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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - das religiöse und theologische Ungenügen

Kurzinhalt: Das wissenschaftliche Ungenügen vieler deutscher Bischöfe des 16. Jahrhunderts ist notorisch. Es fehlten ihnen die Kenntnisse, die sie befähigt hätten, der Religionsneuerung fundiert zu begegnen.

Textausschnitt: 8. Das religiöse und theologische Ungenügen

96c Bischöfe müssen tief im Glauben verwurzelte Männer sein. Denn sie sollen ja zu ihrem Teil den Glauben ihrer Anvertrauten tragen und stützen. Sie müssen in echter Frömmigkeit ein lebendiges Verhältnis zu Gott und warme Liebe zur Kirche haben. Denn nur aus der Kraft dieser Verbindung können sie segensreich wirken. Sie müssen schließlich eine gute Kenntnis der Theologie besitzen. Denn sie sind die obersten Lehrer ihres Bistums. Aber um diese Erfordernisse war es bei vielen Bischöfen des 16. Jahrhunderts schlecht bestellt. Sie waren nicht genügend religiös, d. h. in Gott verwurzelt, im Gebet erfahren und von Eifer für Gottes Ehre erfüllt. Sie zeigten eine ungenügende Wertschätzung des Gottesdienstes, vor allem der hl. Messe, sei es, daß sie selbst selten zelebrierten, sei es, daß sie nur unregelmäßig an der Feier des Meßopfers teilnahmen. Es war eine mittlere Sensation, wenn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Bischof sich den Ignatianischen Exerzitien unterwarf. Die ungenügende Religiosität der Bischöfe zeigte sich besonders deutlich in dem Ausbleiben einer angesichts der erschütternden Ereignisse ihrer Lebenszeit zu erwartenden Bekehrung bei den meisten. Daß eine nennenswerte Zahl von Bischöfen in sich gegangen wäre, an die Brust geklopft und ihre Schuld eingestanden hätte, ist nicht festzustellen. Es gab nur höchst selten einen deutschen Bischof, der eine so durchgreifende innere Wandlung erlebt hätte wie etwa Tommaso Campeggio, der Bischof von Feltre. Bezeichnend für die Lage ist, daß es als ein gutes Zeichen galt, wenn ein Fürstbischof die Priester- und Bischofsweihe empfing. Allerdings ist weder der Empfang der Weihen in jedem Falle ein Zeichen religiösen Eifers noch seine Unterlassung ein Beweis für areligiöse Einstellung. Zu vielfältig waren die Motive, deretwegen jemand die Weihen empfing oder darauf verzichtete. Aber das religiöse Ungenügen zahlreicher Bischöfe des 16. Jahrhunderts ist notorisch. Bei zu vielen fehlte das aufrüttelnde Beispiel eines strengen, frommen, rastlosen und eifrigen Lebens im Dienste Gottes und der Kirche. Wie in der heutigen Zeit nicht selten Laien an Tiefe der religiösen Überzeugung Geistliche übertreffen, so war es auch im 16. Jahrhundert. (Fs)

97a Viele Bischöfe waren auch theologisch unzureichend gebildet, ja geradezu unwissend. Eine einigermaßen genügende Kenntnis der Theologie war aber unentbehrlich in einer Zeit, wo fortwährend um Fragen des Glaubens gerungen wurde. Ein Bischof, der hier nicht mitreden konnte, schloß sich selbst von wichtigen Entscheidungen aus. Die Vertretung durch die häufig theologisch besser gebildeten Weihbischöfe vermochte den Ausfall des Diözesanbischofs nicht zu ersetzen. Das wissenschaftliche Ungenügen vieler deutscher Bischöfe des 16. Jahrhunderts ist notorisch. Es fehlten ihnen die Kenntnisse, die sie befähigt hätten, der Religionsneuerung fundiert zu begegnen. Kein einziger Bischof war bis in die vierziger Jahre in der Lage, Luther literarisch entgegenzutreten. Petrus Canisius schrieb in seinem 1576 für Kardinal Morone angefertigten Gutachten, die meisten deutschen Bischöfe seien infolge ihrer Unkenntnis des Kirchenrechts kirchlichen Strafen verfallen, und ein beträchtlicher Teil von ihnen sei durch unrechte Mittel zu seiner Position gekommen. In seinem Gutachten von Sommer 1576 apostrophierte Petrus Canisius "die durchwegs schlafmützigen Bischöfe", deren Unwissenheit "besonders kraß" im Kirchenrecht sei. Im Januar 1583 betrachtete Petrus Canisius die deutschen Bischöfe als "in religiösen Dingen gänzlich unwissend". Nach Hermann Tüchle hatten die Bischöfe "fast keine Ahnung mehr vom theologischen Gehalt, vom sakramentalen Charakter ihrer Würde und ihrer Aufgaben". Die Bischöfe "wußten sich nicht mehr als Lehrer ihrer Diözese, noch als die ersten verantwortlichen Seelsorger" (Hermann Tüchle). (Fs)

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