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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Glaube, Vernunft; Israel nach dem Exil: Weisheit (Klammer zw. Gottesgedanke und Weltdeutung), Universalreligion -> Paulus, Septuaginta (Kyrios)

Kurzinhalt: Da ist nun eine Verbindung zwischen Gott und Welt, zwischen Rationalität und Offenbarung, die genau den Postulaten der Vernunft und der tieferen religiösen Sehnsucht antwortete.

Textausschnitt: Der Weg zur Universalreligion nach dem Exil

121a Die 500 Jahre nach dem Exil bis zum Auftreten Christi sind vor allem durch zwei neue Faktoren gekennzeichnet. Da ist zunächst das Aufstehen der sogenannten Weisheitsliteratur und die ihr zugrunde liegende geistige Bewegung. Neben Gesetz und Propheten, aus deren Büchern sich langsam ein Schriftkanon als Maßstab der Religion Israels zu bilden begann, erscheint ein dritter Pfeiler - eben die Weisheit.1 Sie wird zunächst vor allem von den ägyptischen Weisheitstraditionen beeinflußt, läßt aber dann immer mehr auch die Berührung mit dem griechischen Geist erkennen. Hier wird vor allem der Ein-Gott-Glaube vertieft und die Kritik der Götter, die sich schon bei den Propheten zeigt, radikalisiert. Der Monotheismus wird weiter geklärt und gewinnt an rationaler Kraft durch die Verbindung mit dem Versuch eines vernünftigen Verstehens der Welt. Die Klammer zwischen Gottesgedanke und Weltdeutung wird eben im Begriff der Weisheit gefunden. Die Rationalität, die sich in der Struktur der Welt zeigt, wird als ein Reflex der schöpferischen Weisheit begriffen, aus der sie stammt. Die Wirklichkeitsansicht, die sich nun ausbildet, entspricht etwa der Frage, die Heisenberg in den weiter oben berührten Gesprächen formuliert, wenn er sagt: »Ist es völlig sinnlos, sich hinter den ordnenden Strukturen der Welt im Großen ein >Bewußtsein< zu denken, dessen >Absicht< sie sind?«2 In den gegenwärtigen Diskussionen über das Zusammenspiel von Natur und Geist, etwa im Menschen, wird die Frage der Reduktion erörtert: Läßt sich das Phänomen Geist auf Materie reduzieren oder bleibt da ein unerklärbarer Überhang?3 Hier würde man eher von der umgekehrten Sicht sprechen können: Geist ist imstande, Materie hervorzubringen, und ist als der eigentliche Ausgangspunkt der Wirklichkeit anzusehen, von der her sich das Ganze erklärt; bleibt die Frage: ob es nicht einen dunklen Überhang gibt, der sich nicht mehr darauf zurückführen läßt. Die Frage muß gestellt werden, ob eine solche Sicht weniger Wahrscheinlichkeit für sich hat als die von Monod formulierte und in gewisser Hinsicht für das gegenwärtige Denken durchaus repräsentative Meinung, das ganze Konzert der Natur steige aus störenden Geräuschen auf,4 d. h. die Rationalität wäre abkünftig aus dem Irrationalen. Die Sicht der Weisheitsbücher, die Gott und Welt durch den Gedanken der Weisheit verknüpft, die Welt als Reflex der Rationalität des Schöpfers auffaßt, gestattet dann zugleich die Verknüpfung von Kosmologie und Anthropologie, von Verstehen der Welt und Moralität, weil die Weisheit, die die Materie und die Welt aufbaut, zugleich eine moralische Weisheit ist, die wesentliche Richtungen der Existenz ansagt. Die ganze Thora, das Lebensgesetz Israels, wird nun als Selbstdarstellung der Weisheit, als ihre Übersetzung in menschliche Rede und Weisung aufgefaßt. Aus all dem ergibt sich von selbst eine Nähe zum griechischen Geist, einerseits zu Motiven des Platonismus, andererseits zu der stoischen Verknüpfung von göttlicher Deutung der Welt und Moral. (Fs)

122a Die Frage nach dem Überhang des Ungöttlichen, des Irrationalen in der Welt, die wir vorhin berührt haben, nimmt in der Weisheitsliteratur die Form eines dramatischen Ringens mit der Theodizee-Frage an: Die Erfahrung des Leidens in der Welt wird zum großen Thema - einer Welt, in der das Recht, das Gute, die Wahrheit immer wieder verlieren gegenüber der Skrupellosigkeit der Mächtigen. Dies bringt nun von einem ganz anderen Ausgangspunkt her eine Vertiefung der Moral mit sich, die sich von der Frage des Erfolgs ablöst und gerade im Leiden, im Unterliegen der Gerechtigkeit Sinn sucht. Schließlich erscheint in Ijob die Gestalt des exemplarisch Frommen und zugleich exemplarisch Leidenden außerhalb der Grenzen Israels.5 (Fs)

123a Der inneren Annäherung an die griechische Geisteswelt, an ihre Aufklärung und Philosophie, entspricht dann logischerweise ein zweiter wichtiger Schritt: der Übergang des Judentums in die griechische Welt, der sich vor allem in Alexandrien als dem zentralen Ort der Begegnung der Kulturen vollzogen hat. Der wichtigste Vorgang in diesem Prozeß war die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, deren Grundstock - die fünf Bücher Mose - bereits im dritten Jahrhundert vor Christus gefertigt wurde. Bis zum ersten Jahrhundert hin bildete sich dann ein griechischer Kanon der heiligen Bücher aus, der von den Christen als ihr Kanon des Alten Testaments übernommen wurde.6 Die Bezeichnung dieser griechischen Übersetzung der alttesta-mentlichen Bibel als »Septuaginta« (Buch der 70) beruht auf der alten Legende, die Übersetzung sei das Werk von 70 Gelehrten gewesen. 70 war nach Dtn 32,8 die Zahl der Weltvölker. So mag diese Legende bedeuten, daß in dieser Übersetzung das Alte Testament aus Israel heraustritt und zu den Völkern der Erde kommt. Das war in der Tat die Wirkung dieses Buches, das in seiner Übersetzung in vieler Hinsicht den universalistischen Zug in der Religion Israels weiter akzentuierte -nicht zuletzt im Gottesbild, wenn nun der Gottesname JHWH nicht als solcher erscheint, sondern durch das Wort Kyrios - Herr - ersetzt wird. So wird der geistige Gottesbegriff des Alten Testaments weiter vorangetrieben, was der Sache nach durchaus dem inneren Gefälle der angedeuteten Entwicklung gemäß war. (Fs)

124a Der ins Griechische übersetzte Glaube Israels, wie er sich in seinen heiligen Büchern spiegelte, wurde alsbald zu einer Faszination für den aufgeklärten Geist der Antike, deren Religionen seit der sokratischen Kritik immer mehr ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten. Im sokratischen Denken war aber - im Gegensatz zu den sophistischen Strömungen - nicht der Skeptizismus oder gar der Zynismus oder der bloße Pragmatismus bestimmend; mit ihm war zugleich die Sehnsucht nach der angemessenen und doch das eigene Vermögen der Vernunft überschreitenden Religion aufgebrochen. So geht man einerseits auf die Suche nach den Verheißungen der Mysterienkulte, die aus dem Osten vordringen, andererseits erscheint der jüdische Glaube als die rettende Antwort. Da ist nun eine Verbindung zwischen Gott und Welt, zwischen Rationalität und Offenbarung, die genau den Postulaten der Vernunft und der tieferen religiösen Sehnsucht antwortete. Da ist der Monotheismus, der nicht aus philosophischer Spekulation kommt und darum religiös kraftlos bleibt, weil man nicht die eigenen Denkgebilde, die eigenen philosophischen Hypothesen anbeten kann. Dieser Monotheismus kommt aus ursprünglicher religiöser Erfahrung und bestätigt nun sozusagen von oben her, was das Denken tastend gesucht hatte. Die Religion Israels muß für die besten Kreise der späten Antike eine ähnliche Faszination gehabt haben, wie die Welt Chinas in der Zeit der Aufklärung für Westeuropa, wo man meinte (zu Unrecht, wie wir heute wissen), endlich eine Gesellschaft ohne Offenbarung und Mysterien, eine Religion der reinen Moral und Vernunft gefunden zu haben. So hat sich über die antike Welt hin ein Netz von sogenannten Gottesfürchtigen gebildet, die sich an die Synagoge und ihren reinen Kult des Wortes anlehnten, in der Anlehnung an den Glauben Israels sich mit dem einen Gott in Berührung wußten. Dieses Netz von Gottesfürchtigen gemäß dem griechisch gewordenen Glauben Israels war die Voraussetzung der christlichen Mission: Das Christentum war jene ins Universale geweitete Gestalt des Judentums, in der nun das vollends geschenkt wurde, was das Alte Testament bis dahin noch nicht zu geben vermochte. (Fs) (notabene)

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