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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Nachkonzilszeit; Kritik am Anschwärzen der Kirche; letztlich: Anklage trifft Christus

Kurzinhalt: Die Nichtaufnahme des WORTES ist das tiefe Geheimnis der Religion, und den Grund hierfür in den Fehlern der Kirche zu suchen, ist in religiöser Hinsicht unergiebig.

Textausschnitt: 56. Kritik am Anschwärzen der Kirche

125a Diese der Anklage gewidmete These, die die Apologetik oder doch wenigstens die passende Gegendarstellung der katholischen Tradition ersetzt hat, ist in erster Linie oberflächlich, denn sie geht davon aus, daß der Irrtum eines Menschen durch das entscheidende Einwirken des Irrtums anderer Menschen verursacht wurde. Hinter einer solchen These verbirgt sich die Leugnung der persönlichen Freiheit und Verantwortlichkeit. Ferner ist die These falsch, weil die, denen der Irrtum der anderen angelastet wird, auf der Bühne der Geschichte die Hauptdarsteller und alle anderen nur Nebendarsteller, ja bloße Materie für erstere, wären. Die These ist schließlich auch glaubensfremd, führt sie doch zu einer Folgerung, die mit teleologischen1 und theologischen Wahrheiten in Konflikt gerät. Macht man sich nämlich diesen Gesichtspunkt der Anklage zu eigen, kommt man dahin, Christus selbst dafür verantwortlich zu machen, daß die Menschen ihn ablehnen, indem er beschuldigt wird, er habe sich nur unzureichend offenbart und die Zweifel an seiner Gottheit nicht gänzlich zerstreut, kurz, er habe seine Aufgabe als Erlöser der Welt nicht erfüllt. Von der Kirche fällt die Anklage letzten Endes auf Christus zurück, vom gesellschaftlichen Individuum auf das einzigartige Individuum, ihren Gründer. In Wirklichkeit ist der Erfolg der Kirche kein Faktum der Geschichte, sondern der Religion und des Glaubens, und das wesenhaft spirituelle und jenseitsorientierte (wenn auch in der Welt geschehende) Wirken der Kirche ist nicht so zu fassen, als gälten dafür die Gesetze rein menschlichen Handelns. Die anklagende These krankt an der theologischen Oberflächlichkeit der Neuerer. Da sie das Prädestinationsdogma völlig ausgeklammert haben, können sie weder die menschliche Freiheit, die sie widerspruchsvoll von der Freiheit anderer abhängig machen, in ihrer Tiefe begreifen, noch die Tiefe des Erlösungsgeheimnisses. Johannes Paul II. hat 1981 in seiner Weihnachtsbotschaft (OR, 26./27. Dezember 1981) diese theologische Tiefe des christlichen Mysteriums treffend aufgezeigt. Dieses liegt gewiß in der Geburt des Gottmenschen, der in die Welt getreten ist, doch ebenso ist ein Geheimnis, daß die Welt seit der Geburt des Heilands diesen nicht aufgenommen hat und es auch weiterhin nicht tut. Die Nichtaufnahme des WORTES ist das tiefe Geheimnis der Religion, und den Grund hierfür in den Fehlern der Kirche zu suchen, ist in religiöser Hinsicht unergiebig. (Fs) (notabene)

126a In Isai. 5,4 wird Christus symbolisch angekündigt, und diese Stelle hallt in der großartigen Karfreitagsliturgie wider. Christus bestürmt das Menschengeschlecht mit der Frage: »Quid est, quod debui ultra facere, et non feci?«2. Die dem Modedenken Frönenden aber scheinen einzuwenden: »Noch weit mehr hättest du tun sollen und tatest es nicht«. Auf die Wehklage Christi erwidern sie: »Appensus es in statera et inventus es minus habens« (Dan. 5,27)3. Trotz des von Wundern begleiteten Predigens Christi verblieben sehr viele im Unglauben, viele in der Sünde, alle im Hang zur Sünde. War die Erlösung deswegen womöglich nur Stückwerk? Die Ankläger der Kirche übergehen nicht nur die Psychologie der Freiheit samt ihrem Geheimnis sowie die Theologie der Prädestination samt ihrem Arkanum, sondern auch den Hauptgrundsatz der Theodizee, wonach im Plan Gottes, Zeichen nach außen zu setzen, ein Zweck erkannt wird. Dieser Zweck liegt in der Gott zugewandten Verherrlichung. Im übrigen genügt es, den Sinngehalt der (lateinischen) Wörter »suadere« und »persuadere«4 zu unterscheiden, um der Kirchengeschichte gerecht zu werden: Die Kirche empfiehlt die Wahrheit, aber sie erlegt diese nicht auf. Die Geschichte ist nämlich die Schaubühne der göttlichen Prädestination und zugleich auch der menschlichen Freiheit. (Fs)

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