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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Jesus von Nazareth 1

Titel: Jesus von Nazareth

Stichwort: Seligpreisung 3; Selig die Sanftmütigen (Milden) ; (Ps 37,11); anawim (somit die Armen Gottes)

Kurzinhalt: Leider hat die deutsche Übersetzung diese Zusammenhänge verwischt, indem sie für prays jedes Mal andere Wörter gebraucht. In dem weiten Bogen dieser Texte - von Num 12 über Sach 9 zu den Seligpreisungen und zum Bericht vom Palmsonntag - ...

Textausschnitt: 109a Überspringen wir einstweilen die zweite Seligpreisung des Matthäus-Evangeliums und gehen über zur dritten, die eng mit der ersten verbunden ist: "Selig die Milden (Sanftmütigen), denn sie werden das Land erben" (Mt 5,5). Die deutsche Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift hat das hier stehende griechische Wort prae?s (von: pra?s) übersetzt: "die keine Gewalt anwenden". Das ist eine Verengung des griechischen Wortes, das eine reiche Fracht an Überlieferung in sich trägt. Die Seligpreisung ist praktisch ein Psalmzitat: "Die Sanftmütigen (Milden) werden das Land erben" (Ps 37,11). Das Wort "die Sanftmütigen - Milden" ist in der griechischen Bibel die Übersetzung des hebräischen Wortes anawim, womit die Armen Gottes bezeichnet wurden, von denen wir bei der ersten Seligpreisung gesprochen haben. So gehen die erste und die dritte Seligpreisung weitgehend ineinander über; die dritte verdeutlicht noch einmal einen wesentlichen Aspekt dessen, was mit der von Gott her und auf Gott hin gelebten Armut gemeint ist. (Fs)

110a Aber das Spektrum weitet sich doch aus, wenn wir einige andere Texte beachten, in denen dasselbe Wort vorkommt. In Num 12,3 heißt es: "Mose aber war ein überaus sanftmütiger Mann, sanftmütiger (milder) als alle Menschen auf der Erde." Wer müsste dabei nicht an das Wort Jesu denken: "Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen" (Mt 11,29). Christus ist der neue, der wahre Mose (dies ist der durchgehende Gedanke der Bergpredigt) - in ihm wird jene reine Güte gegenwärtig, die gerade dem Großen, dem Herrscher geziemt. (Fs)

110b Noch tiefer werden wir geführt, wenn wir ein weiteres Beziehungsgefüge zwischen Altem und Neuem Testament ins Auge fassen, in dessen Mitte wieder das Wort prays - sanftmütig, milde - steht. Beim Propheten Sacharja (9,9f) findet sich die folgende Heilsverheißung: "Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist sanftmütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Er vernichtet die Streitwagen ... Vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet den Völkern den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer ..." Hier wird ein armer König angekündigt - einer, der nicht durch politische und militärische Macht herrscht. Sein innerstes Wesen ist die Demut, Sanftmut Gott und den Menschen gegenüber. Dieses sein Wesen, durch das er im Gegensatz zu den großen Königen der Welt steht, wird anschaulich dadurch, dass er auf einer Eselin einzieht - dem Reittier der Armen, das Gegenbild zu den Kriegswagen ist, die er abschafft. Er ist der Friedenskönig - er ist es von der Macht Gottes her, nicht aus eigenem Vermögen. (Fs)

111a Und ein Weiteres kommt dazu: Sein Königtum ist universal, es umfasst die Erde. "Von Meer zu Meer" - das Bild der von Wassern rings umgebenen Erdscheibe steht dahinter und lässt uns die weltumspannende Weite seiner Herrschaft ahnen. So kann Karl Elliger zu Recht sagen, dass für uns "durch alle Nebel hindurch merkwürdig deutlich die Gestalt dessen sichtbar wird ... der wirklich für alle Welt den Frieden gebracht hat, der über alle Vernunft ist, indem er im Sohnesgehorsam auf alle Gewaltanwendung verzichtete und litt, bis er durch den Vater aus dem Leiden gerettet wurde, und der nun immerfort sein Reich baut einfach durch das Wort des Friedens ..." (a. a. Ov S. 151). So erst verstehen wir die ganze Tragweite des Berichts vom Palmsonntag, verstehen, was es heißt, wenn Lukas (19,30) - und ähnlich Johannes - uns erzählt, dass Jesus die Jünger eine Eselin samt ihrem Fohlen zu besorgen heißt: "Das geschah, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist sanftmütig und er reitet auf einer Eselin ..." (Mt 21,4f; vgl. Joh 12,15). (Fs)

112a Leider hat die deutsche Übersetzung diese Zusammenhänge verwischt, indem sie für prays jedes Mal andere Wörter gebraucht. In dem weiten Bogen dieser Texte - von Num 12 über Sach 9 zu den Seligpreisungen und zum Bericht vom Palmsonntag - wird die Vision vom Friedenskönig Jesus erkennbar, der die Grenzen aufsprengt, die die Völker trennen, und einen Friedensraum "von Meer zu Meer" schafft. Durch seinen Gehorsam ruft er uns in diesen Frieden hinein, pflanzt ihn ein in uns. Das Wort "sanftmütig, milde" gehört einerseits dem Vokabular des Gottesvolkes zu, dem in Christus weltumspannend gewordenen Israel, aber es ist zugleich ein Königswort, das uns das Wesen des neuen Königtums Christi aufschließt. In diesem Sinn könnten wir sagen, es sei sowohl ein christologisches wie ein ekklesiologisches Wort; auf jeden Fall ruft es uns in die Nachfolge dessen, dessen Einzug in Jerusalem auf einer Eselin das ganze Wesen seines Königtums sichtbar werden lässt. (Fs)

112b Mit dieser dritten Seligpreisung ist im Text des Matthäus-Evangeliums die Landverheißung verbunden: "Selig die Milden, denn sie werden das Land besitzen." Was ist damit gemeint? Die Hoffnung auf das Land gehört zum Urbestand der Abrahamsverheißung. Bei der Wüstenwanderung Israels steht immer das verheißene Land als Ziel der Wanderung im Blickfeld. Im Exil wartet Israel auf die Heimkehr in sein Land. Aber wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Landverheißung deutlich über den bloßen Gedanken des Besitzes von einem Stück Land oder eines nationalen Territoriums hinausgeht, wie es einem jeden Volk zusteht. (Fs)

113a Im Ringen um die Freigabe Israels zum Auszug aus Ägypten steht zunächst das Recht auf die Freiheit der Anbetung, des eigenen Gottesdienstes im Vordergrund, und die Landverheißung hat im Voranschreiten der Geschichte immer deutlicher den Sinn, dass das Land gegeben wird, damit da eine Stätte des Gehorsams sei, damit ein für Gott offener Raum da sei und das Land von den Gräueln des Götzendienstes befreit werde. Im Begriff der Freiheit und des Landes ist der Begriff des Gehorsams Gott gegenüber und so der rechten Formung der Erde ein wesentlicher Inhalt. So konnte von da aus auch das Exil, der Entzug des Landes, verstanden werden: Das Land war selbst zu einem Raum des Götzendienstes, des Ungehorsams geworden, und der Landbesitz war auf diese Weise ins Widersprüchliche geraten. (Fs)

113b Von da aus konnte ein neues, positives Verständnis der Diaspora wachsen: Israel war über die Welt verstreut, um überall Raum zu schaffen für Gott und damit den Sinn der Schöpfung zu erfüllen, den der erste Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4) andeutet: Der Sabbat ist das Ziel der Schöpfung, er gibt ihr Wozu an: Sie ist da, weil Gott einen Raum der Antwort auf seine Liebe, einen Raum des Gehorsams und der Freiheit schaffen wollte. Stufenweise ist so im Annehmen und Erleiden der Geschichte Israels mit Gott eine Ausweitung und Vertiefung der Idee des Landes gewachsen, die immer weniger auf nationalen Besitz und immer mehr auf die Universalität von Gottes Anspruch auf die Erde abzielte. (Fs)

114a Natürlich kann man in dem Zusammenspiel von "Sanftmut" und Landverheißung zunächst auch eine ganz normale Weisheit der Geschichte erblicken: Die Eroberer kommen und gehen. Es bleiben die Einfachen, die Demütigen, die das Land bebauen und Saat und Ernte unter Schmerzen und Freuden weiterführen. Die Demütigen, die Einfachen, sind auch rein geschichtlich gesehen beständiger als die Gewalttäter. Aber es geht doch um mehr. Die allmähliche Universalisierung des Landbegriffs von den theologischen Grundlagen der Hoffnung her entspricht auch dem universalen Horizont, den wir in der Sacharja-Verheißung gefunden haben: Das Land des Friedenskönigs ist nicht ein Nationalstaat - es reicht "von Meer zu Meer" (Sach 9,10). Der Friede zielt auf die Überwindung der Grenzen und auf eine durch den von Gott her kommenden Frieden erneuerte Erde. Die Erde gehört am Ende den "Sanftmütigen", den Friedfertigen, sagt uns der Herr. Sie soll das "Land des Friedenskönigs" werden. Darauf hinzuleben, lädt uns die dritte Seligpreisung ein. (Fs)

114b Jede eucharistische Versammlung ist für uns Christen eine solche Stelle der Herrschaft des Friedenskönigs. Die weltumspannende Gemeinschaft der Kirche Jesu Christi ist so ein Vorentwurf für die "Erde" von morgen, die ein Land des Friedens Jesu Christi werden soll. Auch hier klingt die dritte Seligpreisung ganz eng mit der ersten zusammen: Was "Reich Gottes" bedeutet, wird ein Stück weit von da aus sichtbar, auch wenn der Anspruch dieses Wortes über die Landverheißung hinausreicht. (Fs)

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