Datenbank/Lektüre


Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Zauber der "Reform"

Kurzinhalt: Wenige Worte erlangten im 15. und 16. Jahrhundet solche Bedeutung wie das der "Reform". Lange vor dem Auftreten Luthers sprach man allenthalben in der Kirche von notwendigen und wünschenswerten Reformen.

Textausschnitt: 4. Der Zauber der "Reform"

40b Reform ist ein positiv befrachtetes Wort. Es bedeutet so viel wie Fortschreiten zum Besseren. Wer in der Lage ist, seine Gedanken und Forderungen als Reform auszugeben, ist von vornherein in der Vorhand gegenüber den Verteidigern des Status quo. Ihm bleibt die Notwendigkeit, seine Pläne rational zu rechtfertigen, zumindest bis zu einem gewissen Grade erspart. Die suggestive Kraft des Wortes "Reform" sichert ihm von vornherein einen Teil des Erfolges. Jedermann ist davon überzeugt, daß Reformen notwendig sind, aber nur wenige fragen nach der Berechtigung des Zieles, auf das sie hinauslaufen. So ist es beispielsweise in unserer Zeit üblich geworden, die Erleichterung der Ehescheidung, also etwa den Übergang vom Verschuldensprinzip zum Zerrüttungsprinzip, als "Reform" zu bezeichnen. Die Gegner der "Reform" werden regelmäßig sachlich und moralisch disqualifiziert. Sie gelten als inkompetent, kurzsichtig, eigennützig und unbeweglich. (Fs)

40c Wenige Worte erlangten im 15. und 16. Jahrhundet solche Bedeutung wie das der "Reform". Lange vor dem Auftreten Luthers sprach man allenthalben in der Kirche von notwendigen und wünschenswerten Reformen. Wer von "Reformen" redete und "Reformen" forderte, der gewann die Menschen für sich. Sie wurden auch von vielen Bischöfen insofern in Angriff genommen, als sie dahingehende Gesetze erließen. "Wäre die Kirche mit Erlassen zu retten gewesen, so hätte es unbedingt geschehen müsen; denn an Erlassen fehlte es weder in Eichstätt noch in Regensburg. Allein die Krankheit lag tiefer; die Reformdekrete standen auf dem Papier, im Klerus und Volk aber wucherte das Übel weiter. Alles schrie nach Reformen, niemand aber wollte sich reformieren lassen" (Johann Baptist Götz). (Fs)

41a Luther trat nun auf als der große "Reformator", und mit dieser Bezeichnung ist er ja in die Geschichte eingegangen. Er erhob den Anspruch, mit seiner Lehre die von so vielen ersehnte Reform zu bringen. Viele gutgesinnte Männer wähnten in den ersten Jahren des Auftretens Luthers, in ihm ein auserwähltes Werkzeug einer wahren kirchlichen Erneuerung zu erkennen; sie meinten, die lutherische Bewegung sei die Erfüllung der Sehnsucht nach einer Reform der Kirche. Ganz richtig weist Ernst Tomek darauf hin, daß die Menschen "schon dem allzeit wirksamen Zauber des Wortes Reform" verfielen. Die offenkundige Reformbedürftigkeit der Kirche lieferte dem Protestantismus das beste Werbematerial. "Die Beseitigung von Mißständen wurde in einer emotional geladenen Atmosphäre nicht in Angriff genommen, und erst diese Unterlassung, nicht die Mißstände selbst, führte in ihrer Konsequenz zur Zertrümmerung der sichtbaren Kirche" (Winfried Becker). Es kann selbstverständlich keine Rede davon sein, daß die Zustände in der katholischen Kirche das Auftreten von Männern wie Luther, Zwingli und Calvin notwendig gemacht hätten. Aber eine wahre Erneuerung war unerläßlich. Wegen der Werbekraft des Begriffes Reform haben die besten Männer des 16. Jahrhunderts nicht aufgehört, darauf zu drängen, daß der sogenannten Reformation die echte katholische Reform entgegengestellt werde. (Fs)

41b Die Berufung auf die "Reform", die er angeblich vornehme, führte Luther nicht nur ungezählte Anhänger zu, sondern erklärt auch, weshalb viele Menschen die von ihm inaugurierten Änderungen in der Lehre, in der Kirchenverfassung und im Gottesdienst entweder widerspruchslos oder doch in gutem Glauben hinnahmen. Sie meinten, es handle sich dabei um die Wiederherstellung des ursprünglichen, gottgewollten Zustandes. Durch die Agitation der sogenannten Reformatoren wurde fast das ganze Volk von dem Schlagwort Reform ergriffen, ohne zu erfassen, daß Protestantisierung nicht Erneuerung, sondern Zerstörung der Kirche bedeutete. Katholiken und Protestanten verstanden unter dem Wort "Reform" völlig verschiedene Dinge. Entscheidend war die Stellung zu der Autorität der kirchlichen Oberen und zum Glauben: entweder eine Erneuerung mit Papst und Bischöfen auf der Grundlage der katholischen Lehre oder eine Modelung ohne die Hierarchie im Abfall vom Evangelium. Echte Reformen werden, da sie höhere Anforderungen an die Menschen stellen, von der Masse nicht mit Begeisterung begrüßt, sondern stoßen auf ihren Widerstand. Daß Luther nicht reformierte, sondern zerstörte, ergibt sich u. a. aus der Abwendung zahlreicher ursprünglicher Anhänger von seiner Lehre, die von einer "Reform" nichts oder zu wenig verspürten. Die "ungeheure Anhängerschaft" (Elsa Bernhofer-Pippert), welche die Täufer vielerorts fanden, erklärt sich in der Hauptsache aus der Enttäuschung über die sogenannte Reformation und der Unzufriedenheit mit den aus dieser hervorgehenden religiösen Verbänden. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt