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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Verführungskraft des "Neuen"

Kurzinhalt: Wenn sich das "Neue", "Moderne" und "Zeitgemäße" überdies als das "Ursprüngliche', "Reine" und "Geläuterte" auszugeben versteht, dann ist seiner Werbekraft beinahe keine Grenze gesetzt.

Textausschnitt: 3. Die Verführungskraft des "Neuen"

39b Der durchschnittliche Mensch ist durch Parolen und Schlagworte leicht verführbar. Wer eingängige Devisen für sich und seine Vorstellungen ins Feld zu führen versteht, findet regelmäßig rasch Gefolgschaft. Die Verführungskraft des "Neuen", des "Modernen", des "Zeitgemäßen" ist bekannt. Zahllose Menschen fallen einer Sache allein deswegen zu, weil sie sich mit diesen Prädikaten schmückt. Solange eine Parole neu ist, ersetzt die Neuheit zum erheblichen Teil die innere Einsichtigkeit ihrer Begründung. Die verschiedenen "Reform"-Wellen etwa, die das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt hat, bezogen ihren Schwung regelmäßig nicht aus ihrer argumentativen Kraft, sonern aus der Tatsache, daß sie als neu galten. Wenn sich das "Neue", "Moderne" und "Zeitgemäße" überdies als das "Ursprüngliche', "Reine" und "Geläuterte" auszugeben versteht, dann ist seiner Werbekraft beinahe keine Grenze gesetzt. Was dagegen alt ist, das gilt nicht nur als bekannt, sondern vielfach als verbraucht, überholt, lebensfremd. Alt wird rasch mit veraltet gleichgesetzt. Die Menschen, die beim Alten bleiben, erscheinen leicht als unbeweglich, rückständig, und nicht selten werden sogar ihre Motive in Zweifel gezogen. (Fs)

40a Eben dies alles war bei der protestantischen Bewegung der Fall. Der Protestantismus besaß den Reiz der Neuheit. Er brachte eine Botschaft, welche die Zeitgenossen so noch nie gehört hatten. Das Neuheitserlebnis zog die Menschen an und gewann sie für sich. "Daß die Gegenseite - theologisch so schwach - ein Neues besaß, das war ihre Kraft" (Joseph Lortz). Dieses Neue wurde mit ungeheurem propagandistischen Aufwand an das Volk herangetragen, durch Mundagitation, durch Schriften, durch Lieder und durch Predigten. Da die meisten Menschen nicht nachdenken, ließen sie sich von dem Wortschwall und der Leidenschaft Luthers mitreißen. "Das furchtbare Gewicht" (Joseph Lortz) der öffentlichen Meinung sah eben den Protestantismus als das Richtige, das Bessere, das Zeitgemäße, das Moderne, das Ursprüngliche und das Gottgewollte an. Sich ihm zu entziehen, setzte so viel Mut und Freiheit von Menschenfurcht voraus, wie sie dem durchschnittlichen Zeitgenossen nicht gegeben war. Das Neue besitzt regelmäßig aus sich schon eine Stoßkraft. Im Falle des Protestantismus verband es sich mit einem pseudomissionarischen Drang. Luther und die Lutheraner waren fortwährend im Angriff, trugen die Offensive immer neu vor, setzten unermüdlich zu weiteren Eroberungen an. Die katholische Lehre wurde als überholt und überwunden ausgegeben. Noch heute hat man ein ungutes Gefühl, wenn in Darstellungen der sogenannten Reformationsgeschichte von der "alten" Kirche und den "Altgläubigen" die Rede ist. Die Katholiken waren in der Verteidigung, suchten zu widerlegen und abzuwehren. Damit gerieten sie von vornherein, einmal abgesehen von der Berechtigung und Güte ihrer Sache, ins Hintertreffen. (Fs)

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