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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Krisen der Kirche; Französische Revolution; Konstitution Auctorem fide; Synode von Pistoia (Pistorienser)

Kurzinhalt: Mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verhält es sich durchaus so, daß sie schon von der Weisheit der griechischen Antike als Werte erkannt und in der christlichen Religion zum umfassenden Merkmal erhoben wurden.

Textausschnitt: 22. Das Prinzip der Unabhängigkeit. Die Konstitution »Auctorem fidei«

30a Wer das klassische Enchiridion überfliegt, mag erstaunt sein, unter den Lehrdokumenten aus der Zeit der so großen und heftigen Erschütterung durch die Französische Revolution keines mit direktem Bezug auf die theoretischen Voraussetzungen zu finden, die der Reformgesetzgebung der verschiedenen Versammlungen bis zum Konsulat und Kaiserreich zugrunde lagen. Was in den sieben einander ablösenden Konstitutionen allzu anmaßend und unvereinbar mit der katholischen Religion war, schaffte der Mittler zwischen den beiden Jahrhunderten zu guter Letzt zwar ab, beließ jedoch an der Grundlage der Neuerungen das Gestaltungsprinzip der modernen Welt. Dieses Prinzip besteht, wie ich bereits mehrmals sagte, in der Einsetzung der menschlichen Werte als reinweg menschlich, unabhängig und aus sich selbst heraus bestehend, woraus dementsprechend die Absetzung der Autorität folgt. (Fs)

30b Mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verhält es sich durchaus so, daß sie schon von der Weisheit der griechischen Antike als Werte erkannt und in der christlichen Religion zum umfassenden Merkmal erhoben wurden. Von woher sonst wären sie gekommen? Aber die Stoiker verknüpften sie mit dem natürlichen Logos, der jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt, wenn auch nicht sehr wirksam (wie die Geschichte der Sklaverei beweist). Das Christentum dagegen verknüpfte sie mit dem übernatürlichen, Mensch gewordenen Logos, der das Menschenherz erleuchtet und wirkungsvoll bewegt. Da nun der natürliche Logos nicht real, sondern ideal ist, kann er nicht das eigentliche Prinzip sein, mit dem alles zu verknüpfen wäre; ihm gebührt also nicht uneingeschränkt Achtung und Gehorsam. Das wahre Prinzip ist ein sehr reales Wesen, das die Idee in sich schließt und im Christentum Realität geworden ist, bewirkt durch die Inkarnation. (Fs)

31a Der Gottmensch, der in seinem Sein unteilbar ist, wird in der Kirche zu einem gesellschaftlich Unteilbaren. Die Kirche ist - nach der berühmten Unterweisung des hl. Paulus - sein mystischer Leib, und daher spiegelt sich die Abhängigkeit von Christus in der Abhängigkeit von der Kirche wider. Dies ist das Prinzip der Autorität, das das theologische Gesamtgefüge beherrscht. Das Prinzip erlitt, wie gesagt, einen Eingriff durch die lutherische Revolution, weil diese an Stelle der Autoritätsnorm die persönliche Eingebung in religiösen Dingen setzte. Das Korrelat der Autorität ist der Gehorsam, und man kann sagen, daß das oberste Prinzip des Katholizismus die Autorität ist, oder, mit gleicher Geltung, daß es der Gehorsam ist. Auch dies wiederum findet man in berühmten paulinischen Texten, wo es heißt, daß der Gottmensch gehorsam war, ja gehorsam bis zum Tode, d.h. mit der Ganzheit des Lebens. Dies geschah nicht in erster Linie um der Rettung der Menschen willen (wenngleich man das auch sagen kann), sondern damit das Geschöpf sich dem Schöpfer füge und ihm vollständige und uneingeschränkte Huldigung erweise, die das Ziel der Schöpfung selbst ist. Daher bringt die Kirche Christi stets die einzelnen Personen dazu, sich durch die Tugenden des Gehorsams und der Selbstverleugnung zusammenzuordnen und in dem gesellschaftlich Unteilbaren aufzugehen, das der mystische Leib Christi ist. Sie bringt es zuwege, indem sie die Isolation des Einzelwesens und seiner Taten aufhebt und jede Abhängigkeit beseitigt, die nicht der Abhängigkeit von Gott untergeordnet ist. (Fs) (notabene)

31b Die politische Unabhängigkeit des Menschen aber, die die Revolution lehrte, war bereits mitenthalten in der von Luther und dann von den Jansenisten gelehrten religiösen Unabhängigkeit. Die sie verurteilende Konstitution Pius' VI., Auctorem fidei (1794), kommt in dieser Hinsicht an Bedeutung der Enzyklika Pascendi Pius' X. gleich. Der Jesuit Denzinger und seine Mitautoren bewiesen ihren geschärften Blick für die Lehre, als sie in ihrem Enchiridion symbolorum die beiden Dokumente vollständig veröffentlichten. Auch Auctorem fidei enthält nur einige wenige grundlegende Artikel, aber viele Artikel, die gleichsam als Parerga, Beiwerke, deren Anwendung betreffen. Erstere werden als Häresien gekennzeichnet, letztere mit milderen Bewertungen versehen. Wie Luther zwischen WORT und Gläubigen das persönliche Empfinden schob und damit die universale Kirche ausschaltete, so schoben die Pistorienser mit der Autoritätsübertragung vom universalen Ganzen auf den Teilbereich die Teilkirche dazwischen. Das bedeutet, die Kirche vervielfachen und zersprengen, ein bißchen weniger zwar, doch nicht ungleich dem, was die private Eingebung, von Luther mit Krone und Mitra versehen, anrichtete. (Fs)

32a Wie es sich bei jedem Ruf nach Reform gehört, warteten die Pistorienser damit auf, allgemeine Dunkelheit habe sich im Laufe der vorangegangenen Jahrhunderte über wichtige religiöse Wahrheiten verbreitet (Satz 1). Dieser Satz richtet sich gegen das Wesen der Kirche, in der die Wahrheit zuverlässig am Wirken ist und in deren Lehramt die Wahrheit niemals in Dunkel gehüllt werden kann. Aber diesem Satz, den man als ein geschichtliches Werturteil ansehen könnte, folgen weitere als häretisch geächtete Sätze, in denen man bekennt, die Autorität, Glaubensdogmen zu verkünden und die kirchliche Gemeinschaft zu leiten, liege in der Gemeinschaft selbst und leite sich von der Gemeinschaft auf die Hirten ab. Dieser Satz erhebt nicht mehr die private Eingebung der Einzelperson, sondern die der einzelnen Teilkirche auf den Thron; an die Stelle der universalen Autorität rückt eine noch gesellschaftliche, aber partikuläre Autorität. Der Gehorsam dem WORT gegenüber ist immer noch vorhanden, wird aber sozusagen mittelbar geübt, in eigenständigem Prüfen durch die kleineren Kircheneinheiten. Daß der Papst zwar Oberhaupt der Kirche, als ihr Diener jedoch von ihr abhängig sei und nicht etwa von Christus, ist ein Folgesatz, der auch in einem anderen Artikel als Häresie gewertet wird. (Fs)

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