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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - das fehlende Vertrauen des Klerus und des Volkes zu den Bischöfen

Kurzinhalt: Zwischen Bischof und Klerus bestand im 16. Jahrhundert regelmäßig keine enge Verbindung, geschweige denn ein Vertrauensverhältnis, ...

Textausschnitt: 6. Das fehlende Vertrauen des Klerus und des Volkes zu den Bischöfen

73a Zwischen Bischof und Klerus bestand im 16. Jahrhundert regelmäßig keine enge Verbindung, geschweige denn ein Vertrauensverhältnis, vielfach nicht einmal ein lockerer Kontakt. Die fürstliche Stellung der Bischöfe hatte meist eine Lebensweise zur Folge, die sie vom Klerus schied. Der Bischof lebte in Schlössern und hielt hof, der Klerus führte überwiegend ein bescheidenes Leben. Bischof und Klerus waren nicht miteinander verbunden und schon gar nicht verwachsen. Das unzureichende Einkommen vieler Geistlicher war der Grund, daß sie dem Bischof grollten, der sie ihrer Meinung nach zu hoch besteuerte, und daß sie mit den Verhältnissen unzufrieden waren. Die Strafgelder, die der Bischof von konkubinarischen Geistlichen einheben ließ und die durch Wiederholung beinahe den Charakter von Gebühren annahmen, vertieften die Kluft zwischen Hirten und Oberhirt; sie warfen dem Bischof vor, er beute die sittlichen Verfehlungen des Klerus fiskalisch aus. Das Recht, zugunsten von Kindern, die aus dem Konkubinat hervorgingen, ein Testament zu errichten, ließ man sich wiederum bezahlen. Es gab tatsächlich so etwas wie einen Klassengegensatz zwischen Diözesanoberhirt und Geistlichkeit. Ihn machte sich die protestantische Irrlehre zunutze. (Fs)

74a Der Klerus selbst war ebensowenig eine Einheit. Zu verschieden waren Bildung, Stellung und Einkommen. Man denke etwa an den Abstand zwischen Stiftsgeistlichkeit und Seelsorgeklerus. Auch zwischen Welt- und Ordensklerus bestanden nicht ganz selten scharfe Differenzen. Die Gegensätze im Klerus wurden durch die Privilegien des Adels bei der Besetzung von Benefizien verschärft. Der Irrlehre hätte durch eine geschlossene Front des Klerus Widerstand geboten werden müssen, aber eine solche gab es nicht. Die Geistlichen bildeten keine geeinte Phalanx. Eine Elite, die gespalten ist, schaufelt sich selbst das Grab. (Fs)

74b Ähnliches wie für die Beziehung von Bischof und Klerus gilt für das Verhältnis von Bischof und Laien. Um das Volk gut zu führen, muß man es kennen und verstehen und darum ein Stück weit sein Leben teilen. Davon konnte im 16. Jahrhundert keine Rede sein. Der Abstand von Bischof und Volk war groß, zu groß. Die Abstammung der meisten Bischöfe aus adligen und fürstlichen Häusern war nicht geeignet, ein festes Band um den Oberhirten und seine Herde zu schlingen. Ihre Tätigkeit erreichte häufig das Volk nicht, weil es eine solche gar nicht gab. Der Kontakt, der durch die regelmäßige Predigt und durch die Spendung der Firmung zwischen Bischof und Gläubigen hergestellt wird, bestand in vielen Bistümern nicht, weil ihr Oberhirt weder predigte noch firmte. Viele Bischöfe besaßen nicht die Gabe volkstümlicher Sprache, falls sie sich überhaupt mit der Rede an das Volk wandten. Die meisten Bischöfe bewegten sich zu wenig unter dem Volk. Sie zogen nicht rastlos und unermüdlich von einem Ende ihrer Diözese zum anderen, mahnend und warnend, aufrichtend und tröstend, sich der Kranken annehmend und die Unwissenden belehrend. Auch das Finanzwesen der Kirche führte zur Ferne, ja zur Entfremdung von Hirt und Herde. Der kirchliche Fiskalismus, der ja bis zu einem gewissen Grad notwendig war und doch auch dem Volk zugute kam, wurde zumindest übertrieben und verzerrt dargestellt. Das schlechte Verhältnis von Bischof und Volk mußte die lutherische Bewegung begünstigen. Wie die Erfahrung zeigt, hängt bei vielen Menschen ihr schwacher Glaube zum erheblichen Teil von dem Kredit ab, den sie führenden Persönlichkeiten, also zuerst den Bischöfen, entgegenbringen. Da nun das Vertrauen zahlloser Gläubiger zu ihren Oberhirten fehlte, vermochte die lutherische Agitation ihre Verwüstungen in den Seelen anzurichten. (Fs)

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