike zeigt uns exemplarisch den Vorgang, daß das sich ausweitende Bewußtsein unausweichlich immer nachdrücklicher die Frage stellt, ob das Ganze denn wahr sei. Die Wahrheitsfrage ist nicht erst von »Mose« erfunden worden. Sie stellt sich notwendig ein, wo das Bewußtsein eine gewisse Reifung erlangt. So etwas wie die Wittgenstein'sche Fiktion (wenn ich die eben angedeutete Theorie des Spiels, der Relativierung aller Religionen so nennen darf) bietet sich dann als ein Lösungsversuch ganz von selber an. Die griechisch-römische Antike liefert klassische Beispiele dafür. Christian Gnilka hat in seinem wichtigen Buch »Chresis« das Einbrechen der Wahrheitsfrage in die Welt der antiken Götter und die Begegnung des Christentums mit dieser Situation eingehend geschildert. Bezeichnend für diesen Vorgang ist die von Cicero beschriebene Gestalt des römischen Pontifex maximus C. Aurelius Cotta, der in seiner Funktion als Augur und Chef des Collegium Pontificum die heidnische Religion von damals vertritt. Seiner Funktion gemäß trat Cotta für die gewissenhafte Wahrung der Riten des öffentlichen Kultes ein und erklärte, er werde die von den Vorfahren ererbten »Vorstellungen« (opiniones) über die Götter verteidigen und sich nie davon abbringen lassen.4 Aber zu Hause im Freundeskreis erweist sich derselbe Cotta als akademischer Skeptiker, der die Frage nach der Wahrheit stellt. Er möchte nicht aufgrund bloßer Annahme, sondern gemäß der Wahrheit überzeugt werden und kommt dabei zu dem Ergebnis, es stehe zu befürchten, daß es die Götter gar nicht gebe. »Das Kriterium der Wahrheit, in die antike Götterwelt eingeführt, wirkt wie ein Sprengsatz«, stellt Gnilka fest.5 Assmann selber hat dargestellt, wie diese Schizophrenie zu einer vom Staat verteidigten Fiktion geführt hat: Für die nicht Eingeweihten bleiben die Götter als staatstragende Notwendigkeit bestehen, während die Eingeweihten deren Nichtigkeit durchschauen.6 (Fs)

178a Die Wahrheitsfrage war aufgebrochen bei den Vorsokratikern und hat bei Sokrates ihre größte Form gefunden. Um den ganzen Tiefgang der Frage zu sehen, mag es hilfreich sein, wenigstens einen kurzen Blick auf Sokrates zu werfen. Für das Einbrechen der Wahrheitsfrage in die Götterwelt scheint mir besonders der kurze Dialog mit Eutyphron hilfreich, dem Priester, der noch ganz in den Mythen und ihrer sorgsamen Ausführung im Kult gefangen ist, sich aber im Dialog mit Sokrates immer mehr in Widersprüche verwickelt. Schließlich muß Eutyphron auf das bohrende Fragen des Sokrates hin zugeben, daß das Nämliche von den Göttern gehaßt und geliebt wird. Auf die Frage »So wäre nach dieser Richtung das Fromme und das Unfromme das Nämliche, Eutyphron?« antwortet er notgedrungen: »So verhält es sich.«7 Hier sind wir an einem sehr wichtigen Punkt angelangt. Sokrates hatte auf den Krieg der Götter untereinander verwiesen. Guardini kommentiert dazu: »Alles ist göttlich. Überall sind Mächte und jede gehört zum Dasein ... Alle Mächte gehen in der Einheit der Welt auf, die selbst das Letzt-Göttliche ist und sämtliche Widersprüche umfaßt ... Daß sie kämpfen müssen, bildet die notwendige Tragik ...«8 Das bedeutet: Die Gleichsetzung »Deus sive natura«, die Rücknahme der Mosaischen Unterscheidung, bedeutet nicht die Allversöhnung, sondern die Unversöhnbarkeit des Alls. Denn nun ist das Sein selbst widersprüchlich, der Krieg kommt aus dem Sein selbst, gut und böse werden letztlich ununterscheidbar. Die antike Tragödie ist Seinsdeutung auf dem Grund der Erfahrung der widersprüchlichen Welt, die Schuld und Scheitern unausweichlich hervorbringt. Hegel hat in seinem System der sich in dialektischen Schritten entfaltenden Idee im Grund diese Weltsicht wieder aufgenommen und freilich ihre Versöhnung in der alles umgreifenden Synthese als Zukunftshoffnung und damit zugleich als Lösung der Tragik darzustellen versucht. Die christliche eschatologische Orientierung ist hier mit der antiken Vision der Einheit des Seins verschmolzen und scheint nun beides in sich »aufzuheben« und damit alles zu erklären. Aber die Dialektik bleibt grausam und die Versöhnung nur scheinbar. In dem Augenblick, in dem Marx die Hegel'sche Spekulation in ein konkretes Konzept zur Gestaltung der Geschichte umsetzt, wird diese Grausamkeit sichtbar, und wir sind Zeugen ihrer ganzen Grausamkeit geworden. Denn jetzt ist es nun einmal so, daß die Dialektik des Fortschritts, praktisch gesprochen, ihre Opfer verlangt: Damit die Fortschritte, die die Französische Revolution erbrachte, eintreten konnten, mußte man ihre Opfer in Kauf nehmen - so sagt man uns. Und damit der Marxismus die versöhnte Gesellschaft herstellen konnte, waren auch die Hekatomben von Menschenopfern nötig, anders geht es eben nicht: Da ist die mythologische Dialektik in Tatsachen übersetzt. Der Mensch wird zum Spielmaterial des Fortschritts; er zählt nicht als einzelner; da ist er nur Material für den grausamen Gott »Deus sive natura«. Die Evolutions-Theorie belehrt uns desgleichen: Fortschritte kosten etwas. Und die heutigen Experimente mit dem Menschen, der zur Organbank gemacht wird, zeigen uns die ganz praktische Anwendung solcher Ideen, in der der Mensch die weitere Evolution selbst in die Hand nimmt. (Fs)

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