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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Nachkonzilszeit; der Konzilsgeist

Kurzinhalt: Dieses Überschreiten geschah im Zeichen eines vielschichtigen, mehrdeutigen, schillernden und verworrenen Etwas, genannt »Konzilsgeist«

Textausschnitt: 47. Die Schritte über das Konzil hinaus. Der Konzilsgeist

101a Das Konzil hat, wie wir sahen, mit seiner gesamten Vorbereitung gebrochen; sein Ablauf kommt einer Überschreitung des projektierten Konzils gleich. Zudem ist es in der Nachkonzilszeit, die zur Verwirklichung der Beschlüsse hätte führen sollen, erneut zur Überschreitung gekommen. Daß dies tatsächlich geschehen ist, wird auch in der päpstlichen Ansprache häufig beklagt, so z.B. ausdrücklich von Paul VI., der am 31. Januar 1972 auf »kleine, aber anmaßende und höchst zersetzende Minderheiten« verwies. Die Tatsache wird darüber hinaus von den nicht wenigen Stimmen bewiesen, die die konziliaren Neuerungen als unzureichend erachten und daher für ein III. Vatikanum laut werden. Dieses müsse der Kirche zu dem Schritt nach vorn verhelfen, den sie in den ersten beiden Kirchenversammlungen ablehnte oder zu unternehmen zögerte. (Fs)

101b Die Überschreitungen zeigen sich vor allem im liturgischen Bereich, hat doch die Messe eine radikale Veränderung erfahren. Desgleichen im institutionellen Bereich, der vom demokratischen Geist der allseitigen Beratung und des fortwährenden Referendums heimgesucht worden ist. Noch deutlicher aber zeigen sie sich in der Mentalität, die jetzt bereit ist, sich mit Doktrinen zu arrangieren, die dem katholischen Prinzip fremd sind. (Fs)
101c Dieses Überschreiten geschah im Zeichen eines vielschichtigen, mehrdeutigen, schillernden und verworrenen Etwas, genannt »Konzilsgeist«. So ist das Konzil also über seine Vorbereitung hinausgegangen, oder besser, es hat sie beiseite gelegt, und der Geist des Konzils ist über das Konzil selbst hinausgegangen. (Fs)

101d Die Vorstellung vom »Konzilsgeist« entbehrt der Klarheit und Eindeutigkeit. Es handelt sich aber um eine Metapher, mit der genaugenommen die vom Konzil erfahrene Eingebung gemeint ist. Rein logisch gesehen, ist die Geist-Metapher mit der Vorstellung dessen verknüpft, was in einem Menschen die Hauptsache ausmacht und ihn bei all seinen Handlungen bewegt. Die Bibel spricht vom Geist des Moses und berichtet, Gott habe vom Geist des Moses genommen und auf die siebzig Ältesten kommen lassen (Num. 11,25). Der Geist des Elias ist in dessen Schüler Elisäus gedrungen (IV. Kön. 2,15). Oftmals wird auch der Geist des Herrn erwähnt. In all diesen Schriftstellen ist der Geist das, was im Innern eines Menschen jedem Akt vorausgeht und alle Akte als erstes Bewegendes leitet. Die siebzig Ältesten, bei denen Weissagungen einsetzten, als Gott den Geist des Moses auf sie kommen ließ, waren vom gleichen Ideal, vom gleichen erhabenen Beweggrund erfüllt wie Moses. Der Geist des Elias in Elisäus ist das Elisäus zu eigen gewordene Ideengut des Elias. Der Geist des Herrn ist der Herr selbst, der Ursache und treibende Kraft im Wirken aller wurde, die den Geist des Herrn besitzen. Entsprechend ist der Geist des Konzils das ideale Prinzip, das die Konzilsvorgänge anregt und belebt, und, um es nach Art der Stoiker zu sagen, to hEgemonikon, das leitende Prinzip des Konzils. (Fs)

102a Nach diesen Worten wird klar, daß der Geist des Konzils, d.h. das, was den Konzilsdekreten zugrunde liegt und gewissermaßen das a priori des Konzils ausmacht, sich gewiß nicht völlig mit dem Buchstaben des Konzils deckt, aber natürlich auch nicht vom Buchstaben gelöst ist. Worin findet sonst ein beschließendes Kollegium seinen Ausdruck, wenn nicht in dem, was es verfügt und beschließt? Daher ist die Berufung auf den »Konzilsgeist«- vor allem seitens derer, die das Konzil zu überschreiten gedenken - ein fragwürdiges Argument, eine Art Vorwand, um den eigenen Geist der Neuerung auf das Konzil zu übertragen. (Fs)

102b Noch etwas ist an dieser Stelle zu bemerken: Da dieser Geist nichts anderes als das Prinzip des Konzils ist, läuft dies, wenn man dort eine Pluralität von Geistern vermutet, praktisch auf das gleiche hinaus, wie bei Konzilen eine Pluralität festzustellen, die von einigen Autoren als Bereicherung angesehen wird. Die Annahme, der »Konzilsgeist« habe viele Seiten, ist nur möglich aufgrund der Unbestimmtheit und Verworrenheit, durch die gewisse Konzilsdokumente verderbt sind und die Theorie von der Überschreitbarkeit des Konzils mittels seines Geistes entstehen konnte. (Fs)

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