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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Christentum - Weltreligionen: Problemstellung; Auffassung des heutigen Menschen; Radhakrishnan

Kurzinhalt: Der vorwiegende Eindruck ist beim heutigen Menschen wohl derjenige, daß alle Religionen bei einer bunten Vielfalt von Formen und Gestalten im letzten doch dasselbe sind und meinen; was alle merken, nur sie selber nicht.

Textausschnitt: Problemstellung

17a Der christliche Glaube hat die Position, die er sich selbst in der Religionsgeschichte zuteilt, im Grunde längst formuliert: Er sieht in Christus das einzig wirkliche und damit endgültige Heil des Menschen. Hinsichtlich der anderen Religionen ist demgemäß eine doppelte Einstellung möglich (so scheint es): Man kann sie als vor-läufig und insofern vor-läuferisch zum Christentum ansprechen und damit in gewissem Sinn positiv werten, soweit sie sich nämlich in die Haltung des Vor-läufers einordnen lassen. Man kann sie freilich auch als das Ungenügende, Christuswidrige, der Wahrheit Entgegengesetzte auffassen, das dem Menschen Heil vorgaukelt, ohne es jemals geben zu können. Dem Glauben Israels, das heißt der Religion des Alten Testamentes, gegenüber ist die erste Haltung von Christus selbst vorgezeichnet. Daß sie in gewissem Sinn auch allen übrigen Religionen gegenüber stattfinden kann, ist erst in neuerer Zeit deutlich und mit Nachdruck herausgestellt worden. Tatsächlich darf man wohl sagen, daß der Bericht vom Bundesschluß mit Noach (Gen 8,20 - 9,17) die geheime Wahrheit der mythischen Religionen bestätigt: Im regelmäßigen »Stirb und Werde« des Kosmos vollzieht sich das Walten des treuen Gottes, der nicht nur mit Abraham und den Seinen, sondern mit allen Menschen im Bunde steht.1 Und haben nicht die Magier durch den Stern, d. h. durch ihren »Aberglauben«, durch ihre Religion (wenn auch nur auf dem Umweg über Jerusalem, über die heiligen Schriften des Alten Testaments) zu Christus gefunden (Mt 2,1-12)? Hat also nicht gleichsam ihre Religion in ihnen vor Christus gekniet, sich als wahrhaft vor-läufig oder besser zu-läufig auf Christus hin erwiesen? Es erscheint einem fast schon als Gemeinplatz, in solchem Zusammenhang noch die Areopagrede (Apg 17,22-32) zu zitieren, zumal die Reaktion der Zuhörer mit ihrer abweisenden Haltung gegenüber der Botschaft vom Auferstandenen die optimistische Theologie dieser Rede eher Lügen zu strafen scheint: Die Religion der also Geschmeichelten konvergiert ganz offensichtlich nicht auf Jesus von Nazareth hin. Der Widerspruch, zu dem sie vielmehr drängt, ruft damit die andere, ohnedies sehr viel stärker in Erscheinung tretende Seite der biblischen Auffassung von den Religionen »der Völker« ins Gedächtnis, wie sie in der prophetischen Geisteslinie von Anfang an lebt: jene harte Kritik an den selbstgemachten Lügengöttern, die in ihrer Unerbittlichkeit oft vom platten Rationalismus des Aufklärers kaum noch zu unterscheiden ist (vgl. z. B. Jes 44,6-20). Eine Einzelanalyse des biblischen Befundes würde die Absicht dieses Versuches indessen überschreiten; schon das Wenige, das gesagt wurde, kann aber genügen, um zu bestätigen, daß sich die beiden eingangs genannten Verhaltensweisen den Religionen der Völker gegenüber in der Schrift wiederfinden lassen: die teilweise Anerkennung unter der Idee des Vorläufigen ebenso wie die entschiedene Verneinung. (Fs)

18a Die Theologie unserer Zeit hat, wie gesagt, den positiven Aspekt besonders ins Licht gestellt und dabei vor allem die Ausdehnung des Vorläufigkeitsbegriffes geklärt: daß man auch Jahrhunderte »nach Christus«, geschichtlich gesehen, noch in der Geschichte »vor Christus« und so legitim im Vor-läufigen leben kann.2 Fassen wir zusammen, so dürfen wir sagen, daß das Christentum nach seinem eigenen Selbstverständnis zu den Religionen der Welt im Verhältnis des Ja und des Nein zugleich steht: Es weiß sich einerseits mit ihnen in der Einheit des Bundesgedankens verknüpft, lebt aus der Überzeugung, daß, wie die Geschichte und ihr Mysterium, so auch der Kosmos und sein Mythos von Gott sagt und zu Gott führen kann; es kennt aber ebenso ein entschiedenes Nein zu den Religionen, sieht in ihnen Hilfsmittel, mit denen der Mensch sich selbst gegen Gott absichert, anstatt sich seinem Anspruch auszuliefern.3 Das Christentum nimmt in seiner Theologie der Religionsgeschichte nicht einfach Partei für den Religiösen, für den Konservativen, der sich an die Spielregeln seiner ererbten Institutionen hält; das christliche Nein zu den Göttern bedeutet eher eine Option für den Rebellen, der den Ausbruch aus dem Gewohnten um des Gewissens willen wagt: Vielleicht ist dieser revolutionäre Zug des Christentums allzulang unter konservativen Leitbildern verdeckt worden.4 Ohne Zweifel drängen sich hier schon eine Reihe von Schlußfolgerungen auf; wir lassen sie einstweilen beiseite, um Schritt für Schritt unserer Frage nachzugehen. (Fs)

19a Trägt man die eben skizzierte Auffassung des Christentums von den übrigen Religionen dem heutigen Menschen vor, so wird er sich im allgemeinen wenig beeindruckt zeigen. Die Anerkennung eines vorläuferischen Charakters der anderen Religionen wertet er leicht als Zeichen von Überheblichkeit. Das Nein des Christentums zu diesen Religionen hinwiederum erscheint ihm als der Ausdruck des Parteigezänkes der verschiedenen Religionen, die sich jede auf Kosten der anderen selbst behaupten wollen und in unbegreiflicher Verblendung nicht sehen können, daß sie in Wirklichkeit doch alle ein und dasselbe sind. Der vorwiegende Eindruck ist beim heutigen Menschen wohl derjenige, daß alle Religionen bei einer bunten Vielfalt von Formen und Gestalten im letzten doch dasselbe sind und meinen; was alle merken, nur sie selber nicht.5 Dem Wahrheitsanspruch einer bestimmten Religion wird der Mensch von heute meist kaum mit einem brüsken Nein entgegentreten, er wird lediglich den Anspruch relativieren, indem er sagt: Es gibt viele Religionen.6 Und dahinter steht wohl immer in irgendeiner Form die Meinung: in wechselnden Gestalten sind sie im Prinzip doch gleich, ein jeder habe die seine. (Fs) (notabene)

20a Wenn wir aus solch gängiger geistiger Einstellung versuchen wollen, ein paar kennzeichnende Überzeugungen herauszuholen, so dürfen wir wohl sagen: Der Religionsbegriff des »heutigen Menschen« (man gestatte mir, diese Real-Fiktion beizubehalten) ist statisch, er sieht für gewöhnlich nicht den Übergang von einer Religion zu einer anderen vor, sondern erwartet, daß man in der seinen bleibe und sie in dem Bewußtsein lebe, daß sie in ihrem geistlichen Kern ohnedies mit allen anderen identisch ist. Es gibt also eine Art von religiösem Weltbürgertum, das Zugehörigkeit zu einer bestimmten »Religionsprovinz« nicht aus-, sondern einschließt, das einen Wechsel der religiösen »Staatsangehörigkeit« nicht oder nur für demonstrative Einzelfalle wünscht, jedenfalls der Idee einer Mission höchst reserviert und im Grund ablehnend gegenübersteht. Ein Zweites schwingt in allem Gesagten immer schon mit. Der Religionsbegriff des heutigen Menschen ist symbolisch und spiritualistisch geprägt. Die Religion erscheint als ein Kosmos der Symbole, die bei einer letzten Einheit der Symbolsprache der Menschheit (wie sie Psychologie und Religionswissenschaft heute gemeinsam immer deutlicher herausstellen7) im einzelnen vielfältig differieren, aber eben doch alle dasselbe meinen und nur anfangen müßten, ihre tiefe untergründige Einheit zu entdecken. Geschieht dies erst, so ist die Einheit der Religionen ohne Aufhebung ihrer Vielheit verwirklicht - das ist die verheißungsvolle Illusion, die gerade religiös empfindenden Menschen heute als die einzig reale Zukunftshoffnung vor Augen steht. Niemand hat bisher unserer Generation dieses Bild einer Religion der Zukunft, die wieder eine »Zukunft der Religion« schaffen kann, eindrucksvoller, überzeugender, wärmer vorzuhalten vermocht als der indische Staatspräsident Radhakrishnan, dessen Werke immer wieder münden im Ausblick auf die kommende Religion des Geistes, die fundamentale Einheit und vielfältigste Differenzierung in sich verbinden werde.8Solchen in prophetischer Haltung gegebenen Aussagen gegenüber, deren menschliches und religiöses Gewicht ganz unverkennbar ist, erscheint der christliche Theologe als steckengebliebener Dogmatiker, der von seiner Rechthaberei nicht loskommt, unabhängig davon, ob er sie in der polternden Art früherer Apologeten ausdrückt oder in der verbindlichen Weise heutiger Theologen, die dem anderen bestätigen, wieviel Christliches er unbewußt schon hat. Immerhin, wenn ihm die Zukunft der Religion am Herzen liegt, wenn er überzeugt ist, daß das Christentum und nicht eine unbestimmte Religion des Geistes die Religion der Zukunft ist, wird er sich gedrängt fühlen, weiterzufragen und weiterzusuchen, um den Sinn der Religionsgeschichte und die Stellung des Christentums in ihr deutlicher zu erkennen. (Fs)

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