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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Krisen der Kirche; Mittelalter; Gesetz der historischen Erhaltung der Kirche; pilgernde Kirche

Kurzinhalt: Die Kirche ginge jedoch nicht zugrunde, falls sie sich nicht nach der Wahrheit ausrichten, sondern falls sie die Wahrheit verlieren würde. Die pilgernde Kirche ist zum praktischen Versagen und zur Buße aus sich selbst sozusagen verurteilt.

Textausschnitt: 14. Die Irrwege des Mittelalters

17b Die vielen und ernsten Zerrüttungen der Kirche in den Jahrhunderten des Mittelalters waren keine eigentlichen Krisen, weil die Kirche damals nicht Gefahr lief, ihr Wesen zu ändern und in etwas anderes aufzugehen. Die Sittenverderbnis des Klerus, die Gier nach Reichtum und Macht entstellten zwar das Antlitz der Kirche, fügten jedoch ihrem Wesen keinen Schaden zu, denn sie wurde nicht von ihrem Fundament verdrängt. (Fs)

17c An dieser Stelle ist es angebracht, das eigentliche Gesetz der historischen Erhaltung der Kirche zu formulieren, das zugleich oberstes Kriterium für ihre Apologetik ist. Die Kirche gründet auf dem fleischgewordenen Wort, d.h. auf einer geoffenbarten göttlichen Wahrheit. Gewiß sind ihr auch genügend Kräfte gegeben, ihr Leben nach dieser Wahrheit auszurichten. Einem Glaubenssatz zufolge ist die Tugend jederzeit möglich. Die Kirche ginge jedoch nicht zugrunde, falls sie sich nicht nach der Wahrheit ausrichten, sondern falls sie die Wahrheit verlieren würde. Die pilgernde Kirche ist zum praktischen Versagen und zur Buße aus sich selbst sozusagen verurteilt. Heute sagt man, sie stehe in einem ständigen Akt der Bekehrung. Sie richtet sich jedoch nicht zugrunde, wenn menschliche Schwächen sie in Widerspruch zu sich selbst setzen (dieser Widerspruch ist mit dem Pilgerzustand verknüpft), sondern nur, wenn die praktische Verderbnis so weit geht, auf das Dogma einzuwirken und die im Leben vorhandenen Entartungen in theoretische Sätze zu fassen. (Fs)

17d Daher wurden die Bewegungen, die die Kirche in den Jahrhunderten des Mittelalters aufwühlten, von ihr zwar bekämpft, aber nur dann verurteilt, wenn, wie im Beispielsfall des Pauperismus, dieser sich zur Theologie der Armut mit totaler Verachtung der weltlichen Güter verstieg. Der Sittenverfall der Kirche, gegen den die reformatorische Bewegung des 11. Jahrhunderts wacker anging, war deshalb keine wirkliche Krise. Auch der Konflikt mit dem Kaisertum war es nicht, obwohl die Kirche danach trachtete, sich von der Lehnsknechtschaft zu lösen, mit der die politische Herrschaft über die Bischöfe verbunden war, ebenso wie von der mit der Priesterehe implizierten Knechtschaft. Auch die Bewegungen der Katharer und Albigenser im 13. Jahrhundert und der Fraticellen, ihren Ablegern, brachten keine wirkliche Krise mit sich. In der Tat fanden diese Bewegungen, die von mächtigen sentimentalen Aufwallungen hervorgerufen wurden und mit ökonomischen und politischen Impulsen verquickt waren, nur selten ihren Niederschlag in spekulativen Formeln. Geschah dies dennoch, wie z.B. mit der regressiven, von der Rückkehr zur apostolischen Einfachheit kündenden Doktrin, oder mit dem Mythos von der Gleichheit aller Gläubigen im allgemeinen Priestertum, oder mit der Theologie vom Zeitalter des Heiligen Geistes, das als drittes Zeitalter das des Sohnes ablöse, welches seinerseits das des Vaters abgelöst habe, so stießen all diese dogmatischen Abweichungen auf die in Ausübung ihres didaktischen und korrektiven Amtes vorbereitete und standhafte hierarchische Kirche. Dieser stand dabei oft der weltliche Arm bei, je nach der im Sozialgefüge vorhandenen Solidarität. Es erfolgte ein Angriff auf, aber kein Eingriff in die Glaubenswahrheiten, und die Funktion des Lehramtes war intakt. (Fs)

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