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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Jesus von Nazareth 1

Titel: Jesus von Nazareth

Stichwort: Taufe Jesu; Antizipation des Todes; Ikonografie; Lamm Gottes

Kurzinhalt: Die Taufe Jesu wird so als Repetition der ganzen Geschichte verstanden, in der das Vergangene aufgegriffen und das Zukünftige vorweggenommen wird: Das Eintreten in die Sünde der anderen ist Abstieg ins "Inferno" ...

Textausschnitt: 43a Ganz Judäa und Jerusalem pilgerten zur Taufe, haben wir eben gehört. Aber nun kommt etwas Neues: "In jenen Tagen kam Jesus aus Nazareth in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen" (Mk 1,9). Von Pilgern aus Galiläa war bis dahin nicht die Rede gewesen; alles schien sich auf den judäischen Raum zu beschränken. Aber das eigentlich Neue ist nicht, dass Jesus aus einer anderen geographischen Zone, sozusagen von weither kommt. Das eigentliche Neue ist, dass er - Jesus - sich taufen lassen will, dass er in die graue Menge der Sünder eintritt, die da an den Ufern des Jordans warten. Zur Taufe gehörte ein Sündenbekenntnis (wir hörten es eben). Sie war selbst ein Sündenbekenntnis und der Versuch, ein altes, missratenes Leben abzulegen und ein neues zu empfangen. Konnte Jesus das? Wie konnte er Sünden bekennen? Wie sich vom bisherigen Leben trennen auf ein neues hin? Diese Frage mussten sich die Christen stellen. Das Streitgespräch zwischen dem Täufer und Jesus, von dem uns Matthäus erzählt, drückte auch ihre eigene Frage an Jesus aus: "Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?" (Mt 3,14). Matthäus berichtet uns dazu: "Jesus antwortete ihm: Lass es für jetzt zu. Denn so geziemt es sich, dass die ganze Gerechtigkeit erfüllt werde. Da gab Johannes nach" (3,15). (Fs)

43b Der Sinn dieser rätselhaft klingenden Antwort ist nicht leicht zu entschlüsseln. Jedenfalls steckt in dem Wörtchen arti - für jetzt - ein gewisser Vorbehalt: In einer bestimmten, vorläufigen Situation gilt eine bestimmte Weise des Handelns. Entscheidend für die Deutung der Antwort Jesu ist die Sinngebung des Wortes "Gerechtigkeit": Die ganze "Gerechtigkeit" muss erfüllt werden. Gerechtigkeit ist in der Welt, in der Jesus steht, die Antwort des Menschen auf die Tora, das Annehmen von Gottes ganzem Willen, das Tragen des "Joches von Gottes Reich", wie formuliert wurde. Die Johannes-Taufe ist von der Tora nicht vorgesehen, aber Jesus anerkennt sie mit diesem Wort als Ausdruck für das uneingeschränkte Ja zu Gottes Willen, als gehorsame Aufnahme seines Jochs. (Fs)
44a Weil im Hinabsteigen in diese Taufe ein Bekenntnis der Schuld und Bitte um Vergebung zu neuem Anfang enthalten sind, liegt in diesem Ja zum ganzen Willen Gottes in einer von der Sünde gezeichneten Welt auch ein Ausdruck der Solidarität mit den Menschen, die schuldig geworden sind, sich aber nach der Gerechtigkeit ausstrecken. Erst von Kreuz und Auferstehung her ist die ganze Bedeutung dieses Vorgangs erkennbar geworden. Die Täuflinge bekennen im Hinabsteigen in das Wasser ihre Sünde und suchen dieser Last ihrer Schuldverfallenheit ledig zu werden. Was hat Jesus da getan? Lukas, der in seinem ganzen Evangelium ein waches Augenmerk auf das Beten Jesu richtet, ihn immer wieder als den Betenden - im Gespräch mit dem Vater - darstellt, sagt uns, dass Jesus betend die Taufe empfangen habe (3,21). Von Kreuz und Auferstehung her wurde der Christenheit klar, was geschehen war: Jesus hatte die Last der Schuld der ganzen Menschheit auf seine Schultern geladen; er trug sie den Jordan hinunter. Er eröffnet sein Wirken damit, dass er an den Platz der Sünder tritt. Er eröffnet es mit der Antizipation des Kreuzes. Er ist sozusagen der wahre Jona, der zu den Schiffsleuten gesagt hatte: "Nehmt mich und werft mich ins Meer" (Jona 1,12). Die ganze Bedeutung der Taufe Jesu, sein Tragen der "ganzen Gerechtigkeit", wird erst im Kreuz offenbar: Die Taufe ist Todesannahme für die Sünden der Menschheit, und die Taufstimme - "Dies ist mein geliebter Sohn" - ist Vorverweis auf die Auferstehung. So versteht es sich auch, dass in Jesu eigenen Reden das Wort Taufe Bezeichnung für seinen Tod ist (Mk 10,38; Lk 12,50). (Fs)

45a Nur von da aus kann man die christliche Taufe verstehen. Die Antizipation des Kreuzestodes, die in der Taufe Jesu geschehen war, und die Antizipation der Auferstehung, die sich in der Himmelsstimme angekündigt hatte, sind nun Wirklichkeit geworden. So ist die Wassertaufe des Johannes aufgefüllt mit der Lebens- und Todestaufe Jesu. Der Einladung zur Taufe zu folgen, bedeutet nun, an den Ort der Taufe Jesu zu treten und so in seiner Identifikation mit uns unsere Identifikation mit ihm zu empfangen. Der Punkt seiner Antizipation des Todes ist nun für uns der Punkt unserer Antizipation der Auferstehung mit ihm geworden: Paulus hat in seiner Tauftheologie (Rom 6) diesen inneren Zusammenhang entwickelt, ohne ausdrücklich von der Taufe Jesu im Jordan zu sprechen. (Fs)
45b Die Ostkirche hat in ihrer Liturgie und ihrer Ikonen-Theologie dieses Verstehen der Taufe Jesu weiter entfaltet und vertieft. Sie sieht einen tiefreichenden Zusammenhang zwischen dem Gehalt des Festes Epiphanie (Proklamation der Gottessohnschaft durch die Himmelsstimme; die Epiphanie ist der Tauftag des Orients) und Ostern. In dem Wort Jesu an Johannes "Es ziemt sich, alle Gerechtigkeit zu erfüllen" (Mt 3,15) sieht sie die Vorwegnahme des Getsemane-Wortes "Vater ... nicht mein Wille geschehe, sondern der deinige" (Mt 26,39): Die liturgischen Gesänge des 3. Januar entsprechen denen des Mittwoch in der Karwoche, die des 4. Januar denen des Gründonnerstag, die des 5. Januar denen von Karfreitag und Karsamstag. (Fs)

46a Die Ikonographie nimmt diese Entsprechungen auf. Die Ikone der Taufe Jesu zeigt das Wasser wie ein flüssiges Grab, das die Form einer dunklen Höhle hat, die ihrerseits das ikonographische Zeichen für den Hades, die Unterwelt, die Hölle ist. Das Hinabsteigen Jesu in dieses flüssige Grab, in dieses Inferno, das ihn ganz umschließt, ist so Vorvollzug des Abstiegs in die Unterwelt: "Hinabgestiegen in die Wasser, hat er gebunden den Starken" (vgl. Lk 11,22), sagt Cyrill von Jerusalem. Johannes Chrysostomus schreibt: "Untertauchen und Auftauchen sind das Bild für Abstieg in die Hölle und Auferstehung." Die Troparien der byzantinischen Liturgie fügen noch einen weiteren symbolischen Bezug hinzu: "Der Jordan wich damals zurück vor dem Mantel des Elisäus [Elischa], die Wasser teilten sich und gaben einen trockenen Weg frei als wahrhaftiges Bild für die Taufe, durch die wir die Straße des Lebens durchschreiten" (Evdokimov, a. a. O., S. 246). (Fs)

46b Die Taufe Jesu wird so als Repetition der ganzen Geschichte verstanden, in der das Vergangene aufgegriffen und das Zukünftige vorweggenommen wird: Das Eintreten in die Sünde der anderen ist Abstieg ins "Inferno" - nicht nur, wie bei Dante, zuschauend, sondern mit-leidend, um-leidend und damit umwandelnd, die Türen der Tiefe umstoßend und aufstoßend. Sie ist Hinabsteigen ins Haus des Bösen, Kampf mit dem Starken, der den Menschen gefangen hält (und wie sehr sind wir alle in der Tat gefangen von den Mächten, die uns namenlos manipulieren!). Dieser Starke und von den eigenen Kräften der Weltgeschichte her Unbesiegbare wird überwältigt und gebunden von dem Stärkeren, der als Gottgleicher alle Schuld der Welt aufnehmen kann und ausleidet - nichts auslassend im Hinabsteigen in die Identität mit den Gefallenen. Dieses Ringen ist die "Kehre" des Seins, die eine neue Beschaffenheit des Seins erwirkt, einen neuen Himmel und eine neue Erde vorbereitet. Das Sakrament - die Taufe - erscheint von da aus als Teil-Gabe an Jesu weltverwandelndem Ringen in der Wende des Lebens, die in seinem Hinabsteigen und Heraufsteigen geschehen ist. (Fs)
47a Haben wir uns mit dieser kirchlichen Auslegung und An-verwandlung des Geschehens der Taufe Jesu zu weit von der Bibel entfernt? Es tut gut, in diesem Zusammenhang auf das vierte Evangelium zu hören, nach dem Johannes der Täufer beim Anblick Jesu die Worte gesprochen hat: "Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt" (1,29). Über dieses Wort, das in der römischen Liturgie vor der Kommunionspendung gesprochen wird, ist viel herumgerätselt worden. Was bedeutet "Lamm Gottes"? Wieso wird Jesus als "Lamm" benannt, und wieso trägt dieses "Lamm" die Sünden der Welt weg, überwindet sie ins Wesens- und Wirklichkeitslose hinein. (Fs)

47b Joachim Jeremias hat die entscheidenden Hilfen geboten, um dieses Wort richtig zu verstehen und es - auch historisch - als wirkliches Täuferwort betrachten zu können. Zunächst sind zwei alttestamentliche Anspielungen darin zu erkennen. Das Gottesknechtslied Jes 53,7 vergleicht den leidenden Knecht Gottes mit einem Lamm, das man zum Schlachten führt; "wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf". Wichtiger noch ist, dass Jesus an einem Pascha-Fest gekreuzigt wurde und nun als das wirkliche Pascha-Lamm erscheinen musste, in dem sich erfüllte, was die Bedeutung des Pascha-Lammes beim Auszug aus Ägypten gewesen war: Befreiung aus der ägyptischen Todesherrschaft und Freigabe zum Exodus, zur Wanderung in die Freiheit der Verheißung hinein. Von Ostern her ist die Lamm-Symbolik für das Verständnis Christi grundlegend geworden; wir finden sie bei Paulus (1 Kor 5,7), bei Johannes (19,36), im Ersten Petrusbrief (1,19) und in der Apokalypse (zum Beispiel Offb 5,6). (Fs)

48a Jeremias macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass dasselbe hebräische Wort talia sowohl "Lamm" wie "Knabe, Knecht" bedeutet (a. a. O., S. 343). So mag das Wort des Täufers zunächst auf den Knecht Gottes hingezeigt haben, der mit seinem stellvertretenden Büßen die Sünden der Welt "trägt"; aber darin gab es ihn doch zugleich als das wahre Pascha-Lamm zu erkennen, das sühnend die Sünde der Welt tilgt. "Geduldig wie ein Opferlamm ist der am Kreuz sterbende Heiland stellvertretend in den Tod gegangen; durch die Sühnekraft seines unschuldigen Sterbens hat er die Schuld ... der ganzen Menschheit getilgt ..." (ebd., S. 343t). Wenn in der Not der ägyptischen Unterdrückung das Blut des Pascha-Lammes für die Befreiung Israels entscheidend geworden war, so steht er, der Sohn, der Knecht wurde - der Hirte, der Lamm geworden ist -, nicht mehr bloß für Israel, sondern für die Befreiung der "Welt" - für die Menschheit im Ganzen. (Fs)
48b Damit ist das große Thema der Universalität von Jesu Sendung angesprochen. Israel ist nicht für sich selber da, sondern seine Erwählung ist der Weg, auf dem Gott zu allen kommen will: Das Thema der Universalität wird uns als eigentliche Mitte der Sendung Jesu immer wieder begegnen; mit dem Wort vom Lamm Gottes, das der Welt Schuld trägt, erscheint es im vierten Evangelium gleich zu Beginn von Jesu Weg. (Fs)

49a Das Wort vom Lamm Gottes interpretiert, wenn wir so sagen dürfen, den kreuzestheologischen Charakter von Jesu Taufe, von seinem Hinabsteigen in die Tiefe des Todes. Alle vier Evangelien berichten in unterschiedlicher Weise, dass beim Heraufsteigen Jesu aus dem Wasser der Himmel "aufriss" (Mk), sich öffnete (Mt und Lk); dass der Geist "wie eine Taube" auf ihn herabkam und dass dabei eine Stimme vom Himmel ertönte, die nach Markus und Lukas Jesus anredet "Du bist ...", nach Matthäus über ihn sagt: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe" (3,17). Das Bild von der Taube mag an das Schweben des Geistes über den Wassern erinnern, von dem der Schöpfungsbericht redet (Gen 1,2); es erscheint durch das Wörtchen "wie" (wie eine Taube) als "Vergleich für das im Grunde genommen Nicht-Beschreibbare ..." (Gnilka, a. a. O., S. 78). Derselben Himmelsstimme wie hier werden wir wieder bei der Verklärung Jesu begegnen, bei der allerdings der Imperativ hinzugefügt ist: "Auf ihn sollt ihr hören." Dort werden wir die Bedeutung dieser Worte näher bedenken müssen. (Fs)

49b An dieser Stelle möchte ich nur drei Aspekte ganz kurz unterstreichen. Da ist zunächst das Bild vom aufgerissenen Himmel: Über Jesus steht der Himmel offen. Seine Willensgemeinschaft mit dem Vater, die "ganze Gerechtigkeit", die er erfüllt, eröffnet den Himmel, dessen Wesen gerade ist, dass Gottes Wille dort ganz erfüllt ist. Dazu tritt dann die von Gott, vom Vater, herkommende Proklamation der Sendung Jesu, die aber nicht ein Tun, sondern sein Sein auslegt: Er ist der geliebte Sohn, auf ihm ruht Gottes Wohlgefallen. Endlich möchte ich darauf hinweisen, dass uns hier mit dem Sohn der Vater und der Heilige Geist begegnen: Das Geheimnis des trinitarischen Gottes deutet sich an, das sich freilich erst im Ganzen von Jesu Weg in seiner Tiefe enthüllen kann. Insofern reicht aber doch ein Bogen von diesem Anfang der Wege Jesu bis hin zu dem Wort, mit dem er als Auferstandener seine Jünger in die Welt senden wird: "Geht zu allen Völkern und ... tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ..." (Mt 28,19). Die Taufe, die die Jünger Jesu seitdem spenden, ist Eintreten in die Taufe Jesu - in die Wirklichkeit, die er damit vorweggenommen hat. So wird man Christ. (Fs)

50a In einem breiten Strom der liberalen Forschung ist Jesu Taufe als Berufungserlebnis ausgelegt worden: Hier habe er, der bisher ein ganz gewöhnliches Leben in der gali-läischen Provinz geführt hatte, eine grundstürzende Erfahrung gemacht; hier sei ihm das Bewusstsein einer besonderen Gottesbeziehung und seiner religiösen Sendung gekommen, die sich aus dem in Israel herrschenden und durch Johannes neu gestalteten Thema der Erwartungen wie aus seiner persönlichen Erschütterung durch den Taufvorgang ergeben habe. Aber davon steht nichts in den Texten. Wie gelehrt auch diese Auffassung dargeboten werden mag, so ist sie doch viel eher dem Genus des Jesus-Romans als wirklicher Auslegung der Texte zuzurechnen. Sie lassen uns ins Innere Jesu nicht hineinschauen - Jesus steht über unseren Psychologien (Romano Guardini). Aber sie lassen uns erkennen, wie Jesus im Zusammenhang von "Mose und den Propheten" steht; sie lassen uns die innere Einheit seines Weges vom ersten Augenblick seines Lebens bis hin zu Kreuz und Auferstehung erkennen. Jesus erscheint nicht als ein genialer Mensch mit seinen Erschütterungen, seinem Scheitern und Gelingen, womit er als Individuum einer vergangenen Periode letztlich in einer unüberbrückbaren Distanz zu uns bliebe. Er steht vor uns als "der geliebte Sohn", der so einerseits der ganz Andere ist, aber gerade deshalb auch uns allen gleichzeitig werden kann, einem jeden von uns innerlicher als wir uns selbst (vgl. Augustinus, Confessiones 111,6,11). (Fs)

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