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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Evangelium; Jesus, metaxy; Kolosserbrief; theotes, theiotes; Römerbrief; Gottes Fülle in Jesus

Kurzinhalt: Diese Irruption, durch die Jesus zum Christus wird, drückt der Autor des Kolosserbriefes in den Worten aus: 'Denn in ihm lebt die ganze Fülle ...

Textausschnitt: 66 Obwohl der noetische Kern im Evangelium derselbe ist, hat sich die geistige Dynamik von Grund auf geändert durch die Erfahrung einer außerordentlichen Irruption des Göttlichen in der Existenz von Jesus. Diese Irruption, durch die Jesus zum Christus wird, drückt der Autor des Kolosserbriefes in den Worten aus:
'Denn in ihm lebt die ganze Fülle der göttlichen Realität (theotes) in körperlicher Gestalt.' (2,9) In ihrer ganzen Fülle (pan to pleroma) ist göttliche Realität nur in Christus gegenwärtig, der kraft dieser Fülle 'das Ebenbild (eikon) des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung' (1.15). (40; Fs)

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67 Alle anderen Menschen haben nur ihren gewöhnlichen Anteil an dieser Fülle (pepleromenoi), indem sie die Wahrheit ihrer vollen Präsenz in Christus annehmen, der durch seine ikonische Existenz 'das Haupt aller Herrschaft (arche) und Autorität (exousia) ist' (2,10). Etwas an Jesus muß seinen Zeitgenossen den Eindruck einer Existenz im metaxy von solcher Intensität vermittelt haben, daß seine körperliche Gegenwart, das somatikos der zitierten Stelle, ihnen von göttlicher Präsenz völlig durchdrungen erschien. (40f; Fs)

Kommentar (vom 2/23/2008): Analogie: Jenseits als Jenseits-des-Bewusstseins zu: Christus als Jenseits-des-Erlöstseinswollens

68 Die Stelle ist wertvoll, weil es dem Autor gelungen ist, das, was ihn beeindruckte, zu vermitteln, ohne zu älteren, kompakteren Symbolen, etwa dem Symbol Gottessohn, Zuflucht zu nehmen, was der neu differenzierten Erfahrung nicht gerecht geworden wäre. Dies verlangte jedoch eine bewußte Anstrengung von ihm, denn der Ausdruck theotes ist ein Neologismus, den er für diesen Anlaß prägte. Den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten wie Gottheit, göttliches Wesen, göttliche Wesenheit, welche die Vorstellung eines persönlichen Gottes implizieren, habe ich die Übersetzung göttliche Realität vorgezogen, weil sie am besten die Intention des Autors wiedergibt, eine nicht-personale Wirklichkeit zu bezeichnen, die Grade des Partizipierens an ihrer Fülle ermöglicht und doch der Gott jenseits des metaxy der Existenz bleibt. (41; Fs)

69 Wenn der Autor zur paulinischen 'Schule' gehörte, kann man sein Symbol theotes als einen Versuch verstehen, gewisse Schwächen zu überwinden, die dem Symbol theiotes bei Paulus anhaften. In Römer 1,18 ff. spricht Paulus von Menschen, welche die Wahrheit Gottes durch ihre Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit unterdrücken: (41; Fs)

'Denn was über Gott erkannt werden kann (to gnoston tou theou), ist in ihnen offenbar, weil Gott es ihnen offenbar gemacht hat. Denn seit der Kosmos geschaffen ist, konnte Gottes unsichtbare Wirklichkeit in den geschaffenen Dingen durch die Vernunft erfaßt werden (nooumena), nämlich seine immerwährende Macht (dynamis) und Göttlichkeit (theiotes).'

70 Paulus ist ein ziemlich ungeduldiger Mann. Er möchte die göttliche Realität der kosmischen Primärerfahrung unmittelbar als die welttranszendente göttliche Wesenheit differenziert sehen, die in Christus fleischgeworden ist. Er findet es unentschuldbar, daß die Menschheit durch eine geschichtliche Phase gegangen sein soll, in welcher der unsterbliche Gott durch Bilder 'von sterblichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Reptilien' repräsentiert wurde; und er kann sich einen solchen Greuel nur durch eine absichtliche Unterdrückung der wohlbekannten Wahrheit vorstellen. (41f; Fs)

71 Darüber hinaus macht er in seinem jüdischen Abscheu vor heidnischen Idolen das geschichtliche Phänomen des kosmologischen Mythos für Erscheinungen ausschweifenden Lebens verantwortlich, die er in seiner Umgebung beobachten kann, und er betrachtet das weitere Festhalten an diesen Götzenbildern und die daraus folgende moralische Zügellosigkeit als Strafe Gottes dafür, daß sie sich dem Götzenkult überhaupt ergeben haben (Röm 1,26-52). Diese eifernde Verquickung von Problemen mußte sicherlich entwirrt werden. Und in der Tat holte der Autor des Kolosserbriefs aus dem paulinischen Passus die Unterscheidung zwischen dem 'Unsichtbaren' des Göttlichen und dem 'Sichtbaren' der partizipatorischen Erfahrungen heraus: Er unterschied den unsichtbaren Gott, der als wirklich erfahren wird jenseits des metaxy der Existenz, von der theotes, der göttlichen Realität, die in der Bewegung der Existenz in das metaxy eintritt. (42; Fs)

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