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Autor: Lotz, Johannes B.

Buch: Transzendentale Erfahrung

Titel: Transzendentale Erfahrung

Stichwort: Gutheit; Kreislauf von Erkennen und Wollen; bonum est in re - verum est in ipso intellectu


Kurzinhalt: Im Gegensatz dazu strebt unser Wollen zu etwas außer ihm als seinem Ziel, weshalb es als die Bewegung vom Menschen zu den Dingen geschieht ...

Textausschnitt: 231/VI Die Eigenart des Strebens und des Guten im Unterschied zum Wissen und dem Wahren zeigt sich noch klarer, wenn wir den Kreislauf (circulatio) betrachten, den das Wirken der Vernunft und des Willens durchläuft1. (209; Fs)

232/VI Im geistigen Bereich finden sich nur zwei Tätigkeiten (solum duae), nämlich das Erkennen und das Wollen2, deren endliche Ausprägung im Menschen für die metaphysische Erfahrung entscheidend ist. Unser geistiges Erfassen empfängt von den äußeren Dingen und entfaltet sich deshalb als die Bewegung, die sich von den Dingen zum Menschen spannt3; indem wir die empfangenen Eindrücke zu den entsprechenden Gegenständen verarbeiten, geschieht das Erkennen insofern, als das Erkannte im Erkennenden ist (cognitum est in cognoscente)4. (209; Fs)

233/VI Im Gegensatz dazu strebt unser Wollen zu etwas außer ihm als seinem Ziel, weshalb es als die Bewegung vom Menschen zu den Dingen geschieht1 und sich dem in sich selbst wirklichen Seienden zuneigt (inclinatur in ipsam rem appetitam)2. Damit kehrt der Wille zu dem zurück, von dem das Erkennen seinen Anfang nimnmt; näherhin schließt sich der Kreis, indem das äußere Seiende unsere Vernunft bewegt, diese aber den Willen antreibt, der seinerseits sich durch sein Streben und Lieben dem äußeren Seienden zuwendet3. (209; Fs)

234/VI Dementsprechend ist das vom Streben angezielte Gute unmittelbar das Seiende selbst oder der äußere Gegenstand (bonum est in re), während das der Vernunft zugeordnete Wahre zunächst der von ihr konstituierte innere Gegenstand ist (verum est in ipso intellectu), durch den erst mittelbar der äußere Gegenstand oder das Seiende selbst erreicht wird4. (210; Fs)

235/VI Als weitere Folge ergibt sich, daß der Charakter der Gutheit vom seienden Guten dem Streben mitgeteilt wird, weshalb dieses gut heißt, insoweit es sich auf Gutes richtet; zugleich ergibt sich, daß der Charakter der Wahrheit, da ja das Wahre seinen Sitz im Erkennen hat, von diesem auf das Seiende übertragen wird, weshalb dieses wahr genannt wird, insofern es auf den Geist hingeordnet ist1. (210; Fs) (notabene)


236/VI Die hier gemeinte Hinordnung prägt sich auf zwei Weisen aus, je nachdem der Geist das Seiende oder das Seiende den Geist bestimmt; ersteres trifft auf das schöpferische oder hervorbringende Erkennen, namentlich in der Kunst oder auch in der Technik, zu, letzteres hingegen auf das hinnehmende Erkennen, das sich dem vorgefundenen Seienden angleicht1 und wesentlich endlich ist. (210; Fs)

237/VI Die angedeutete Strukturverschiedenheit hat in der Geschichte des Denkens ihre unverkennbaren Auswirkungen. Jene Richtungen, die sich auf die Vernunft mit ihrem Wissen und ihrer Wahrheit einstellen, das Wollen aber und das Gute vernachlässigen, neigen zu einer idealistischen Grundhaltung. Sie verflüchtigen mehr oder weniger den äußeren Gegenstand in den inneren; demgemäß betonen sie das setzende Konstituieren oder das schöpferische Hervorbringen so sehr, daß sich der Gegen-stand in den Ent-stand verwandelt und für das hin-nehmende Erkennen des vorgefundenen Seienden kein Platz mehr bleibt. (210; Fs)

238/VI Wie diese Zusammenhänge das Philosophieren Hegels beeinflussen und auf eine einseitige Bahn drängen, hat W. Kern in einer eigenen Abhandlung gezeigt2. Solche Auffassungen sind dem Erfahren, das ja wesentlich Hin-nehmen des Vorgegebenen besagt, wenig günstig; sie setzen an dessen Stelle das apriorische Konstruieren und Deduzieren, das, ohne Verwurzelung im Erfahrenen, sich meist in einem leeren Begriffsspiel verliert. Vor derartigen Verirrungen wird das Erkennen durch das in ihm wirksame Streben und durch das mit ihm zusammenwirkende Wollen bewahrt, das dem Seienden, wie es in sich selbst west, zugewandt ist und so durch die ihm eigene Unmittelbarkeit über die Mittelbarkeit des Erkennens hinausgelangt. (210f; Fs)

239/VI Obwohl das Lieben durch das Wissen vermittelt wird, zielt es unmittelbar auf das ihm vermittelte Gute hin und umfaßt es dieses in seiner Wirklichkeit; kurz: die Liebe realisiert. Daher kommt ihr auf ausgezeichnete Weise das Erspüren des vorgegebenen Wirklichen oder Seienden zu, weshalb sie auch das Erkennen zum hin-nehmenden Erfahren befähigt, als dieses vollendet und zu einer letzten Tiefe oder Kraft führt. Daran ändert sich dadurch nichts, daß das Wollen oder Lieben dem Irrationalen verfallen und sich in Täuschungen verlieren kann; freilich ergibt sich daraus, daß es der Erhellung und der kritischen Prüfung durch das Erkennen bedarf, das den dem Lieben eigenen Wirklichkeits-Sinn ergänzt. (211; Fs)

240/VI Nach allem trägt das Wollen oder Leben auf eine einzigartig wirksame und unentbehrliche Art dazu bei, daß die Erfahrung wahrhaft Erfahrung sei und in ihr wahrhaft das vorgegebene Wirkliche begegne. Danach ist für die metaphysische Erfahrung von dem Weg des Guten ein neuer, den Weg des Wahren befestigender und vertiefender Akzent zu erwarten. (211; Fs)

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