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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Krisen der Kirche; Französische Revolution; Absolutismus; Zivilkonstitution des Klerus


Kurzinhalt: Die Französische Revolution war ... ohne es in den weltlichen Organismus umsetzen zu können. Dieses Prinzip entfernt die religiöse, die gesellschaftliche und die moralische Ordnung von ihrem Mittelpunkt und ...

Textausschnitt: 23. Die Krise der Kirche in der Französischen Revolution

32b Der Revolution des Volkes war eine andere vorausgegangen, nämlich die des königlichen Absolutismus. Dieser hatte sich, zumindest in moralischer Hinsicht, von der Bindung an die Kirche gelöst und den Despotismus der Lex regia erneuert, wonach was auch immer den Fürsten gefällt, Gesetzeskraft hat1, und sich gefestigt, indem er auf die Geister der lutherischen Gewissensfreiheit zurückgriff. Einerseits hatte der neue Cäsarismus die Unabhängigkeit von der Richtschnur der Kirche behauptet, die die Herrschergewalt zum Schütze des Volkes zugleich stärkte und zügelte. Andererseits hatte er Privilegien, Freibriefe, Immunitäten, uralte Gepflogenheiten, Freiheitsgarantien für die Untertanen geschluckt. Nur wenige Schriftsteller haben zu klären versucht, wieviel an purer Reaktion, verursacht durch die soziale Mechanik, und wieviel dagegen an Bestrebungen und Verschwörungen doktrinärer Art bei dem gewaltigen Revolutionstumult im Spiel war. Sicher ist, daß die Ereignisse über alle Maße gingen und Prinzipien wie Überzeugungen zunichte machten gleich einem ventus exurens et siccans, einem sengenden und ausdörrenden Wind. Abtrünnigkeit und Apostasie befielen ein Drittel des Klerus, was allerdings durch Episoden unbeugsamen Widerstandes ausgeglichen wurde; Priester und Bischöfe gingen die Ehe ein (die später, durch das Konkordat von 1801, mit Ausnahme der Ehe von Bischöfen, rechtskräftig wurde); Kirchen und Klöster wurden geschändet und zerstört (von 300 Kirchen in Paris blieben nur 37 bestehen); Kennzeichen der Religion wurden verabscheut und vernichtet oder verboten (daher trugen Kardinal Consalvi und seine Begleiter, als sie zu Verhandlungen nach Paris kamen, Zivilkleidung); Ausschweifungen; zügellose und extravagante Reformen in Gottesdienst und Katechese; gotteslästerliches Durcheinanderwerfen patriotischer und religiöser Dinge uferten aus. Im wesentlichen enthielt die im Juli 1790 verabschiedete und von Pius VI. im März des darauffolgenden Jahres verurteilte Zivilkonstitution des Klerus einen prinzipiellen Irrtum, denn sie säkularisierte die Kirche, deren Eigenschaft als eine dem Staat übergeordnete und von ihm völlig unabhängige Gesellschaft annulliert wurde. Dank ihrer Ablehnung durch nahezu den gesamten Episkopat, der überwältigenden Mehrheit der Priester und aufgrund der Willensäußerung des großen Mittlers zwischen beiden Jahrhunderten wurde die Zivilkonstitution fallengelassen. Wäre es aber gelungen, sie durchzusetzen, hätte man es mit ihrer Hilfe zuwege gebracht, vom Boden Frankreichs jede Einrichtung und jeden Einfluß des Katholizismus wegzufegen. Die Verurteilung der Zivilkonstitution des Klerus ist also ein Lehrdokument, das die Substanz der Religion betrifft. Es ist erstaunlich, daß Denzinger es nicht aufgenommen hat. (Fs)

33a Die völlige Trennung von Kirche und Staat erschien den Verfassern des Syllabus als ein Irrtum, aber immerhin ermöglicht sie den Fortbestand beider Gesellschaften, der theokratischen und der demokratischen, je nach ihrem Wesen und Endzweck. Der Irrtum aber, wonach die Kirche sich im Staate auflöst und dieser mit der universalen Gesellschaft der Menschen identifiziert wird, ist dagegen tödlich! Die Französische Revolution war, auf ihr logisches Wesensbild reduziert, eine wahre und eigentliche Krise des katholischen Prinzips, weil sie das Prinzip der Unabhängigkeit festsetzte, allerdings ohne es in den weltlichen Organismus umsetzen zu können. Dieses Prinzip entfernt die religiöse, die gesellschaftliche und die moralische Ordnung von ihrem Mittelpunkt und zielt darauf ab, den gesellschaftlichen Organismus, zuerst den theokratischen und danach den demokratischen, an einen ganz anderen Standort abzudrängen. (Fs) (notabene)

34a Sollte jedoch dann von Krise keine Rede sein können, wenn der mystische Organismus an seiner - um es so zu nennen - Sinnenseele, nicht aber an seiner Vernunftseele und Geistseele Schaden erleidet und wenn der mit dem Charisma der Unvergänglichkeit begabte Kern unversehrt bleibt, wenngleich das Elend alle physiologischen Vorgänge des Körpers ergreift, so wird man mit Fug und Recht daran zweifeln dürfen, ob diese Erschütterung des Katholizismus eine Krise der Kirche gewesen ist. (Fs)

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