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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Krisen der Kirche; Jerusalem; Trennung: theoretisches - praktisches Urteil; Dogma - Geschichte

Kurzinhalt: Die Sphäre der Geschichtlichkeit wird ein für alle Mal von der des Dogmas unterschieden.

Textausschnitt: 12. Die Krisen der Kirche. Jerusalem (50 n. Chr.)

14a Heutzutage pflegt man die Phänomene unseres Jahrhunderts als völlig neu hinzustellen, als seien sie ihrem Wesen und Ausmaß nach beispiellos gegenüber den Ereignissen der Vergangenheit. Die gegenwärtige Krise sei ohne Entsprechung in der Kirchengeschichte und demnach ebenso die derzeitige Erneuerung. Wir werden später sehen, ob diese Auffassung stichhaltig ist, zunächst aber dürfte es zweckmäßig sein, die von den Geschichtsschreibern erfaßten früheren Krisen der Kirche zu beleuchten. (Fs)

Da wäre, so meinen wir, an erster Stelle das Konzil von Jerusalem im Jahre 50 zu erwähnen. Da nun jede Krise den im Gegensatz zu ihr stehenden Synkretismus ausschließt, beseitigt das berühmte, von Judas und Silas der Heidenchristengemeinde von Antiochia überbrachte Dekret den entstehenden Synkretismus, der durch die Vermischung von Evangelium und Thora der neuen Botschaft ihre Eigenart und Transzendenz genommen hätte. (Fs)

14b Das Konzil von Jerusalem war aber auch in anderer Hinsicht überaus krisenhaft, denn es trennte für immer das theoretische und das praktische Urteil voneinander, das Bewerten der Prinzipien und das ihrer Anwendungen, in der Weise, daß nicht für die Prinzipien, sondern für deren Umsetzung in biegsamen Situationen eine Biegsamkeit besteht, die sich im Bereich der Religion an der Nächstenliebe orientiert. So ging es bei dem bekannten Auftritt des Paulus gegen Petrus in Antiochia, nachdem die beiden Apostel bereits in Jerusalem das jüdische Gesetz einmütig als veraltet, d.h. überwunden, angesehen hatten, um das »conversationis vitium, non praedicationis«, wie Tertullian sagt (De praescript. haeret. 23), um die Folgerungen aus dem Prinzip, nicht um das Prinzip an sich. (Fs)

15a So verhielt es sich mit der Praxis des Petrus, der sich gegenüber der rituellen Sensibilität der aus der Synagoge stammenden Brüder nachgiebig verhielt, - eine Praxis, die von seiner eigenen Haltung gegenüber den aus dem Götzendienst stammenden Brüdern abwich und die von Paulus, dann aber auch von Petrus selbst, wie man sah, sowie von der gesamten Kirche getadelt wurde. Es sind Meinungsverschiedenheiten über das praktische Verhalten oder, so kann man es auch nennen, Fehler, die daher rühren, daß nicht sofort oder nicht klar das Band erkannt wird, das zwischen einem Prinzip und einer konkreten historischen Lage besteht. Solche Meinungsverschiedenheiten und Fehler lebten in der Kirche fort, von Paschalis IL, der das mit Heinrich V. unterzeichnete Konkordat kündigte, über Clemens XIV., der den Jesuitenorden aufhob und das non possumus seiner Vorgänger verwarf, bis zu Pius VIL, der die Abkommen mit Napoleon widerrief, sich dann öffentlich bezichtigte, der Kirche Ärgernis gegeben zu haben, und sich selbst als Strafe auferlegte, für einige Zeit von der Zelebration der Messe abzusehen. Diese Unterscheidung zwischen der veränderlichen Sphäre der Disziplin, des Rechts, der Politik und der unveränderlichen Sphäre des porro unum est necessarium* setzte ohne Zweifel mit dem Konzil von Jerusalem ein und stellt die erste Krise der Kirche dar: Die Sphäre der Geschichtlichkeit wird ein für alle Mal von der des Dogmas unterschieden. (Fs)

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