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Autor: Lotz, Johannes B.

Buch: Transzendentale Erfahrung

Titel: Transzendentale Erfahrung

Stichwort: Gutheit; Erkennen - Wollen; (voluntas et intellectus mutuo se includunt; Scheler: intentionales Fühlen

Kurzinhalt: ... vielmehr durchdringen sich Vernunft und Wille so sehr, daß sie in keinem Fall restlos voneinander getrennt sein können

Textausschnitt: 4. Der Weg der Gutheit

Erkennen und Wollen:

223/VI Nachdem wir die metaphysische Erfahrung auf dem Wege des Seins und auf dem der Wahrheit entwickelt haben, wenden wir uns nunmehr dem Weg der Gutheit zu; damit kommen wir vom Seelengrund über das Erkennen zum Wollen oder Lieben, das sich im endlichen und besonders im menschlichen Bereich als Streben, von Thomas 'appetitus' genannt, ausprägt. (207; Fs)

224/VI Der Schritt vom Wahren zum Guten wird dadurch vorbereitet, daß sich das Wahre als das Gute des Geistes oder des Erkennens (bonum intellectus) darstellt, das freilich nicht ohne weiteres das Gute des Strebens (bonum appetitivae virtutis) ist1; näherhin löst das Wahre als das Gute des Geistes, wie wir sahen, die Dynamik aus, die von unserer gebrochenen zu der reinen Identität hintreibt und erst in der ersten oder subsistierenden Wahrheit zur Ruhe kommt. (207; Fs)

225/VI Daraus also, daß das Wahre ein Gutes unter anderen (quoddam bonum) ist oder den Charakter des Guten hat2, folgt im erkennenden Geist ein Streben dazu hin (tendit intellectus)3; demgemäß gilt auch vom Wahren, was dem Guten eigen ist, daß es nämlich als Zielursache ins Spiel kommt (habet rationem finis)4. - (207; Fs)

226/VI Von hier aus zeichnet sich eine tiefere Bedeutung in dem Wort des Aquinaten ab, daß die Vernunft und der Wille sich gegenseitig einschließen (voluntas et intellectus mutuo se includunt); danach erkennt nicht allein die Vernunft den Willen und will umgekehrt der Wille nicht allein, daß die Vernunft erkenne5; vielmehr durchdringen sich Vernunft und Wille so sehr, daß sie in keinem Fall restlos voneinander getrennt sein können. (207f; Fs)

Quer: F1_016_q4

227/VI Folglich umschließt die Vernunft den ihrem eigenen Wesen entsprechenden Anteil von Wille und Streben, was durch das eben Gesagte bestätigt wird; ebenso umschließt der Wille den seinem eigenen Wesen entsprechenden Anteil von Vernunft und damit von Lichtung oder Gelichtetheit. (208; Fs)

228/VI Die zweite Aussage wird meist nicht vollzogen, obwohl sie durch die erste nahegelegt wird; wenn nämlich die Vernunft einen Anteil von Wille enthält, so liegt es nahe zu sagen, der Wille enthalte auch einen Anteil von Vemunft. Das verlangt ihre beiderseitige Eigenart, insofern sie als Teilausprägungen des einen menschlichen Wirkens aufeinander verwiesen und ineinander verflochten sind; das ist damit gleichbedeutend, daß jede der beiden Tätigkeiten die andere ansatzweise, freilich nur ansatzweise mit sich bringt, wodurch sie ineinandergreifen und sich gegenseitig ergänzen, indem das in der einen Tätigkeit ansatzweise Enthaltene durch die andere zur Vollendung geführt wird. - (208; Fs)

229/VI Nun scheint dem Anteil von Vernunft im Willen die fast wie ein Grundsatz vertretene Behauptung zu widerstreiten, der Wille sei blind (voluntas est caeca). Der berechtigte Sinn dieses Satzes liegt darin, daß dem Willen nicht ein Erkennen zukommt, für das ja die Vernunft zuständig ist; im Hinblick darauf sprachen wir oben von Lichtung oder Gelichtetheit. Ein Beispiel für diese haben wir früher in der Selbsterschlossenheit des Wollens gefunden (Vgl. S. 63); es ist nicht nur durch ein darauf gerichtetes Erkennen der Vernunft bewußt, sondern sich selbst durch sich selbst bewußt, weshalb in diesem Fall Subjekt und Objekt als derselbe Akt miteinander identisch sind. In diesem Selbst-Bewußtsein, das von der begleitenden Reflexion vollzogen wird, geschieht die Lichtung des Wollens, nicht aber dessen Erkennen, das der nachfolgenden Reflexion, die von der Vernunft geleistet wird, vorbehalten ist. - (208; Fs)

230/VI Auf ähnliche Weise verhält sich das Wollen oder Streben, dessen Grundakt die Liebe ist, zum Guten. Zwar wird dem Wollen das Gute durch das Erkennen der Vernunft dargeboten; das dargebotene Gute aber wird vom Wollen selbst mit dem ihm eigenen Gespür umfaßt und erfühlt, wozu Scheler mit seinem der Emotionalität angehörenden 'intentionalen Fühlen' gelangt6. Diese das Wollen auszeichnende Lichtung oder Gelichtetheit kann, bei einem anfänglichen Erkennen ansetzend, diesem vorauseilen und es sogar übertreffen sowie ihm eine lebendige Tiefe und überwältigende Überzeugungskraft verleihen, die das Erkennen allein nicht erreicht. Ohne die eben beschriebene Gelichtetheit ist kaum zu verstehen, wie das Wollen wahrhaft ein Bewußtseinsgeschehen zu sein vermag7. (208f; Fs)

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