Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Kultur, Glaube; Unterscheidung des Christlichen; interreligiöses Gebet, Gleichheitsideologie; Bekehrung, Mission; Christus als Maß

Kurzinhalt: Zwischen Gott und Göttern, zwischen personalem und impersonalem Gottesverständnis gibt es keine letzte Vermittlung, so sehr es wahr ist, daß sich auch im Polytheismus wie in der Identitätsmystik Wahrheit findet, ...

Textausschnitt: 82a Im Jahr 1994 veröffentlichten das Amt für interreligiöse Beziehungen des Weltkirchenrates und der Päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog eine gemeinsame Reflexion über das »interreligiöse Gebet«. Ein erstes Studium war einer Umschau in den religiösen Erfahrungen verschiedener Kirchen mit diesem Thema gewidmet. Eine zweite, 1996 durchgeführte Etappe bestand in einer in Bangalore, Indien, gemachten Konsultation, an der eine begrenzte Anzahl von Personen aus »verschiedenen christlichen Überlieferungen« teilnahm, die Erfahrungen mit dem interreligiösen Gebet gesammelt hatten. Einzelne Theologen trugen dort ihre Einsichten und Ansichten vor. Das Ganze schloß mit einem »final Statement«: Findings of an exploratory consultation on interreligious prayer.1 Schließlich hat 1997 in Bose (Italien) eine kleine Gruppe von Theologen aus verschiedenen Kirchen ein Dokument über die theologischen Grundlagen des interreligiösen Betens erarbeitet.2

Während das Dokument von Bose - trotz vieler Fragen, die zu stellen sind - als eine saubere und wirklich weiterführende Arbeit angesehen werden kann, macht der Text von Bangalore auf mich einen beklagenswerten Eindruck von Oberflächlichkeit und Dilettantismus. Nur ein Beispiel dafür möchte ich anführen:

82b Das interreligiöse Gebet wird unter anderem mit der Kategorie der Gastlichkeit (hospitality) gerechtfertigt. Bangalore sagt uns dazu, das interreligiöse Gebet sei nicht nur eine Antwort auf die Anforderungen gewisser Situationen, sondern »Ausdruck unserer Treue zum Evangelium selbst«. Als biblischer Beleg dafür wird Lk 10,7 angeführt: Jesus selbst dränge uns, Gastlichkeit ebenso von anderen zu empfangen als sie zu geben. Dieses Empfangen von Gastfreundschaft beschränke sich nicht auf Essen und Trinken, sondern erstrecke sich auf das, was unseren Nachbarn kostbar ist - Gebet und Gottesdienst.3 Wer nach diesen Behauptungen das Neue Testament aufschlägt und Lk 10,1-12, die Aussendung der 72 Jünger durch Jesus, liest, kann sich ob solcher Exegese nur verwundert die Augen reiben. Jesus trägt den Jüngern auf, den Menschen die Nähe von Gottes Reich durch Wort und Tat (Heilungen) zu verkünden. Bei diesem Dienst haben sie Anspruch auf Gastfreundschaft (10,5-7). »Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist euch nahe. Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag nicht so schlimm ergehen wie dieser Stadt« (10,10-12). Die Sendung der 72 (70 bzw. 72 galt als die Zahl der Völker der Erde) ist eine Vorausdarstellung der nachösterlichen Mission, in der die Jünger gerufen sind, das Evangelium vom Reich zu allen Völkern zu bringen - wobei sich nach Ostern klärt, daß Jesus das Reich in Person ist, die Botschaft vom Reich also ihn zu verkündigen hat. Die Nichtannahme der Boten und ihrer Botschaft steht unter der Drohung des Gerichts. Aus der für die Boten geforderten Gastfreundschaft Kult-und Gebetsaustausch zu machen, hat nun wirklich nichts mit dem biblischen Text mehr gemein. Ein wenig mehr an Seriosität in der Argumentation sollte man erwarten dürfen. (Fs)

83a Aber von solchen Argumentationsproblemen abgesehen geht es im Text um Grundlegenderes, nämlich um die Frage: Wer oder was ist Gott? Wie antworten wir auf ihn? Kennt er uns? Der Bangalore-Text sagt dazu, das interreligiöse Gebet stelle einige wichtige theologische Motive zur Diskussion, »zum Beispiel, was heißt es, wenn wir sagen Gott ist einer? Beten wir alle zu ein und demselben Gott, auch wenn unsere Bilder und unsere Auffassungen (understandings) von Gott verschieden und unterschiedlich sind? Wie wägen wir unsere Lehre von Gott in nichttheistischen Konstellationen?« Wir müssen, so sagt der Text, neue Wege finden, um unseren Glauben im Blick auf den Platz der Religionen in der Heilsökonomie zu artikulieren und über die Kategorien von Exklusivismus, Inklusivismus und Personalismus hinauskommen, kreative Wege finden, um theologisch das Wirken des Geistes in anderen Religionen zu sehen.4 Zugegeben - hier werden keine Thesen, sondern nur Fragen vorgelegt. Aber diese Fragen insinuieren doch, daß die Grenzen zwischen Gott und den Göttern, zwischen personalem und impersonalem Gottesverständnis nicht letztlich unterscheidend sein müssen - daß dahinter doch von allen letztlich das Gleiche gemeint sei. Wir sollen denken, daß der Unterschied zwischen Gott und Göttern, zwischen personalem Gottesbild und impersonaler Identitätsmystik ein Unterschied zwischen Bild- und Begriffsgestalten sei, also ein Unterschied im Vorletzten, der das Eigentliche nicht berührt, weil alle Begriffe und Bilder hinter der unaussprechlichen Wirklichkeit des Absoluten zurückbleiben. Der eigentliche Unterschied - so könnte man schlußfolgern - sei gar nicht derjenige zwischen diesen unterschiedenen Verstehensformen und Bildern, sondern zwischen allem wie auch immer gearteten menschlichen Reden von Gott und der dabei letztlich stets nur von fern in verschiedenen Annäherungen berührten Wirklichkeit des Unbekannten jenseits der Worte. Diese Auffassung hat gerade für den Menschen von heute etwas Faszinierendes an sich; sie scheint auch die größere Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes auszudrücken, die größere Demut des Menschen vor dem Absoluten zu sein und in ihrer alles verbindenden Toleranz sowohl religiös wie denkerisch größer als das Beharten auf der Personalität Gottes als einer unverzichtbaren, aus der Offenbarung kommenden Gabe. Es ist unbestreitbar, daß sich diese Vorstellungen inzwischen, gerade unter Christen, ausbreiten und im »interreligiösen Gebet« zur Praxis werden. (Fs)
84a Ist diese Auffassung wirklich »frömmer« und vor allem: ist sie wahrer? Fragen wir praktisch: Was ändert sich dabei? Was geschieht mit unserem Glauben und Beten? Zunächst einmal: wenn personale und im-personale Gottesvorstellung gleichrangig sind, austauschbar, dann wird das Gebet zur Fiktion, denn wenn Gott kein sehender und hörender Gott ist, wenn er nicht erkennt und nicht mir gegenübersteht, dann geht das Gebet ins Leere. Dann ist es nur eine Form der Selbstbesinnung, des Umgangs mit sich selber, kein Dialog. Es mag dann Einübung ins Absolute, versuchtes Aussteigen aus dem Getrenntsein des Ich in ein Unendliches sein, mit dem ich im Tiefsten identisch bin und in dem ich versinken will. Aber es hat keinen Bezugspunkt, der mir Maß ist und von dem ich in irgendeiner Weise Antwort erwarten dürfte. Mehr noch: wenn ich den Glauben an Gott als »Person« hinter mir lassen darf, als eine mögliche Vorstellungsgestalt neben der impersonalen, dann ist dieser Gott nicht nur kein erkennender, hörender, redender Gott (Logos) - dann hat er erst recht auch keinen Willen. Erkennen und Wollen sind die beiden wesentlichen Inhalte des Begriffs Person. Dann gibt es keinen Willen Gottes. Dann gibt es auch keinen letzten Unterschied zwischen gut und böse: Gut und böse ist dann - wie wir schon sahen - kein Widerspruch mehr, sondern nur noch Gegensatz, in dem beides komplementär zueinander steht. Dann ist das eine wie das andere Wellenschlag des Seins, dann stehe ich unter keinem Maß. Dann aber ist nicht nur irgendein Bild oder ein Begriffsschema geändert, sondern dann ist im Tiefsten alles anders. Wenn aber Gott Person ist, dann ist das Allerletzte und Allerhöchste zugleich das Konkreteste - dann stehe ich unter den Augen Gottes und im Raum seines Willens, seiner Liebe. (Fs) (notabene)
85a Weil es so steht, ist das »Shema Israel« für Israel wie für die Kirche gleichermaßen die unverrückbare Grundlage unserer Existenz: »Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft« (Dtn 6,4f). Für diesen Glauben sind die Märtyrer Israels wie die Märtyrer Jesu Christi gestorben. Das erste Gebot »Du sollst keine fremden Götter neben mir haben« (Ex 20,3; Dtn 5,7) ist nicht nur numerisch, sondern seinem inneren Rang nach das erste Gebot, auf dem alles Weitere steht. Christus hat es in der Versuchungsgeschichte neu lapidar als Fundament christlicher Existenz vor uns hingestellt: »Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen« (Mt 4,10). Zwischen Gott und Göttern, zwischen personalem und impersonalem Gottesverständnis gibt es keine letzte Vermittlung, so sehr es wahr ist, daß sich auch im Polytheismus wie in der Identitätsmystik Wahrheit findet, die im christlichen Glauben einen Platz hat, aber erst dann in ihrer wahren Bedeutung erscheinen kann, wenn zuerst die Unterscheidung des Christlichen geübt und das »Gesicht Gottes« dabei nicht aus dem Blick, nicht aus dem Herzen verloren wird. (Fs)

85b Nur von hier aus, vom Gottesglauben her, kann der Christusglaube der Kirche richtig verstanden werden. Die Einzigkeit Christi ist an die Einzigkeit Gottes gebunden und deren konkrete Gestalt. Christus ist nicht ein - vielleicht besonders beeindruckender - Avatar Gottes, eine der vielfältigen endlichen Erscheinungsformen des Göttlichen, in denen wir das Unendliche zu erahnen lernen. Er ist nicht eine »Erscheinung« des Göttlichen, sondern er ist Gott. In ihm hat Gott sein Gesicht gezeigt. Wer ihn sieht, hat den Vater gesehen (Joh 14,9). Hier kommt es wirklich auf das »Ist« an - es ist die eigentliche Unterscheidungslinie der Religionsgeschichte und gerade so auch die Kraft ihrer Vereinigung. Darum ist die Begegnung mit der Ontologie der Griechen - mit der Frage nach dem »Ist« - nicht eine philosophische Verfremdung des christlichen Glaubens, sondern ihr unerläßlicher Ausdruck geworden. (Fs)

86a Von da aus sind zuletzt noch zwei Grundbegriffe des christlichen Glaubens zu verstehen, die heute geradezu zu verbotenen Wörtern geworden sind: Bekehrung (conversio) und Mission. Heute ist die Meinung fast allgemein geworden, daß man mit Bekehrung nur Umbrüche des inneren Weges, nicht aber den Übergang von einer Religion zur anderen, also auch nicht den Übergang zum Christentum verstehen dürfe. Die Vorstellung der letzten Äquivalenz aller Religionen scheint ein Gebot der Toleranz und der Achtung vor dem anderen zu sein; wenn es so ist, muß man zwar den Entscheid des einzelnen respektieren, der sich zu einem Religionswechsel entschließt, aber Bekehrung darf man dies nicht nennen: Das würde ja dem christlichen Glauben einen höheren Rang einräumen und damit dem Gleichheitsgedanken widersprechen. Der Christ muß dieser Gleichheitsideologie widerstehen. Nicht als ob er sich selber zu etwas Höherem machen würde - keiner ist Christ aus sich selbst, sagten wir; jeder ist es nur durch »Bekehrung«. Aber dies freilich glaubt der Christ, daß uns der lebendige Gott in Christus auf eine einzigartige Weise ruft, die Gehorsam und eben Bekehrung verlangt. Vorausgesetzt ist dabei, daß im Verhältnis der Religionen die Wahrheitsfrage eine Rolle spielt und daß die Wahrheit für jeden eine Gabe und für niemanden Entfremdung ist. Dieser Grundfrage wird der zweite Teil des Buches gewidmet sein. (Fs)

86b Damit ist auch schon das Wesentliche zum Begriff »Mission« gesagt. Wenn die prinzipielle Gleichheit der Religionen gilt, dann kann Mission nur eine Art von religiösem Imperialismus sein, dem man widerstehen muß. Wenn uns aber in Christus eine neue Gabe, die wesentliche Gabe - Wahrheit - geschenkt ist, dann ist es Pflicht, sie auch dem anderen anzubieten, in Freiheit natürlich, denn anders kann Wahrheit nicht wirken und liebe nicht sein. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt