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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Kirche; Krise - positive Deutung: falsche Theodizee; das Üble bringt nichts Gutes hervor

Kurzinhalt: ... der hl. Thomas von Aquin lehrt, daß »das nachfolgende Ereignis einen Akt, der gut war, nicht in einen bösen wandelt, noch einen Akt, der böse war, in einen guten«

Textausschnitt: 10. Zur positiven Deutung der Krise. Falsche Theodizee

11a Der unberechtigte Optimismus im Hinblick auf den Glaubensverfall, die Apostasie der Gesellschaft, die Abwendung vom Gottesdienst und die Sittenverderbnis entspringt einer falschen Theodizee. Es heißt1, die Krise sei etwas Gutes, weil sie die Kirche zur Bewußtseinsnahme und Suche nach einer Lösung zwinge. In solchen Behauptungen ist einschlußweise die Leugnung des Übels nach Art des Pelagius enthalten. Wenn es stimmt, daß die Übel Anlaß zu guten Dingen geben, so bleiben sie dennoch, um es zu unterstreichen, Übel und verursachen als solche keinerlei Gutes. Heilung ist unleugbar etwas Gutes, gemessen an der Krankheit, und durch diese bedingt, aber sie ist weder ein der Krankheit innewohnendes Gutes, noch hat sie in dieser ihre Ursache. (Fs)

11b Die katholische Philosophie hat die Dinge niemals derart verwechselt, und der hl. Thomas von Aquin lehrt, daß »das nachfolgende Ereignis einen Akt, der gut war, nicht in einen bösen wandelt, noch einen Akt, der böse war, in einen guten«2. Nur mit der Geisteshaltung des Circiterismus, typisch für unser Jahrhundert, kann man die Krise positiv einschätzen und an gute Ereignisse denken, die bald daraus hervorgehen würden. Letztere sind, wie es der hl. Thomas von Aquin scharfsinnig ausdrückt, eben keine Auswirkungen des Übels, zu dem lediglich Mängel gehören, sondern bloß Ereignisse. In ihnen sind andere Ursachen als das Übel wirksam geworden. Die Ursachen für eventuelle gute Folgeerscheinungen der Krise stehen in keinem Kausalkonnex mit der Krise, die bloß Krise ist, sondern in einem anderen Kausalitätsverhältnis. (Fs)

11c Hier ist offensichtlich die gesamte Metaphysik des Übels mitbetroffen, in die wir nicht weiter vordringen wollen. Es ist allerdings wichtig, im Gegensatz zu jenem unberechtigten Optimismus folgendes zu betonen: Verbinden sich mit der Krise gnadenvolle Ereignisse, wie z.B. mit der Verfolgung das Martyrium, dem Leid die Lektion (Aischylos), der Prüfung reichlicherer Lohn, der Häresie die Klärung der Wahrheit, so ist das Ereignis keine Auswirkung des Übels, sondern eine Ausweitung des Guten, die das Übel von sich aus nicht vollbringen kann1. Mißt man der Krise Gutes bei, das sich ja außerhalb der Krise befindet und aus etwas anderem hervorgeht, dann liegt dem ein unzulänglicher Begriff von der Ordnung der Vorsehung zugrunde. In dieser Ordnung verharren nämlich Gutes und Übel bei der ihnen jeweils innewohnenden Essenz (Sein und Nichtsein, Effizienz und Defizienz), gelangen aber in ein Gesamtgefüge der Gutheit. Gut ist das Gesamtgefüge, nicht die dort hinein gelangenden Übel, obwohl man sie in diesem Falle katachrestisch gute Übel nennen könnte, wie es Niccolò Tommaseo getan hat. Führt man sich die Ordnung der Vorsehung vor Augen, wird verständlich, daß »in die Welt von oben die von unten sich einfügt« (Dante, Paradiso IX,108), d.h. die Vorsehung auch das Abirren des Geschöpfs von der Ordnung (und selbst die Verdammnis) in die endgültige Ordnung einbezieht. Es ist die Ordnung, die das Endziel des Universums begründet, die Glorie Gottes und der Auserwählten. (Fs)

11. Weiteres zur falschen Theodizee

12a Das erfreuliche Ereignis, das auf die Krise der Kirche bald folgen werde, ist also a posteriori und ändert nichts am negativen Charakter der Krise, geschweige denn, daß es sie wünschenswert macht, wie einige ohne Zögern behaupten. Der unberechtigte Optimismus ist auf dem Holzweg, weil er dem Übel die Fähigkeit zuschreibt, gute Früchte zu tragen, die hingegen nur dem Guten eigen ist. Der hl. Augustinus hat den Sachverhalt sehr gelungen formuliert: »Derart ist nämlich (Gottes) Allmacht, daß Er selbst aus Übeln Gutes machen kann, sei es durch Verzeihen, Heilen, Umstellen und Wenden zum Nutzen hin, sei es auch durch strafendes Einschreiten: all dies ist ja Gutes«12. Nicht das Übel erzeugt im nachhinein von sich selbst aus das Gute, vielmehr hat dieses Vermögen allein eine andersgeartete, positive Wesenheit (letztendlich Gott). Daß die Übel sich schließlich, obwohl von der Vorsehung zugeordnet, nicht in Gutes verwandeln können, geht vor allem aus der Möglichkeit hervor, die Augustinus am Schluß nennt, aus der strafenden Gerechtigkeit. Etwas Gutes ist, daß die Sünden mit Verdammnis gestraft werden, aber deswegen sind die mit Verdammnis gestraften Sünden keine guten Dinge. Nach der Lehre der katholischen Theologie erfreuen sich die Seligen somit der gerechten Ordnung, in die die Vorsehung die Sünder gestellt hat, doch nicht ihrer Sünden selbst, die Übel bleiben. Die Abhängigkeit gewisser Güter von gewissen Übeln ist eine Verkettung, auf die sich einige - eben durch Defekte bedingte - Tugenden gründen. So ist die Bußfertigkeit durch Sünde, die Barmherzigkeit durch Elend, das Verzeihen durch Schuld bedingt. Gleichwohl bedeutet dies nicht, daß Sünde, Elend und Schuld Gutes wären, so wie es die Tugend ist, die durch sie bedingt ist. (Fs)


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