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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Augustinus; Vergleich: De beata vita (Über das Glück) - Confessiones (Bekenntnisse)

Kurzinhalt: Liegt in den Bekenntnissen durchgängig der Hauptakzent auf moralischen Gesichtspunkten, ... so berichtet Augustin in De beata vita vergleichsweise nüchtern neutralisierend.

Textausschnitt: 84b Vor allem letzteres läßt sich unschwer aus einem Vergleich etwa des Paragraphen 4 mit entsprechenden Stellen aus den Bekenntnissen ersehen. Wie jene hat auch dieser Abschnitt aus der Vorrede den Charakter einer Lebensbeichte. Sie wendet sich einem persönlichen Adressaten zu, spricht sich diesem gegenüber aus und kehrt so das im Vorspann angerissene Typologische ins Individuelle. Gleichwohl: welch ein Unterschied in Aussage, Form und Stimmung! Liegt in den Bekenntnissen durchgängig der Hauptakzent auf moralischen Gesichtspunkten, sind demzufolge Personen, Gedanken und Ereignisse wertbesetzt, so berichtet Augustin in De beata vita vergleichsweise nüchtern neutralisierend. Als Beispiel eines solchen Vergleichs mögen die parallelen Passagen über seine manichäischen Irrtümer dienen. In De beata vita heißt es (1,4): Incidi in homines, quibus lux ista, quae oculis cernitur, inter summa et divina colenda videretur. In conf. 5,6,1 findet sich dagegen: Itaque incidi in homines superbe delirantes, vernales nimis et loquaces ... Gleiche psychologische Grunderfahrung liegt beiden Berichten zugrunde: incidi, »ich bin hereingefallen«. In De beata vita freilich wird die Tatsache nur trocken konstatiert. Die Manichäer werden sachlich charakterisierend umschrieben, so daß erkennbar ist, um wen es sich handelt, so daß zugleich in knapper Fassung ein Kernpunkt ihrer Lehre umrissen wird: das sichtbare Licht ist etwas Göttliches. Die Wertung ist dem Leser überlassen. - Auch in den Bekenntnissen umschreibt Augustin den Manichäismus. Doch hier gibt die Sentenz kaum sachlichen Aufschluß. Vage Adjektive mit geringem Aussagewert, aber von intensiv abwertendem Bedeutungsgehalt, versehen die nachfolgenden Erläuterungen von vornherein mit negativen Vorzeichen. Der Leser wird rhetorisch eingestimmt, er tritt affektiv wertorientiert in die nachfolgende Erörterung ein. (Fs)

85a Sind die Bekenntnisse im Berichtgehalt ständig individuell auf psychologische Motivation hin angelegt, zugleich aber wertbesetzt, so geht in die Darstellung immerzu auch das Urteil über die eigene Handlungsweise mit ein: Der Bericht wird zum Gericht. Es sind Schuldbekenntnisse. Andrerseits erscheint die Wendung des Berichtenden zu Wahrheit in Glauben und Denken als durch Gottes Gnade und Fügung zuwege gebracht. Augustin beschreibt sofern seinen Weg vom Bösen zum Guten als Akt der Erlösung durch Gott. Damit ist der Grundansatz seines Bekenntnisses religiös. Anders steht es mit unserem Dialog. Die psychologische Einsicht in die eigene Lage läßt diese als individuelle Erscheinungsweise einer zuvor typisch durchleuchteten Allgemeinsituation (§ 1 und 2) hervortreten. Schon das Bild von der Seefahrt auf stürmischem Meer, vom Glanz der trügerischen Oberfläche, von unzuverlässigen Gestirnen als Navigationshilfen erzeugt eine lebendige Impression der objektiven Mächte, die den Denker verwirren und in die Irre gehen lassen, denen er also passiv ausgesetzt ist. Für die »Lage, in die sie heiteren Sinns verstrickt sind«, sind die Menschen daher nicht eigentlich selbst verantwortlich. Der moralisch wertende Akzent bleibt aus: als Gegebenes wird hingenommen, was einer unerklärbaren Gewalt, gemischt aus Notwendigkeit, Natur, Gott und Neigung, entspringt, so als sei es etwas Überindividuelles, das mit der eigenen sittlichen Verantwortung nicht unmittelbar etwas zu tun habe, sondern nur das Lebensschicksal regiere, es determinativ bestimme. Andererseits ist es nun gerade die Wendung zu Wert und Wahrheit, die als eigene Aktivität und Leistung hervortritt. Einsicht ist hier nicht Resultat eines überwältigenden Gnadenaktes, sondern der eigenen Bemühung, mit Hilfe der denkerischen Auseinandersetzung auszubrechen aus dem Zwang, den die Lebensbedingungen, um nicht zu sagen die objektiven Verhältnisse, ihm aufnötigen. Selbst dort, wo Augustin an der Tatsache nicht vorbeisehen kann, daß außer seiner Person liegende Einflüsse den letzten Anstoß zum philosophischen Lebensweg gaben, bemüht er sich, wie man zeigen kann, mit formalen wie rhetorischen Mitteln, den Eindruck der Passivität abzumildern, den Leser nicht in Zweifel kommen zu lassen, daß es aufs eigene Tun ankomme. (Fs)

86a Gerade das Bekehrungserlebnis selbst erfährt in beiden Werken eine durchaus unterschiedliche Deutung. Ist es in den Bekenntnissen die in dramatische Form gekleidete Szene im Garten, in der dargestellt wird, wie ein Offenbarungsspruch die Worte Tolle, lege ihm zu Ohren bringt, die den letzten Anstoß geben, so erscheint es in unserem Dialog als die reife Frucht langer eigener Bemühung um platonisches und neuplatonisches Schrifttum, das in letzter Konsequenz die Wahrheit der Schrift rechtfertigt. Der letzte Anstoß geht von einer äußeren Situation aus, seiner Krankheit, die nicht eigens akzentuiert in Erscheinung tritt, die im Grunde auch nur verkürzt, was als Prozeß schon selbst vom Autor in Gang gebracht war. Auch die Bekenntnisse leben von den Berichten über philosophische Auseinandersetzungen und Gedankengänge. Aber hier ist es nicht eigentlich die philosophische Reflexion, die ihn am Ende zur Wahrheit, zum rechten Leben führt: sie erscheint vielmehr lediglich als »Raub des ägyptischen Goldes« (7,9,15) - wie sehr es auch eben dieses Gold sein mag, das Augustin fortgesetzt verarbeitet. Was er ins Bewußtsein drängen möchte, ist aber etwas anderes: der unmittelbare Eindruck einer von außen wirkenden göttlichen Gnade. Genau diesen Gesichtspunkt freilich bemüht er sich in unserem Dialog abzuschwächen. Was also ist die Tendenz, die diesen Einzelzügen zugrunde liegt? In den Bekenntnissen ist das Böse im Handeln des Menschen der Ausgangspunkt, und die Güte der göttlichen Gnade hat die Erlösung bewirkt. In De beata vita sehen wir die Position auf charakteristische Weise verändert. Ausgangspunkt ist die objektiv geschilderte Verwirrung durch äußere Mächte, denen der Mensch mehr oder weniger schuldlos preisgegeben ist. Die selbständige Aktivität des Menschen bewirkt die Heimkehr. Im Gegensatz zu der religiös betonten Einstellung des Autors zur eigenen Lebensgeschichte in den Bekenntnissen betrachten wir daher die Selbstortung Augustins in unserem Dialog als philosophisch motiviert. Gerade der Ausfall so charakteristisch christlich-religiöser Begriffe und Motivationen wie Schuld, Gnade, Erlösung hebt den Lebensbericht in unserem Dialog von den Bekenntnissen ab. Um so mehr kommt die platonisch-neuplatonische Denkweise zum Vorschein: der Ausgang von einer Welt der necessitas, im Sein abgefallen von der klaren und idealen Wahrheit des noetischen Ursprungs, die Heimkehr daher des Menschen zu seiner wahren Heimat, wo er als Geistwesen, als Seele seinen Ursprung hat, durch einen Prozeß der permanenten Selbstverwirklichung, die sich der Verwirrung und Verirrung in die dunklen Gefilde selbst enthebt. (Fs)

88a Dies ist auch der Grund, warum sich Augustin bereits im ersten Satz dieses Werkes fragt: Kämen denn soviel weniger Menschen zum Hafen der Philosophie, wenn ein von Vernunft bestimmter Kurs und reiner Wille dort hinführten? Augustin hat seine Erfahrungen mit Meer und Sturm. Allzu viele sind es nicht, die auf diesem Wege den sicheren Hafen erreichen. Sollten nicht Vernunft und Wille wenigstens dasselbe leisten können? Natürlich sind Vernunft und Wille nicht alles. Dennoch: vernünftig wäre nur ein Weg der Vernunft, ein Weg für alle einsichtig, jedem gangbar, ein Weg, der aller Zustimmung finden könnte. (Fs)

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