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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Glaube, Vernunft; Israel im Exil: Gotte als Schöpfer, der Mensch als gottgemäßes Opfer

Kurzinhalt: Normalerweise ist ein Gott, der sein Land verliert, sein Volk geschlagen zurückläßt und sein Heiligtum nicht zu schützen vermag, ein gestürzter Gott ... Beim Exil Israels geschieht erstaunlicherweise das Gegenteil.

Textausschnitt: Krise und Weitung von Israels Glaube im Exil

119a In der folgenden Entwicklung zum Zwölf-Stämme-Bund, mit der Landnahme, dem Entstehen des Königtums, dem Tempelbau und einer weit ausgefächerten kultischen Gesetzgebung scheint die Religion Israels weitgehend in den Religionstyp des Vorderen Orients einzutauchen. Der Gott der Väter, der Gott des Sinai, ist nun der Gott eines Volkes, eines Landes, einer bestimmten Lebensordnung geworden. Daß das nicht alles ist, daß etwas Besonderes bleibt und in allem Auf und Ab des religiösen Lebens in Israel sich das Eigene, Andere seines Gottesglaubens durchhält, ja weiter ausformt, zeigt sich im Augenblick des Exils. Normalerweise ist ein Gott, der sein Land verliert, sein Volk geschlagen zurückläßt und sein Heiligtum nicht zu schützen vermag, ein gestürzter Gott. Er hat nichts mehr zu sagen. Er verschwindet aus der Geschichte. Beim Exil Israels geschieht erstaunlicherweise das Gegenteil. Die Größe dieses Gottes, seine völlige Andersheit gegenüber den Gottheiten der Weltreligionen tritt hervor, der Glaube Israels gewinnt nun erst seine große Gestalt. Dieser Gott kann es sich leisten, sein Land anderen zu überlassen, weil er an kein Land gebunden ist. Er kann sein Volk besiegen lassen, um es gerade so aus seinen falschen religiösen Träumen aufzuwecken. Er ist nicht auf dieses Volk angewiesen, aber er läßt es in der Niederlage dennoch nicht fallen. Er ist auch auf den Tempel und den darin gefeierten Kult nicht angewiesen, wie es die gemeine Vorstellung ist: Die Menschen ernähren die Götter, und die Götter erhalten die Welt. Nein, er braucht diesen Kult nicht, der in gewisser Hinsicht sein Wesen verdeckte. So erwächst mit einem vertieften Gottesbild auch eine neue Kultidee. Wohl schon seit salomonischer Zeit hatte sich nämlich die Gleichsetzung des Persongottes der Väter mit dem Allgott, dem Schöpfer, vollzogen, den alle Religionen kennen, aber als den für die eigenen Anliegen nicht zuständigen Gott im allgemeinen aus der Verehrung ausgrenzen. Diese im Prinzip vollzogene, wenn auch wahrscheinlich im Bewußtsein bis dahin wenig wirksame Identifizierung wird nun zur Kraft des Überlebens: Israel hat gar keinen Sondergott, sondern es verehrt nur den einen Gott überhaupt. Dieser Gott hat zu Abraham gesprochen und Israel erwählt, aber er ist in Wirklichkeit doch der Gott aller Völker, der gemeinsame Gott, der alle Geschichte lenkt. Dazu gehört die Reinigung der Kultidee. Gott braucht keine Opfer, er muß nicht von den Menschen erhalten werden, weil alles ihm gehört. Das eigentliche Opfer ist der gottgemäß gewordene Mensch. 300 Jahre nach dem Exil, in der ähnlich schweren Krise der hellenistischen Unterdrückung des Tempelkultes, formuliert das Danielbuch: »Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten... weder Brandopfer noch Schlachtopfer... noch einen Ort, um dir die Erstlingsgaben darzubringen und um Erbarmen zu finden bei dir. Du aber nimm uns an! Wir kommen mit zerknirschtem Herzen und demütigem Sinn« (Dan 3,381). Gleichzeitig tritt mit dem Fehlen einer der Macht und Güte Gottes entsprechenden Gegenwart auch das futurische Element im Glauben Israels wieder stärker hervor, oder sagen wir vielleicht besser: die Relativierung der Gegenwart, die nur in einem größeren, den Augenblick, ja die ganze Welt überschreitenden Horizont recht bewältigt und verstanden werden kann. (Fs) (notabene)

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