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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Christentum - Weltreligionen: Religionsstifer (Ostasien) - Propheten; Bildmystik - Wortmystik

Kurzinhalt: Abraham, Isaak, Jakob, Mose erscheinen mit all ihren Schlichen und ihrer Schläue, mit ihrem Temperament und ihrer Neigung zur Gewaltsamkeit zumindest recht mittelmäßig und armselig neben einem Buddha, Konfutse oder Laotse, ...

Textausschnitt: 34b
b) Des weiteren wird von dem gezeichneten Grundansatz her der auffällige Unterschied verständlich, der die Patriarchen und Propheten Israels von den großen Religionsstiftern Ostasiens unterscheidet. Wenn man die Träger des Bundesgeschehens in Israel den religiösen Persönlichkeiten Asiens gegenüberstellt, kann einen zunächst ein eigentümliches Unbehagen überkommen. Abraham, Isaak, Jakob, Mose erscheinen mit all ihren Schlichen und ihrer Schläue, mit ihrem Temperament und ihrer Neigung zur Gewaltsamkeit zumindest recht mittelmäßig und armselig neben einem Buddha, Konfutse oder Laotse,1 aber selbst so große prophetische Gestalten wie Hosea, Jeremia, Ezechiel machen bei einem solchen Vergleich keine ganz überzeugende Figur. Das ist eine Empfindung, die schon die Kirchenväter beim Aufeinandertreffen von Bibel und Hellenismus bewegte. Wenn Augustinus, der die Schönheit der Wahrheit in Ciceros Hortensius entdeckt und lieben gelernt hatte, die Bibel, nach der er griff, unwürdig fand, mit der »tullianischen Würde« zusammengebracht zu werden, so verbarg sich genau hier der Schock eines solchen Vergleichs: Vor der Erhabenheit mythischen Denkens erscheinen die Träger der Geschichte des Glaubens beinahe pöbelhaft.2 Anderen Kirchenvätern ging es nicht anders: Marius Victorinus hatte hier seine Schwierigkeit, Synesios von Kyrene desgleichen, und wenn man die umständlichen Reinwaschungsbemühungen in den David-Apologien des heiligen Ambrosius liest, spürt man dieselbe Frage und eine gewisse Hilflosigkeit dazu, die mit solchen Gedanken gewiß nicht überwunden wird. Den »Skandal« zu bestreiten hat hier keinen Sinn, er öffnet vielmehr erst den Zugang zum Eigentlichen. Religionsgeschichtlich gesehen, sind Abraham, Isaak und Jakob wirklich keine »großen religiösen Persönlichkeiten«.3 Das wegzudeuten hieße genau den Anstoß wegdeuten, der auf das Besondere und Einzigartige der biblischen Offenbarung hinführt. Dieses Besondere und Ganz-Andere liegt darin, daß Gott in der Bibel nicht wie bei den großen Mystikern geschaut, sondern als der Handelnde erfahren wird, der dabei (für das äußere und innere Auge) im Dunkeln bleibt. Und dies wiederum liegt daran, daß hier nicht der Mensch in eigener Aufstiegsbemühung durch die verschiedenen Schichten des Seins durchstößt auf die innerste und geistigste und so das Göttliche an seinem eigenen Orte auffindet, sondern es gilt das Umgekehrte: daß Gott den Menschen mitten in den weltlichen und irdischen Zusammenhängen sucht, daß Gott, den von sich aus niemand entdecken kann, auch der Reinste nicht, seinerseits dem Menschen nachgeht und in Beziehung zu ihm tritt. Man könnte sagen: die biblische »Mystik« ist nicht Bild-, sondern Wortmystik, ihre Offenbarung nicht Schauung des Menschen, sondern Wort und Tat Gottes. Sie ist nicht primär das Finden einer Wahrheit, sondern geschichtsbildendes Tun Gottes selbst. Ihr Sinn ist nicht der, daß dem Menschen göttliche Wirklichkeit sichtbar wird, sondern ist, den Offenbarungsempfänger zum Träger göttlicher Geschichte zu machen. Denn hier ist im Gegensatz zur Mystik Gott der Handelnde, und er ist es, der dem Menschen das Heil schafft. Das hat wiederum Jean Danielou scharfsichtig erkannt. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind wert, ausgiebig zitiert zu werden. »Für den Synkretismus«, so sagt er (und wir können statt dessen einsetzen: für die verschiedenen religiösen Wege außerhalb der von den Propheten eröffneten Revolution), »sind die Geretteten die innerlichen Seelen, zu welcher Religion sie auch gehören mögen. Für das Christentum sind es die Glaubenden, welchen Grad der Innerlichkeit sie auch erreicht haben. Ein kleines Kind, ein mit Arbeit überschütteter Arbeiter stehen, wenn sie glauben, höher als die größten Aszeten. >Wir sind keine großen religiösen Persönlichkeiten<, hat Guardini einmal gesagt, >wir sind Diener des Wortes<. Schon Christus hatte gesagt, daß der heilige Johannes der Täufer wohl >der größte unter den Menschenkindern sein konnte, aber >daß der kleinste unter den Söhnen des Reiches größer ist als er< (vgl. Lk 7,28). Es ist möglich, daß es in der Welt große religiöse Persönlichkeiten auch außerhalb des Christentums gibt, es ist sogar sehr gut möglich, daß sich die größten religiösen Persönlichkeiten außerhalb des Christentums finden, aber das ist ohne Bedeutung; was zählt, ist der Gehorsam gegen das Wort Christi.«4

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