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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Freiheit von Gesetzen

Kurzinhalt: enige Aufstellungen Luthers ebneten seiner Bewegung so sehr den Weg wie seine Botschaft von der Freiheit und seine Attacken auf das Recht.

Textausschnitt: 3. Die Freiheit von Gesetzen

48b Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß gern gehört wird, wer die Notwendigkeit einschneidender bestehender Ordnungen in Frage stellt und den Zwang lästiger geltender Gesetze attackiert. Jedermann vernimmt bereitwillig die Botschaft von der Freiheit. Im Falle der Konkurrenz zwischen Strenge und Bequemlichkeit fällt den Menschen die Entscheidung nicht schwer. Wer den Menschen Erleichterungen verspricht, ist immer im Vorteil gegenüber jenem, der ihnen Beschwernisse auferlegt. (Fs)

48c Man muß sich einmal die Lage vorstellen, die durch die Predigt der neuen Lehre im 16. Jahrhundert entstand. Katholisch sein und bleiben bedeutete Unterstellung unter den Bischof, unter seine lästige Gesetzgebung und seine noch lästigere Gerichtsbarkeit. Katholisch sein und bleiben beinhaltete Beobachtung der strengen, tief in das Leben eingreifenden und die Eßlust störenden Fastengebote. Katholisch sein und bleiben bedeutete Unterwerfung unter die Bußdisziplin der Kirche mit ihrem Gebot der Einzelbeicht aller schweren Sünden nach Art und Zahl. Die sittlichen Zustände im Volk waren vor Beginn der lutherischen Bewegung gewiß vielerorts ungünstig. Trunksucht, Spielsucht und Unzucht waren weit verbreitet. Aber es gab ein Regulativ. Die Lehren und die Vorschriften der Kirche beschränkten vielfältig die Sinnenlust, und selbst wenn sie übertreten wurden, ließen sie in dem Gewissen die heilsamen Vorwürfe entstehen. Die Verpflichtungen, welche die Kirche auferlegte, wurden nun von vielen als lästig empfunden. Sie minderten die persönliche Freiheit und störten den Lebensgenuß. Der Zeitgeist sprach daher für eine Erleichterung der kirchlichen Gebote. (Fs)

48d Nun trat der Wittenberger auf. Er verkündete das "Evangelium" von der "Freiheit" und führte einen unnachsichtigen Feldzug gegen das Recht. Wenige Aufstellungen Luthers ebneten seiner Bewegung so sehr den Weg wie seine Botschaft von der Freiheit und seine Attacken auf das Recht. Die Freiheit von Papst und Hierarchie, die Freiheit von Satzungen und Strafen, die Freiheit von Abgaben und Taxen, das alles mußte ihm die freudige Gefolgschaft der Massen einbringen. Die strengen Gesetze und die feste Ordnung der katholischen Kirche galten auf einmal nicht mehr; an ihre Stelle traten Freiheit und Selbstbestimmung, nicht selten Gutdünken und Willkür. Was die Neugläubigen verkündeten, war die Freiheit des Fleisches oder wurde jedenfalls so verstanden. Die Bedenken und die Vorwürfe des Gewissens, die den Übertreter und den Verächter der Gebote und der Vorschriften getroffen hatten, hörten auf. Das Luthertum befreite die Menschen davon, indem es jene Lehren und Satzungen aufhob, ja verwarf. (Fs)

49a Zeit seines Lebens führte Luther einen erbitterten Kampf gegen das Kirchenrecht, das er ja in schwerster Weise selbst übertreten und dessen Strafsanktionen er sich zugezogen hatte. Er bedachte das kanonische Recht mit den schlimmsten Schimpfworten und warf es weg. Fast das gesamte Recht der Kirche wurde als Menschenwerk abgetan, das gegen Gottes Wort stehe, ja des Antichrists Gebot sei. Sein Kampf gegen das Kirchenrecht mit seinen teilweise lästigen und einengenden Bestimmungen - man denke nur an seinen Kampf gegen die Ehehindernisse - mußte von der Masse begeistert begrüßt werden. Ebenso konnte die Aussicht, der geistlichen Gerichtsbarkeit in religiösen und sittlichen Fragen ledig zu werden, auf die Menschen nur faszinierend wirken. Denn in jedem Menschen lebt nun einmal, eingestanden oder uneingestanden, die Sehnsucht nach der Freiheit des Fleisches. Der Erfolg dieser Botschaft ist denn auch vielfältig bezeugt. Kein anderer als Melanchthon schrieb: "Begierig werden jene auf Beifall berechneten Predigten aufgenommen, welche die Freiheit erweitern und die Zügel der Leidenschaften lockern" (Avide accipiuntur illae tribunitiae conciones, quae libertatem amplificant et frenos cupiditatibus laxant). Johann Brenz erklärte im Jahre 1534: "Die Obrigkeit strebet nach der Klöster Gütern und dem Einkommen der Pfaffen, der Pöbel aber nach Freiheit, nach allem seinem Mutwillen straflos zu leben." Im Jahre 1537 schrieb Georg Witzel: "Durch den Kunstgriff, ihren Zuhörern ein fleischliches Leben zu gestatten, laden unsere Häretiker die Völker zu sich ein und halten sie bei sich fest." Der Ottobeurener Benediktiner Nikolaus Ellenbog schrieb am 13. Dezember 1542, die Protestanten seien nicht ununterrichtet, sondern mit Wissen vom Glauben abgefallen (Nee enim ignari sed scientes a fide orthodoxa deficiunt). Als Grund gab er die fleischliche Freiheit an (ob libertatem - nescio quam - carnalem, quam in velamen malitiae praetendere laborant). (Fs)

49b Im einzelnen fielen durch den protestantischen Aufstand zahlreiche einschneidende Vorschriften dahin. Die Pflicht zur Beobachtung vieler Feiertage wurde aufgehoben. Man versprach sich davon wirtschaftlichen Gewinn, was zu der ganzen diesseits gerichteten Grundhaltung des Protestantismus paßte, nahm aber auch die stärkere Ausbeutung der Arbeitskraft bewußt in Kauf, was an die Verwandtschaft von Kapitalismus und Protestantismus erinnert. Die Verpflichtung zum Besuch der Messe und zur Teilnahme am Gottesdienst an den Sonn- und Feiertagen entfiel, jedenfalls zunächst, bis das Volk zwangsweise dem protestantischen Kult zugeführt wurde. In der Gestaltung des Gottesdienstes gab es oder nahm man sich große Freiheit. Die"Hauptsache war, daß alles spezifisch Katholische unterblieb, also vor allem der große und der kleine Kanon fortgelassen wurden. Die lateinische Sprache wurde zum größten Teil aufgegeben, und man ging zur Landessprache über. Das Volkstümliche an dem neuen Religionssystem wirkte bestechend. Deutsche Lieder, deutsche Psalmen und deutscher Gottesdienst stießen in der Bevölkerung auf begreifliche Vorliebe. Man denke an die sogenannten Reformen, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche durchgeführt wurden. Einen Riesenerfolg hatte der Protestantismus mit dem Abbau der Bußdisziplin. Dem durchschnittlichen Christen war es angenehm, daß Fasten und Beichten entfielen. Es ist bezeichnend, daß nicht selten der Bruch mit dem katholischen Glauben sich zuerst im Fleischessen während der Fastenzeit kundtat. Was den anfänglichen Erfolg der allgemeinen, offenen Beicht betrifft, so erinnere man sich zum Verständnis des zuerst großen Zuspruchs, den die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeführten Bußgottesdienste fanden; sie gestatteten dem lauesten Katholiken, ohne Mühe zu einem (scheinbar) guten Gewissen zu kommen. (Fs)

50a Die Ursachen, die bei dem Abfall zum Protestantismus wirksam waren, entfalteten ihre Macht auch bei dem Bemühen, die Menschen für den katholischen Glauben zurückzugewinnen. Daß es, allerdings in sehr verschiedenem Umfang, Widerstand unter der Bevölkerung gegen die Rekatholisierung gab, ist alles andere als unverständlich. Der Mensch gewöhnt sich bekanntlich an nichts schneller als an Annehmlichkeiten. Die Erleichterungen der neuen Lehre wurden daher nicht nur von vielen begierig aufgegriffen, sondern auch hartnäckig festgehalten. Sie wollten die "Errungenschaften" der sogenannten Reformation nicht aufgeben und zu den lästigen Geboten der katholischen Kirche zurückkehren. Sie hatten keine Lust, die Fastenzeit und die Freitage sich von Speisen zu enthalten, kirchliche Feiertage zu begehen und ihre Sünden in einem-persönlichen Einzelbekenntnis darzulegen. Sie dachten nicht daran, die Ehescheidung wieder preiszugeben, die ihnen das neue Evangelium großzügig einräumte. Man hatte keine Sehnsucht, die strenge kirchliche Gerichtsbarkeit wieder aufgerichtet zu sehen und vor dem Sendgericht erscheinen zu müssen, um dort vor der Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Man erinnere sich nur der großen Zahl derer, die in kirchlich ungültigen Ehen lebten und die sich nach einer Wiederherstellung der katholischen Religion hätten trennen müssen, weil ihre Verbindung unheilbar nichtig war. Daß sie dem katholischen Glauben erbittert Widerstand leisteten, ist begreiflich. (Fs)

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