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Autor: Schelsky, Helmut

Buch: Soziologie der Sexualität

Titel: Soziologie der Sexualität

Stichwort: Kinsey-Report; biologische Faktizität; Forderung einer Angleichung von Mann - Frau

Kurzinhalt: Ähnliche Argumente aus der Variabilitätsbreite der natürlichen Anlagen werden ja auch gegen die bisherige soziale Polarisierung der Rolle des männlichen und weiblichen Geschlechts erhoben und in vielerlei Formen zur Forderung einer Angleichung ...

Textausschnitt: 53a Ähnliche Argumente aus der Variabilitätsbreite der natürlichen Anlagen werden ja auch gegen die bisherige soziale Polarisierung der Rolle des männlichen und weiblichen Geschlechts erhoben und in vielerlei Formen zur Forderung einer Angleichung und Nivellierung dieser sozial gesetzten Unterschiede verwandt. Auch hier ist zu betonen, daß das Wissen um die soziale Formung der <Natur> der beiden Geschlechter in unserer Tradition und ihre Andersartigkeit in den verschiedenen Gesellschaften nicht dazu führen darf, diese Formung für belanglos zu halten und sie beliebig zu stilisieren: Unsere Kultur beruht auf einer bestimmten, und zwar gegensätzlichen Formung der Rollen der Geschlechter; ihre Nivellierung bedeutet also zweifellos eine Veränderung der Grundlagen unserer tradierten Kultur. Ob ein neues kulturelles Gesamtgefüge sich auf der Angleichung der Geschlechter aufbauen kann und wird, ist durchaus ungewiß; daß unser kulturelles Erbe dabei nicht gewahrt werden kann, aber offensichtlich. Sehr deutlich hat gerade Marg. Mead (23 b, S. 213) darauf hingewiesen, daß ein Aufgeben von sozialen Differenzierungen in dieser Hinsicht auch ein Opfer an Komplexität des Verhaltens und damit an Kulturniveau bedeuten kann; die gänzliche Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung von Mann und Frau könne gerade dazu führen, daß in unserer Gesellschaft die Möglichkeit und Berechtigung zu Minderheitenhaltungen - wie sie etwa innerhalb einer kriegerisch=männlichen Gesellschaft die Frau in einer ausschließlichen und für ihre Lebenshaltung auch anerkannten Zuwendung zum Caritativen und rein Privaten entwickeln konnte - immer mehr verlösche. Aus dieser Furcht vor der Reprimitivisierung zum <Einheitsmenschen> will Marg. Mead die nachlassende Trennung und Spannung zwischen den Rollen der beiden Geschlechter durch andere Differenzierungsprinzipien, vor allem durch die betontere Anerkennung des Unterschieds individueller Begabungen und Anlagen ersetzt sehen. Meines Erachtens überschätzt sie allerdings die Chance einer in dieser Weise differenzierten sozialen Normierung des menschlichen Verhaltens, weil Selbsttäuschung und Beliebigkeit in der Beurteilung anderer auf dem Gebiet der Begabungen, Anlagen und Talente keine sozial und persönlich eindeutige und verbindliche Zurechnung des einzelnen zu bestimmten Verhaltensformen erlauben. Eines aber wird aus diesen Überlegungen Marg. Meads ebenfalls deutlich: Der Sinn einer soziologischen Tatbestandsaufnahme kann nur darin liegen, gerade den Zwang zur sozial verbindlichen Normsetzung der Geschlechtlichkeit als Gestaltungsaufgabe im zeitgeschichtlichen Umbruch der Verhaltensformen freizulegen und anzusinnen. (Fs)

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