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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Jesus von Nazareth 1

Titel: Jesus von Nazareth

Stichwort: Seligpreisung 2; Selig, die Trauernden ... Selig die Verfolgten

Kurzinhalt: Die Traurigkeit, von der der Herr spricht, ist der Nonkonformismus mit dem Bösen, sie ist eine Weise des Widerspruchs gegen das, was alle tun und was sich dem Einzelnen als Verhaltensmuster aufdrängt.

Textausschnitt: 116a Kehren wir zurück zur zweiten Seligpreisung: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." Ist es gut, zu trauern und die Traurigkeit seligzupreisen? Es gibt zwei Arten von Traurigkeif, eine Traurigkeit, die die Hoffnung verloren hat, der Liebe nicht mehr traut und der Wahrheit und daher den Menschen von innen zersetzt und zerstört; aber auch die Traurigkeit, die aus der Erschütterung durch die Wahrheit kommt, den Menschen zur Umkehr bringt, zum Widerstand gegen das Böse. Diese Traurigkeit heilt, weil sie den Menschen neu zu hoffen und zu lieben lehrt. Für die erste Traurigkeit steht Judas, der - vom Erschrecken über seinen eigenen Fall getroffen - nicht mehr zu hoffen wagt und in der Verzweiflung sich selbst erhängt. Für die zweite Art von Traurigkeit steht Petrus, der, vom Blick des Herrn getroffen, in Tränen ausbricht, die heilend sind: Sie pflügen das Erdreich seiner Seele um. Er beginnt von Neuem und wird neu. (Fs)

117a Für diese positive Art von Traurigkeit, die eine Gegenmacht zur Herrschaft des Bösen ist, bietet uns Ez 9,4 ein eindrucksvolles Zeugnis. Sechs Männer werden da beauftragt, das Strafgericht an Jerusalem zu vollziehen - an dem Land, das voller Blutschuld, an der Stadt, die voller Unrecht war (9,9). Aber zuvor muss ein in Linnen gekleideter Mann ein Tau (eine Art Kreuzzeichen) auf die Stirn all derjenigen zeichnen, "die über die in der Stadt begangenen Gräueltaten seufzen und stöhnen" (9,4), und die so Bezeichneten sind vom Strafgericht ausgenommen. Es sind Menschen, die nicht mit den Wölfen heulen, die sich nicht in das Mitläufertum mit dem selbstverständlich gewordenen Unrecht hineinziehen lassen, sondern darunter leiden. Auch wenn es nicht in ihrer Macht steht, die Situation im Ganzen zu ändern, so setzen sie der Herrschaft des Bösen doch den passiven Widerstand des Leidens entgegen - die Traurigkeit, die der Macht des Bösen eine Grenze zieht. (Fs)

117b Die Überlieferung hat noch ein anderes Bild heilender Traurigkeit gefunden: Maria, die mit ihrer Schwester - der Frau des Klopas - und mit Maria von Magdala und mit Johannes unter dem Kreuz steht (Joh 19,25fr). Wieder finden wir - wie in der Ezechiel-Vision - in einer Welt voller Grausamkeit und Zynismus oder furchtsamen Mitläufertums die kleine Schar von Menschen vor uns, die treu bleiben; sie können das Unglück nicht wenden, aber in ihrem Mit-leiden stellen sie sich auf die Seite des Verurteilten, und mit ihrem Mit-lieben stehen sie auf der Seite Gottes, der Liebe ist. Dieses Mitleiden lässt an das großartige Wort des heiligen Bernhard von Clairvaux in seinem Hohelied-Kommentar (s. 26, n. 5, a. a. O.) denken: ... impassibilis est Deus, sed non incompassibilis - Gott kann nicht leiden, aber er kann mit-leiden. Unter dem Kreuz Jesu versteht man am allermeisten das Wort: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." Wer sein Herz nicht verhärtet vor dem Schmerz, vor der Not des anderen, wer dem Bösen nicht die Seele öffnet, sondern unter seiner Macht leidet und so der Wahrheit, d. h. Gott recht gibt, der öffnet die Fenster der Welt, dass Licht hereinkommt. Den so Trauernden ist der große Trost verheißen. Insofern hängt die zweite Seligpreisung ganz eng mit der siebten zusammen: "Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich. (Fs)

118a Die Traurigkeit, von der der Herr spricht, ist der Nonkonformismus mit dem Bösen, sie ist eine Weise des Widerspruchs gegen das, was alle tun und was sich dem Einzelnen als Verhaltensmuster aufdrängt. Diese Art von Widerstand erträgt die Welt nicht, sie verlangt das Mitmachen. Ihr erscheint diese Traurigkeit als eine Anklage, die der Betäubung der Gewissen entgegentritt, und sie ist es auch. Deshalb werden die Trauernden zu Verfolgten um der Gerechtigkeit willen. Den Trauernden wird Tröstung, den Verfolgten das Reich Gottes verheißen; es ist dieselbe Verheißung, die den vom Geist her Armen gilt. Die beiden Verheißungen stehen ganz nah beieinander: Das Reich Gottes, das Stehen im Schutz von Gottes Macht und das Geborgensein in seiner Liebe - das ist die wahre Tröstung. (Fs)

118b Und umgekehrt: Erst dann wird der Leidende wahrhaft getröstet sein, erst dann werden seine Tränen vollends versiegen, wenn keine mörderische Gewalt ihn und die machtlosen Menschen dieser Welt mehr bedrohen kann; erst dann ist der Trost vollendet, wenn auch die unverstandenen Leiden der Vergangenheit ins Licht Gottes gehoben und von seiner Güte her zu einem versöhnenden Sinn geführt werden; erst dann ist der wahre Trost erschienen, wenn "der letzte Feind", der Tod (1 Kor 15,26), mit all seinen Helfershelfern entmachtet ist. So hilft uns das Wort vom Trost verstehen, was mit "Reich Gottes" (der Himmel) gemeint ist, und "Reich Gottes" wiederum gibt uns eine Vorstellung davon, welchen Trost der Herr für alle Trauernden und Leidenden dieser Welt bereithält. (Fs)

119a Noch einen Hinweis müssen wir hier einfügen: Für Matthäus und seine Leser und Hörer hatte das Wort von den Verfolgten um der Gerechtigkeit willen eine prophetische Bedeutung. Es war für sie der Vorverweis des Herrn auf die Lage der Kirche, die sie erlebten. Die Kirche war zur verfolgten Kirche geworden, verfolgt "um der Gerechtigkeit willen". "Gerechtigkeit" ist in der Sprache des Alten Bundes der Ausdruck für die Treue zur Tora, die Treue zum Wort Gottes, wie sie immer wieder von den Propheten angemahnt worden war. Sie ist das Einhalten des von Gott gezeigten rechten Weges, dessen Mitte die Zehn Gebote sind. Die neutestamentliche Entsprechung zum alttestamentlichen Begriff der Gerechtigkeit ist der "Glaube": Der Gläubige ist der "Gerechte", der auf Gottes Wegen geht (Ps 1; Jer 17,5-8). Denn der Glaube ist das Mitgehen mit Christus, in dem das ganze Gesetz erfüllt ist, er eint uns mit der Gerechtigkeit Christi selbst. (Fs)

119b Die um der Gerechtigkeit willen verfolgten Menschen sind diejenigen, die aus der Gerechtigkeit Gottes - aus dem Glauben - leben. Weil das Streben des Menschen immer wieder darauf zielt, sich von Gottes Willen zu emanzipieren und nur sich selber zu folgen, darum wird der Glaube immer wieder als Widerspruch zur "Welt" - zu den jeweils herrschenden Mächten - erscheinen, und darum wird es in allen Perioden der Geschichte Verfolgung um der Gerechtigkeit willen geben. Der verfolgten Kirche aller Zeiten ist dieses Trostwort zugesprochen. In ihrer Ohnmacht und in ihren Leiden weiß sie, dass sie dort steht, wo das Reich Gottes kommt. (Fs) (notabene)

120a Wenn wir demnach wieder wie bei den vorigen Seligpreisungen in der Verheißung eine ekklesiologische Dimension, eine Auslegung des Wesens von Kirche finden dürfen, so begegnen wir ebenso auch wiederum dem christologischen Grund dieser Worte: Der gekreuzigte Christus ist der verfolgte Gerechte, von dem die prophetischen Worte des Alten Bundes, besonders die Gottesknechtslieder sprechen, den aber auch Platon vorausgeahnt hatte (Politeia II 361e-362a). Und so gerade ist er selbst die Ankunft von Gottes Reich. Die Seligpreisung ist eine Einladung zur Nachfolge des Gekreuzigten - an den Einzelnen wie an die Kirche im Ganzen. (Fs)

120b Die Seligpreisung der Verfolgten erhält im abschließenden Satz der Makarismen eine Variante, die uns Neues sehen lässt. Jesus verheißt denen Freude, Jubel, großen Lohn, "die um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werden" (v. 11). Nun wird sein Ich, das Stehen zu seiner Person, zum Maßstab der Gerechtigkeit und des Heils. Wenn in den anderen Seligpreisungen die Christologie gleichsam verhüllt dasteht, so tritt hier die Botschaft von ihm selber als Mittelpunkt der Geschichte offen hervor. Jesus schreibt seinem Ich eine Maßstäblichkeit zu, die kein Lehrer Israels und auch kein Lehrer der Kirche für sich in Anspruch nehmen darf. Der so spricht, ist nicht mehr Prophet im herkömmlichen Sinn, Botschafter und Treuhänder für einen anderen; er ist selbst Bezugspunkt des rechten Lebens, selbst Ziel und Mitte. (Fs)

121a Wir werden diese direkte Christologie bei unseren weiteren Meditationen als konstitutiv für die Bergpredigt im Ganzen erkennen. Was hier einstweilen nur angeklungen ist, wird sich im Mitgehen mit ihrem Wort weiter entfalten. (Fs)

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