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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Bergpredigt: Struktur

Kurzinhalt: Die Seligpreisungen der Bergpredig (Mt 5, 3-12) greifen die Versprechen auf, die seit Abraham an das auserwählte Volk ergangen sind und die sich zahlreich in der ganzen Heiligen Schrift verstreut finden, ...

Textausschnitt: Die Bergpredigt

4b Wir wollen nun die wichtigsten Abschnitte des Neuen Testaments untersuchen, die eine Moralkatechese enthalten. Zwei charakteristische Texte verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit. (Fs)

4c Die Bergpredigt bildet die erste von fünf Reden des Matthäusevangeliums. Sie wurde als Zusammenfassung der Lehre Jesu über die Gerechtigkeit verfasst und sie enthält die Regeln, die Jesus seinen Jüngern aufgab. Sie ist die Erklärung des Aufrufs zur Bekehrung: »Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe« (Mt 3,2; 4,17)

4d Organisch vereint die Bergpredigt Worte, die wahrscheinlich bei verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen worden sind, und wird so zu einem Grundtext der ursprünglichen Sittenlehre. Man hat sie die Magna Charta des christlichen Lebens genannt (vgl. Augustinus, De Sermone Domini in Monte I, 1, 1). Die Bergpredigt ist durch die Autorität des Herrn ausgezeichnet, die sich in kategorischen Formulierungen ausdrückt wie etwa: »Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen« (Mt 5, 20); »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist ... Ich aber sage euch ...« (Mt 5, 21-44). Der Text hat eine Redaktionsarbeit erfahren, die bisher nicht genügend gewürdigt worden ist. Er setzt sich aus kurzen Sätzen zusammen, häufig so zusammengefügt, dass sie kleine Einheiten bilden, wie zum Beispiel die Seligpreisungen. Es handelt sich um Zusammenfassungen, die der mündlichen Weitergabe sowie der persönlichen Betrachtung dienen und die - von einem weisheitlichen Gedanken inspiriert - zur Bildung einer homogenen Lehre vereinigt wurden. Die Bergpredigt ist kein Mosaik von zusammenhangslosen Worten. Sie folgt freilich auch keiner abstrakt verstandenen Logik, sondern gleicht sich vielmehr den oft gegensätzlichen Bewegungen der tiefen Einsicht des Herzens an, die aus einer Erfahrung hervorgeht. Wie Johannes Chrysostomus und Augustinus bemerkt haben, richtet sich die Bergpredigt an alle Menschen, angefangen mit den Armen und Betrübten. Sie beschränkt sich also nicht auf eine religiöse Elite, wie man später gesagt hat. (Fs)

5a Die Gliederung der Bergpredigt ist in ihren groben Zügen recht einfach. (Fs)

1. Die Seligpreisungen der Bergpredig (Mt 5, 3-12) greifen die Versprechen auf, die seit Abraham an das auserwählte Volk ergangen sind und die sich zahlreich in der ganzen Heiligen Schrift verstreut finden, zum Beispiel in der Seligpreisung der ersten Verse des Psalters. Sie richten die Hoffnung der Jünger auf das Himmelreich, das paradoxerweise den Armen und den um Jesu willen Verfolgten vorbehalten ist, entsprechend der Erfahrung der ersten christlichen Generationen. Die Kirchenväter haben darin die Antwort Christi auf die Frage nach dem Glück gesehen, die so sehr von den Philosophen diskutiert wurde, und sahen so Jesus als wahrhaft Weisen. (Fs)

2. Nach der Charakterisierung der Jünger als »Salz der Erde« und »Licht der Welt« (Mt 5, 13-16) kommt die Beschreibung der Gerechtigkeit, des Sittengesetzes nach der Lehre Christi (Mt 5, 20-48). Sie entwickelt antithetisch fünf Gebote des Dekalogs: »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist... Ich aber sage euch ...«. Die Gerechtigkeit betrifft nun die Ebene des menschlichen Herzens und des Ursprungs seiner Taten, wo sich die Gottes- und Nächstenliebe entwickelt, die ihren Höhepunkt in der Vergebung gegenüber den Feinden erreicht, in der Nachahmung der Barmherzigkeit, der Vollkommenheit des himmlischen Vaters. (Fs)

3. Daraufhin werden die drei wichtigsten Aktivitäten des religiösen Lebens in die richtige Perspektive gerückt (Mt 6, 1-6. 16-18): Almosen (die typische Form gegenseitiger Hilfe), Gebet und Fasten (die wichtigste Form der Askese). Man muss sie aus Liebe zum Vater ausüben, der im Verborgenen sieht, nicht aber, um von den Menschen gesehen zu werden. Wiederum geht es um die Intention des Herzens, die durch den Glauben und die Liebe die Beziehung mit dem himmlischen Vater gewährleistet. Matthäus hat an dieser zentralen Stelle der Bergpredigt das Vater Unser eingefügt (Mt 6, 9-13). (Fs)

4. Der letzte Teil (Mt 6, 19-7, 11) ist besonders heterogen und stellt Worte zusammen, die dazu einladen, im Himmel den wahren Schatz zu suchen und sich vor der Anziehungskraft des Geldes in Acht zu nehmen, Wohlwollen im Urteil zu wahren und Vertrauen ins Gebet zu hegen. (Fs)

5. Der Abschluss (Mt 7, 12-27) fasst die Lehre vom Gesetz zusammen und erwähnt die Goldene Regel als Kriterium für die moralische Praxis, ruft zur Wahl des schmalen Wegs des Lebens und zur Vermeidung des breiten Wegs des Verderbens auf, warnt vor falschen Propheten und kennzeichnet die wahren Jünger als jene, die die Lehre befolgen und dadurch Standhaftigkeit beweisen. (Fs)

6a Schließlich erwähnt der Evangelist das Staunen der Menge gegenüber der Autorität Jesu (Mt 7, 28-29), die sich daraufhin in einer Reihe von Krankenheilungen kundtut. (Fs)
6b Die moderne Interpretation der Bergpredigt hat sich besonders an dem Problem gerieben, ob sie sich praktizieren lässt. Die Schwierigkeit war umso größer, als man die Bergpredigt durch die Brille der eigenen Vorstellung vom Gesetz gelesen hat, nämlich als einen Pflichtenkatalog. In Wirklichkeit beschreibt sie aber die Wege des Himmelreiches, auf denen der Heilige Geist die Jünger durch den Glauben an Jesus, der durch die Liebe wirksam wird, führen möchte. Sie fügt sich damit in ein Evangelium ein, das die Verkündigung Jesu Christi ist, des Sohnes Gottes, und das zum Glauben an ihn aufruft. Die Bergpredigt kann unmöglich gelebt werden, wenn man auf seine eigenen Kräfte zählt; für die Demütigen, die bereit sind, die Gnade der Liebe zu empfangen, zeigt sie sich jedoch zugänglich. In dieser Weise wurde sie von den Kirchenvätern interpretiert. (Fs)

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