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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Notion vom Bewusstsein; was ist ein Erkennender?; bewusster Akt - Erkenntnisakt

Kurzinhalt: ... deshalb haben wir den Erkennenden nicht so definiert, daß wir sagten, er erkenne etwas, sondern daß wir nur sagten, er vollziehe gewisse Arten von Akten ... daß es ein Innewerden gibt, das den Erkenntnisakten immanent ist.

Textausschnitt: 1. Die Notion vom Bewußtsein

374b Erstens soll das Bewußtsein nicht verstanden werden als eine Art innere Schau. Die Leute stellen sich unter Erkennen einen Menschen vor, der auf etwas hinschaut, und dann weiter unter Bewußtsein, daß sie selbst in sich selbst hineinschauen. Und sie geben sich solchen Ansichten der Phantasie nicht nur hin, sondern sie werden sie auch durch Argumente zu rechtfertigen suchen. Erkennen, werden sie sagen, heißt etwas erkennen; es bedeutet, mit einem Objekt konfrontiert zu werden; es ist die merkwürdige, mysteriöse, auf nichts anderes zurückführbare Präsenz eines Dinges zu einem anderen. Obwohl daher das Erkennen auch nicht ausschließlich eine Sache des Sehens mit den Augen ist, ist es doch radikal eben diese Art von Ding. Es ist ein Schauen, Intuieren, Betrachten. Welche Wörter man auch immer wählen mag, Bewußtsein ist ein Erkennen und damit eine Art innere Schau. (Fs)

374c Während nun das Bewußtsein ein Faktor in der Erkenntnis ist, und während das Erkennen eine Aktivität ist, mit welcher sich ein Objektivitätsproblem verbindet, ist es doch eine Sache, diese Aktivität darzulegen, und eine ganz andere, das Objektivitätsproblem in Angriff zu nehmen. Für den Augenblick beschäftigt uns nur eine Darlegung der Aktivität, und deshalb haben wir den Erkennenden nicht so definiert, daß wir sagten, er erkenne etwas, sondern daß wir nur sagten, er vollziehe gewisse Arten von Akten. Ähnlich fragten wir auch nicht, ob der Erkennende sich selbst erkenne; wir fragen nur, ob er den Akt der Selbstbejahung vollziehen könne. Während also einige meiner Leser über die bemerkenswerte Gabe verfügen mögen, in sich selbst hineinzublicken und die Dinge klar und deutlich anzuschauen, werden wir unsere Sache nicht auf ihrem Erfolg aufbauen. Denn es kann sehr wohl andere Leser geben, die wie der Schreibende selbst finden, daß das Hineinschauen in sich selbst nicht viel hergebe. (Fs)

374d Zweitens, mit Bewußtsein wollen wir sagen, daß es ein Innewerden gibt, das den Erkenntnisakten immanent ist. Wir haben schon zwischen Akt und Inhalt unterschieden, zum Beispiel zwischen Sehen und Farben, Hören und Schall, Sich-Vorstellen und Bild, Einsehen und Idee. Das Bewußtsein zu behaupten bedeutet zu behaupten, daß der Erkenntnisprozeß nicht lediglich eine Reihenfolge von Inhalten ist, sondern auch ein Aufeinanderfolgen von Akten. Es bedeutet zu behaupten, daß diese Akte von solchen unbewußten Akten radikal verschieden sind, wie etwa der Stoffwechsel in unseren Zellen, der Unterhalt unserer Organe, die vielfältigen biologischen Prozesse, die wir durch das Studium der zeitgenössischen Medizinwissenschaft kennen lernen. Beide Arten von Akten kommen vor; aber die biologischen [321] Akte kommen außerhalb des Bewußtseins vor und die kognitiven innerhalb des Bewußtseins. Sehen ist nicht bloß eine Reaktion auf den Stimulus von Farbe und Gestalt; es ist eine Reaktion, welche im Innewerden von Farbe und Gestalt besteht. Hören ist nicht allein eine Reaktion auf den Stimulus von Schall; es ist eine Reaktion, die im Innewerden von Schall besteht. So wie sich die Farbe vom Schall unterscheidet, so unterscheidet sich das Sehen vom Hören. Sehen und Hören haben aber eine gemeinsame Eigenschaft, insofern bei beiden Vorkommnissen nicht nur ein Inhalt, sondern auch ein bewußter Akt vorhanden ist. (Fs)

375a Unter dem bewußten Akt ist nicht ein absichtlicher Akt gemeint; wir sind uns von Akten bewußt, ohne darüber zu debattieren, ob wir sie vollziehen wollen. Unter dem bewußten Akt ist auch nicht ein Akt gemeint, auf den man aufmerksam ist; das Bewußtsein kann erhöht werden, indem man die Aufmerksamkeit vom Inhalt zum Akt verschiebt; aber das Bewußtsein konstituiert sich nicht durch dieses Verschieben der Aufmerksamkeit; denn es ist eine Qualität, die in Akten einer gewissen Art immanent ist, und ohne es wären die Akte so unbewußt, wie es das Wachsen des eigenen Bartes ist. Unter dem bewußten Akt ist nicht gemeint, daß der Akt irgendwie zur Inspektion isoliert wird, und auch nicht, daß man seine Funktion im Erkenntnisprozeß erfaßt, und auch nicht, daß man ihm einen Namen geben kann, und auch nicht, daß man ihn von anderen Akten unterscheiden kann, und auch nicht, daß man sich seines Eintretens sicher ist. (Fs)

375b Bedeutet dann also "bewußter Akt" nichts anderes als "Erkenntnisakt"? Hier muß eine Unterscheidung vorgenommen worden. Erstens glaube ich nicht, daß nur Erkenntnisakte bewußt sind. Zweitens gibt es Leute, die "Sehen" als "Innewerden einer Farbe" definieren würden und dann gleich folgern, daß man beim Sehen der Farbe inne war, aber sonst nichts, daß ein "Innewerden von Farbe" vorkomme, aber daß ein gleichzeitiges "Innewerden vom Innewerden" eine reine Fiktion sei. Dies wird den Tatsachen, wie ich meine, nicht gerecht. Wenn Sehen ein Innewerden von nichts als Farbe ist und Hören ein Innewerden von nichts als Schall, warum werden dann beide "Innewerden" genannt? Geschieht es, weil Farbe und Schall irgendwie ähnlich sind? Oder sind Farbe und Schall zwar disparat, aber hinsichtlich beider gibt es Akte, die ähnlich sind? Und wenn der zweite Fall gilt, welches ist dann die Ähnlichkeit? Besteht sie darin, daß beide Akte vorkommen, so wie der Stoffwechsel vorkommt? Oder besteht sie darin, daß beide Akte bewußt sind? Man mag seine Schwierigkeiten mit dem Ausdruck "Innewerden vom Innewerden" haben, speziell dann, wenn man sich das Innewerden als ein Sehen vorstellt und es widersinnig findet, von einem "Hinsehen auf ein Sehen" zu sprechen. Man kann aber nicht bestreiten, daß es im Erkenntnisakt, so wie er vorkommt, einen Faktor oder ein Element oder eine Komponente gibt über und jenseits seines Inhalts, und daß es dieser Faktor ist, der die Erkenntnisakte von den unbewußten Vorkommnissen unterscheidet. (Fs)

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