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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Lähmung durch den Kompromisskatholizismus

Kurzinhalt: Der Kompromißkatholizismus war weiter von einem irrationalen Wunschdenken geprägt. Viele seiner Anhänger konnten es nicht glauben, daß der Zustand der religiösen und kirchlichen Trennung ein endgültiger bleiben würde ...

Textausschnitt: 4. Die Lähmung durch den Kompromißkatholizismus

23a Einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Ausbreitung des Protestantismus leistete die im katholischen Bereich lange Zeit währende Meinung, zwischen der katholischen Kirche und den Neuerern bestünden keine sich ausschließenden Gegensätze, sondern lediglich Meinungsverschiedenheiten, die sich bei gutem Willen von beiden Seiten ausräumen ließen. Aus dieser Überzeugung entstand der sogenannte Kompromißkatholizismus, bildete sich die sogenannte Vermittlungspartei. (Fs)

23b Der Kompromißkatholizismus erwuchs einmal aus der Leichtgläubigkeit und Vertrauensseligkeit so mancher Katholiken. Sie wollten einfach nicht wahrhaben, daß die Protestanten lieber die Abspaltung von der Kirche in Kauf nehmen als auf ihre Sondermeinungen verzichten würden. Es zeigte sich schon hier ein Zug, der sich durch die Jahrhunderte gleichblieb: Im Durchschnitt sind Katholiken gutmütiger, nachgiebiger und weicher als Protestanten, im Durchschnitt sind Protestanten härter, selbstbewußter und mehr auf ihren Vorteil bedacht als Katholiken. (Fs)

23c Der Kompromißkatholizismus beruhte sodann auf einem Denkfehler. Seine Anhänger verkannten, daß es sich bei dem Gegensatz zwischen Luthertum und katholischem Glauben nicht um Lehrstreitigkeiten handelte, die innerhalb des kirchlichen Glaubens verblieben, sondern um revolutionäre Aufstellungen, die das gesamte kirchliche System sprengten. Die Meinung, die Männer wie Karl V. und Contarini lange Zeit hatten, nämlich es gehe bei den Religionsstreitigkeiten im wesentlichen um Mißverständnisse und sie seien daher mit geduldiger Aufklärung und demütiger Liebe aus der Welt zu schaffen, war falsch. Die Vermittlungstheologen hätten nur Luther genau ins Auge zu fassen brauchen, um zu erkennen, daß dieser selbst eine Übereinstimmung in der Lehre für seine Anhänger und die Katholiken als unmöglich ansah. Dabei lagen Zeugnisse klar denkender Männer über die Unvereinbarkeit von Luthertum und katholischer Kirche frühzeitig vor. Die Kölner Universität verurteilte schon am 30. August 1519 Luthers Thesen. Dem Bischof John Fisher war es 1524 klar, daß Luther nicht zurückgeholt werden könne. Campeggio schätzte in seinem Schreiben vom 5. Januar 1525 das Luthertum als die gefährlichste Irrlehre der Kirchengeschichte ein. (Fs)

23d Der Kompromißkatholizismus war weiter von einem irrationalen Wunschdenken geprägt. Viele seiner Anhänger konnten es nicht glauben, daß der Zustand der religiösen und kirchlichen Trennung ein endgültiger bleiben würde; sie redeten sich vielmehr ein, daß es über kurz oder lang zu einer Vereinbarung und einem Ausgleich kommen werde. Nach wie vor betrachteten sie sich und ihre Gegner als der einen Kirche zugehörig. Allzu lange gaben sich viele Katholiken der Illusion hin, durch Gespräche, Konzessionen und Neuformulierungen eine Versöhnung herbeiführen zu können. Die Kompromißkatholiken glaubten durch Zugeständnisse und Hintansetzung der dogmatischen Unterschiede die Einheit der Katholiken und der Protestanten erreichen zu können. Man kann nur staunen, welchen Selbsttäuschungen sich nicht wenige Bischöfe hingaben, wenn sie meinten, die Neuerer seien mit Zugeständnissen wie dem Laienkelch und der Priesterehe zu beschwichtigen. Der Kompromißkatholizismus vergaß den alten Erfahrungssatz: Wer jedem etwas gewähren will, vermag keinen zu befriedigen. (Fs)

24a Die Hoffnungen der Vermittlungstheologen gründeten sich teilweise auf einzelne Personen im Lager der sogenannten Reformatoren, die angeblich für einen Ausgleich zu gewinnen waren. Vor allem die Geschmeidigkeit Melanchthons wurde mit der Geneigtheit zum Entgegenkommen verwechselt. So stützte sich die Meinung, die Gewährung von Laienkelch und Priesterehe könne die kirchliche Eintracht wiederherstellen, vermutlich auf Äußerungen des letzteren auf dem Augsburger Reichstag von 1530, wonach die Einräumung dieser beiden Erlaubnisse die erwähnte Wirkung haben würde. Tatsächlich machte die ihm eigene Konzilianz den Melanchthon zu keinem Zeitpunkt geneigt, die Dogmen der Kirche ausnahmslos wieder zu bejahen. Cochläus schrieb einmal richtig über ihn, er heuchele zwar in den meisten seiner Schriften den Wunsch nach Frieden und Eintracht, sobald man aber ernstlich mit ihm über die Einigung verhandele, sei niemand so unzugänglich, verschmitzt und frech wie er. (Fs)

24b Die Kompromißkatholiken waren verständlicherweise zuerst unter dem Klerus anzutreffen. Es sei an Männer wie den Augsburger Bischof Christoph von Stadion und den Naumburger Bischof Julius Pflug erinnert. Aber auch unter den Fürsten und Räten hatte der Kompromißkatholizismus viele beharrliche Anhänger. Die Politik Karls V. war fast immer auf Ausgleich der streitenden Parteien und die Versöhnung der Protestanten ausgerichtet. In seiner Umgebung gab es nicht wenige, die diese Bestrebungen mit Hingabe unterstützten. Vor allem die beiden Granvella zielten durchwegs in diese Richtung. Karl V. unterlag allzu lange einer falschen Ansicht über die Protestanten. Er meinte jahrzehntelang, mit Entgegenkommen und Konzessionen ihre Rückkehr zur Kirche erreichen zu können. Er übersah, daß die irdischen Vorteile, die das Luthertum seinen Anhängern gewährte, für diese schwerer wogen als die Einheit im Glauben. Die Nuntien wurden nicht müde, ihm vorzustellen, daß nicht wenige Geistliche lieber ihren Glauben preisgäben als ihre Konkubinen, und deckten damit einen entscheidenden Grund für die Anhänglichkeit vieler an das Luthertum auf. Niemand hat klarer gesehen als Morone, daß den Protestanten an der Einheit lediglich insofern gelegen war, als sie hofften, ganz Deutschland werde ihrer Lehre zufallen. Ähnlich schrieb Campeggio am 6. November 1540 aus Worms, den Protestanten sei es nicht darum zu tun, eine Einigung zu erzielen, sondern neue Anhänger zu werben. Die Enttäuschung, die der Kaiser mit dem Interim erlebte, scheint ihm endlich die Augen geöffnet zu haben. Mit der Abdankung Karls V. war die Vermittlungspartei jedoch keineswegs verschwunden. Vielmehr ging weiterhin eine breite Strömung des Kompromißkatholizismus, wie ihm beispielsweise Kaiser Maximilian II. anhing, durch Deutschland und betörte viele. Sie erreichte zu dieser Zeit sogar die größten Konzessionen. Am 16. April 1564 gestand Pius IV. dem Kaiser und dem Herzog von Bayern den Laienkelch für ihre Länder zu. Einsichtigen Beurteilern der Lage war es klar, daß ein Entgegenkommen gegenüber den Protestanten nicht diese gewann, sondern ihnen weitere Vorteile verschaffte. "Kompromisse beschleunigen nur den Untergang der Religion", schrieb Petrus Canisius an den Würzburger Bischof Friedrich von Wirsberg. Seit dem Regierungsantritt Rudolfs II. (1576) wurden die Fronten klarer, und die sogenannte Mittelpartei, die meinte, die Formen katholischen Glaubens mit reformatorischer Einstellung verbinden zu können, verlor an Boden. Aber unwiederbringlich verloren waren die Jahrzehnte, in denen Illusionen den Kampfgeist gelähmt hatten. (Fs)

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