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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Neigung zum Protestantismus

Kurzinhalt: Es unterliegt keinem Zweifel, daß es im 16. Jahrhundert nicht ganz wenige Bischöfe gab, die zum Protestantismus tendierten; einige von ihnen vollzogen den Abfall, andere schreckten davor zurück.

Textausschnitt: 5. Die Neigung zum Protestantismus

83b Es unterliegt keinem Zweifel, daß es im 16. Jahrhundert nicht ganz wenige Bischöfe gab, die zum Protestantismus tendierten; einige von ihnen vollzogen den Abfall, andere schreckten davor zurück. Es lassen sich folgende drei Gruppen unterscheiden. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Bischöfen war im katholischen Glauben nicht genügend verwurzelt. Es fehlte ihnen an der tiefgegründeten Überzeugung. Sie waren nicht in der Lage, sich selbständig ein abgerundetes Urteil über die grundstürzende Verfehltheit der neuen Lehre zu bilden. Manche dieser Bischöfe waren an Fragen der Lehre wenig interessiert; sie scheinen teilweise oder zeitweilig einem theologischen Skeptizismus angehangen zu haben. Die Wahrheit ging ihnen nicht über alles. Die alleinige Berechtigung der katholischen Lehre stand ihnen nicht fest. Manche Angehörige dieser Gruppe konnten ebensogut katholisch bleiben wie protestantisch werden, je nachdem, was Gunst und Vorteil empfahlen. (Fs) (notabene)

83c Eine weitere Anzahl von Bischöfen war dem Protestantismus innerlich zugetan, brach aber aus irgendwelchen Rücksichten nicht mit der Kirche, sie zauderten und warteten ab, ob sich der Abfall ohne Schaden für ihre Stellung und ihre Einnahmen vollziehen ließ. Scharf beobachtende Anhänger der Religionsneuerung erkannten, daß manche Bischöfe nur unter dem Druck des Heiligen Stuhles und seiner Nuntien etwas gegen die Irrlehre unternahmen und nur so viel taten, daß sie sagen konnten, sie wären nicht untätig geblieben. Luther meinte 1542 in einer Tischrede, der Würzburger Bischof Konrad von Bibra verhalte sich so, als sei er Lutheraner. Von einem Teil der geistlichen Fürsten trifft es mit Sicherheit zu, daß sie "spekulierten und lauerten, wer wohl die Oberhand behalten werde, um dann dem Sieger die Hand zu reichen", wie sich Herzog Georg von Sachsen ausdrückte. In der Schrift an den Deutschen Orden von 1523 schrieb Luther: "Mir ist schier kein Zweifel, es sollten auch mancher Bischof, Abt und andere geistliche Herrn zur Ehe greifen, wenn sie nur die ersten nicht wären und die Bahn zuvor wohl gebahnt und solches Freien gemein wäre geworden, daß es nimmer Schande oder Gefahr hätte, sondern löblich und ehrlich vor der Welt wäre." Im Jahre 1532 war der venezianische Gesandte Tiepolo der Ansicht, es gebe deutsche Bischöfe, die nach dem Beispiel des Hochmeisters des Deutschen Ordens heiraten und ihre Stifte in weltliche Territorien umwandeln möchten. Der Nuntius Giovanni Morone erwähnte am 12. Juli 1537 die von den Lutheranern an die geistlichen Fürsten gerichteten Verlockungen, zu heiraten und ihren Besitz in erbliche Fürstentümer zu verwandeln, und er gewann den Eindruck, daß viele Bischöfe schwankten, ob sie dem Vorschlag folgen sollten. Der Nuntius Delfino äußerte am 2. Juni 1555 gegenüber Paul IV. die Besorgnis, daß innerhalb kurzer Zeit (nach Abschluß des sogenannten Religionsfriedens) der größere Teil der Prälaten sich verheiraten und seine Länder säkularisieren werde. Es ist freilich nicht bei jedem Bischof Sicherheit zu gewinnen, wo er religiös und theologisch stand. Es lassen sich auch total falsche Urteile von Nuntien und Legaten über deutsche Bischöfe beobachten. Beispielsweise stellte Campeggio am 23. Juni 1532 dem Franz von Waldeck das beste Zeugnis aus. (Fs)

84a Eine nicht ganz unerhebliche Zahl deutscher Bischöfe verriet schließlich tatsächlich den Glauben und die Kirche und ging zum Protestantismus über. So können Männer wie Georg von Polentz und Erhard von Queis nur als Verräter bezeichnet werden. Teilweise vollzog sich der Abfall unter beschämenden Umständen wie etwa bei Matthias von Jagow und Johannes von Haugwitz. Besonders herausragende Abtrünnige waren die beiden Erzbischöfe von Köln, Hermann von Wied und Gebhard Truchseß von Waldburg. August Franzen stellt für eine ganze Serie von ungenügenden Kölner Erzbischöfen fest: "Das rheinische Volk aber hielt all diesen Belastungen stand. Es blieb in seiner überwiegenden Mehrheit katholisch, nicht wegen, sondern trotz seiner Bischöfe." Daß ihr Abfall nicht zur Zerstörung der Kirche führte, war dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren zu verdanken. (Fs)

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