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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Nachkonzilszeit; Circiterismus; Gebrauch der adversativen Konjunktion »aber«

Kurzinhalt: Diese »Wohl-aber«-Formel ist oft in den Beiträgen der Konzilsväter anzutreffen. Sie sagen an erster Stelle etwas aus, das dann mit dem »Aber« der Zweitaussage zunichte wird, so daß letztere zur eigentlichen Hauptaussage wird ...

Textausschnitt: 50. Das Konzil als Gegenstand neuerungsbeflissener Hermeneutik, weitere Überlegungen. Circiterismen. Gebrauch der adversativen Konjunktion »aber«. Die Vertiefung

106a Eine bei den Neuerern übliche Argumentationsweise ist der Circiterismus. Er besteht darin, daß man auf einen verschwommenen und verworrenen Terminus so Bezug nimmt, als wäre er etwas Unanfechtbares, längst Geklärtes, um aus ihm das Element zu gewinnen oder auszuschalten, das gelegen beziehungsweise ungelegen kommt. Dazu gehört z.B. der Terminus »Konzilsgeist« oder ganz einfach »das Konzil«. Ich erinnere mich, daß bis hin zur Seelsorgepraxis auf Neuerungen versessene Priester, die die unumstößlichsten und selbst gemäß dem Konzil unveränderten Grundsätze verletzten, die über solche Willkür erstaunten Gläubigen mit dem Hinweis auf das Konzil abspeisten. (Fs)

106b Über eines bin ich mir durchaus im klaren: Da einerseits die intellektuale intentio - das Erkenntnisstreben des Verstandes - in ihrer Begrenztheit unfähig ist, gleichzeitig alle Seiten eines komplexen Gegenstandes beschauend zu erfassen, und da es andererseits einen freien Vollzug des Denkens gibt, kann der Erkennende sich den verschiedenen Teilen des Komplexes nur nach und nach zuwenden. Allerdings stelle ich fest, daß diese natürliche Wirkungsweise des Verstandes nicht verwechselt werden darf mit der absichtlichen Verzerrung, die der Wille dem Akt des Verstandes eingeben kann, so daß dieser, entsprechend dem Text des Evangeliums, bei allem Sehen doch nicht sieht und bei aller Kenntnis doch nicht erkennt (Mt. 13,13). Die erstere Wirkungsweise zeigt sich auch in der echten Forschung, die ihrer Natur gemäß Schritt für Schritt vorgeht, während die zweite eine andere Bezeichnung als »Forschung« verdient, denn sie überlagert die Dinge mit einem Etwas, das aus der subjektiven Neigung des Einzelnen hervorgeht. (Fs)

106c Es ist auch üblich, von Botschaft zu sprechen und vom Kode, mit dem sie zu lesen und zu entschlüsseln sei. An die Stelle der sachbezogenen Erkenntnis ist der Begriff »Leseart« getreten, d.h. die Verbindlichkeit des eindeutigen Erkennens wird durch die vielen möglichen Arten des Lesens ersetzt. Ein und dieselbe Botschaft (so sagt man) könne mit verschiedenen Schlüsseln gelesen werden, und wenn sie orthodox ist, könne man sie nach einem heterodoxen Schlüssel, wenn heterodox, nach einem orthodoxen erschließen. Bei einer solchen Methode wird jedoch vergessen, daß der Text einen ihm ursprünglich verliehenen, mit ihm verknüpften, offensichtlichen und wörtlichen Sinn hat, der von jeder folgenden Leseart verstanden werden muß und manchmal nicht den Kode zuläßt, mit dem er dann nach der zweiten Art gelesen und entschlüsselt wird. So haben die Konzilstexte wie alle anderen Texte - unabhängig von der darauf verwandten Leseart - ein offenkundiges und eindeutiges Richtmaß für die Lektüre, d.h. sie haben einen Buchstabensinn, der die Grundlage jedes anderen Sinnes ist, den man aus ihnen herauslesen wird. Die vollendete Hermeneutik besteht darin, daß die zweite Art des Lesens nach der ersten, die den eigentlichen Sinn des Textes ergibt, ausgerichtet wird. Im übrigen ist die Kirche nie anders vorgegangen. (Fs)

107a Die Neuerer der nachkonziliaren Periode verfahren also auf die Weise, daß sie Teile eines Textes oder einer Wahrheit hervorheben oder verdunkeln, in rosigem oder in ungünstigem Licht darstellen. Dies ist nichts anderes als mißbräuchliche Abstraktion (Herausreißen aus einer Gesamtheit/Anm. d. Übers.), die der Geist notgedrungen vornimmt, wenn er ein x-beliebiges komplexes Ganzes prüft. In einer solchen Lage befindet sich in der Tat das diskursive Erkennen, das - im Gegensatz zu der den Engeln eigenen Intuition - nur im zeitlichen Nacheinander erfolgt. (Fs)

107b Damit verbunden ist die für den Irrtum bezeichnende Verfahrensweise, die darin besteht, eine Wahrheit hinter einer anderen zu verbergen, um dann so vorzugehen, als wäre die verborgene Wahrheit nicht nur verborgen, sondern schlechthin nicht vorhanden. Wenn man z.B. die Kirche als »Volk Gottes auf dem Wege« definiert, wird die andere Wahrheit verborgen, d.h. daß die Kirche auch den bereits im Endziel befindlichen Teil der Seligen umfaßt. Er ist überdies ihr wichtigster Teil, denn in ihm hat sich die Zielsetzung der Kirche und des Universums erfüllt. In einem weiteren Schritt wird schließlich das, was in der Verkündigung noch besteht, aber in den Hintergrund gerückt wurde, aus ihr ganz getilgt, indem man die Heiligenverehrung ablehnt. (Fs)

108a Das von uns beschriebene Verfahren wird oft nach einem Schema realisiert, für das der Gebrauch der adversativen Konjunktion »(wohl) aber« typisch ist. Es genügt allerdings, den vollen Sinngehalt der Wörter zu kennen, um schnell hinter die Absicht der Ausleger zu kommen. Will man z.B. das Prinzip des Ordenslebens angreifen, drückt man sich so aus: »Nicht das Fundament des Ordenslebens wird erneut in Frage gestellt, wohl aber der Stil seiner Verwirklichung«. Um so auch das Dogma von der Jungfräulichkeit der Muttergottes in der Geburt zu umgehen, heißt es, Zweifel seien möglich, »übrigens nicht an der Glaubensaussage selbst, deren dogmatische Geltung niemand bestreitet, wohl aber an ihrem genauen Gegenstand. Was diesen betrifft, wäre es ungewiß, ob er das Wunder der den Körper unversehrt belassenden Geburt einschließe«1. Und um gegen die Klausur der Ordensfrauen anzugehen, schreibt man: »Die Klausur muß bestehenbleiben, aber auf die zeitlichen und örtlichen Bedingungen abgestimmt werden«2. (Fs)

108b Bekanntlich entspricht die Konjunktion »mais« ([wohl] aber, sondern) dem lateinischen »magis« ([vielmehr), ihrem Etymon3. Die Jungfräulichkeit der Muttergottes, das Ordensleben, die Klausur bleiben also scheinbar unangetastet, doch im Klartext heißt es, mehr noch als das Prinzip zählten die Wege seiner an Zeit und Ort gebundenen Realisierung. Was ist denn schon ein Prinzip, wenn es nicht über den Möglichkeiten seiner Verwirklichung steht, sondern darunter? Und wie kann man verkennen, daß es Arten der Verwirklichung gibt, die das Fundament zerstören, anstatt es deutlich werden zu lassen? In der gleichen Weise könnte man auch sagen, das Grundprinzip der Gotik stehe nicht zur Debatte, sondern die Art ihrer Verwirklichung, um dann den Spitzbogen abzutun. (Fs)

108c Diese »Wohl-aber«-Formel ist oft in den Beiträgen der Konzilsväter anzutreffen. Sie sagen an erster Stelle etwas aus, das dann mit dem »Aber« der Zweitaussage zunichte wird, so daß letztere zur eigentlichen Hauptaussage wird. Auch auf der Bischofssynode 1980 formulierte sich die frankophone Gruppe B so: »Die Gruppe stimmt Humanae vitae vorbehaltlos zu, aber es wäre nötig, die Dichotomie, die Zweiteilung zwischen Gesetzesstrenge und pastoraler Anpassung zu überwinden«. Somit wird die Zustimmung zur Enzyklika reiner Wortschwall, denn mehr als sie zählt, daß sich das Gesetz der menschlichen Schwäche beugt (OR, 15. Oktober 1980). Noch unverblümter erscheint die Formel bei denen, die die Zulassung Geschiedener zur Eucharistie fordern: »Es handelt sich nicht um einen Verzicht auf die Forderung des Evangeliums, wohl aber darum, allen die Möglichkeit zuzuerkennen, in die kirchliche Gemeinschaft wiedereingegliedert zu werden« (ICI, Nr. 555,13. Oktober 1980, S. 12). (Fs)

109a Ferner kam es auf der Synode über die Familie 1980 bei den neuerungsbeflissenen Gruppen zur Verwendung des Wortes »Vertiefung«. Während man danach trachtete, daß die Lehre von Humanae vitae aufgegeben werde, bekannte man sich dennoch voll zu ihr, verlangte aber, sie zu vertiefen. Dies nicht etwa, um sie durch neue Argumente zu bekräftigen, sondern um daraus eine andere Lehre zu machen. Die Tiefe sollte im ständigen, schließlich zur Antithese gelangenden Auf-der-Suche-Sein bestehen. (Fs)

109b Noch bedeutsamer ist die Tatsache, daß manchmal sogar bei Abfassung der Konzilsdokumente nach der Methode des Circiterismus verfahren wurde. Der Circiterismus wurde damals dort bewußt hineingebracht, damit die nachkonziliare Hermeneutik dann die Möglichkeit haben würde, sie beschäftigende Ideen ins rechte Licht zu rücken oder in Mißkredit zu bringen. »Wir drücken es auf diplomatische Weise aus, aber nach dem Konzil werden wir die impliziten (einschlußweise möglichen/Anm. d. Übers.) Schlüsse ziehen«4. Das besagt eine diplomatische, nach dem Sinngehalt dieses Wortes also doppelte, Stilart, bei der der Wortlaut mit Hinblick auf die Hermeneutik gestaltet und damit die natürliche Folge des Denkens und Schreibens umgekehrt wird. (Fs)

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