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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Die Neigung zum Guten; 1. Prinzip der Sittlichkeit; Gebote 1,2

Kurzinhalt: Die Eigenschaft des Guten, erstrebenswert zu sein, findet einen universalen Ausdruck im ersten Prinzip der Sittlichkeit: Man muss das Gute tun und das Böse meiden.

Textausschnitt: 1. Die Neigung zum Guten

89b Die Neigung zum Guten ist ein ursprünglicher geistiger Instinkt, der als solcher nicht definiert werden kann. Man kann ihn durch das charakterisieren, was er in uns bewirkt: ein spontanes Angezogensein vom Guten und ein Gefallen am Guten sowie eine Abneigung gegenüber dem Bösen oder genauer gesagt gegenüber dem, was sich in unserer Wahrnehmung, im Verstand oder im Gewissen als schlecht darstellt. (Fs)

89c Das Gute ist mehr als nur die Pflicht. Es bezeichnet eine Qualität, eine Vollendung, die anziehend ist und Liebe erweckt. Wenn das Gute abwesend ist, bewirkt es als Ziel des Strebens eine Hinbewegung zum Guten. Ist das Gute erreicht, verursacht es Freude und Glück. Das Gute ist das, was erstrebenswert ist und was verdient, geliebt zu werden. (Fs)

89d Die Wahl zwischen dem Guten und dem Bösen ergibt sich aus diesem Anreiz des Guten. Da nämlich unser Geist und unser Herz begrenzt sind, können wir das als etwas Gutes auswählen, was in Wirklichkeit etwas Schlechtes ist, oder umgekehrt etwas wahrhaft Gutes für etwas Schlechtes halten, wie wenn jemand ein unehrlich erworbenes Vermögen den Forderungen der Gerechtigkeit vorzieht. Und weil der geliebte Gegenstand uns ihm selbst gleich macht, kann unsere moralische Bewertung falsch werden und unsere Urteilsfähigkeit verderben. Der Sinn für das Gute und das Böse bleibt jedoch auch beim Fehlgehen und in moralischer Verderbnis bestehen, so wie auch jemand in der Krankheit weiterhin nach Gesundheit verlangt. (Fs)

90a Die Eigenschaft des Guten, erstrebenswert zu sein, findet einen universalen Ausdruck im ersten Prinzip der Sittlichkeit: Man muss das Gute tun und das Böse meiden. Das bedeutet nicht in erster Linie eine sittliche Verpflichtung, das Gute zu tun, sondern betont die Anziehungskraft des Guten. Aus diesem ersten Prinzip folgt auch die Weisung, über den Anschein der Illusionen hinauszugehen und nach dem wahrhaft Guten zu streben und das reale Übel zu vermeiden. Der Nachdruck, im Guten mit seinem ganzen Anreiz auf die Wahrheit zu schauen, steht am Ursprung des richtig verstandenen Prinzips der Pflicht und des Sollens, ohne dass sich die Wahrheit allerdings auf Pflicht und Sollen reduzieren ließe; sie übersteigt diese nämlich und führt zur Vollendung des Guten. (Fs)

90b Das Gute ist untrennbar mit der Liebe verbunden, deren unmittelbare Ursache es ist. Dementsprechend könnte man die Arten des Guten entsprechend den verschiedenen Arten von Liebe und Freundschaft unterscheiden. Es gibt zunächst das angenehme Gute, das um des sinnlichen Genusses willen angestrebt wird. Weiterhin gibt es das nützliche Gute, das als Mittel für einen bestimmten Zweck beabsichtigt wird. Diese beiden Arten des Guten entsprechen der 'begehrlichen Liebe', durch die das erstrebte Gut ganz der eigenen Person untergeordnet wird. Nach Aristoteles ist das der Fall bei Freundschaft zwischen jungen Leuten, die auf der Lust und dem Gefühl gründet, und unter Geschäftsfreunden, deren Freundschaft auf dem gemeinsamen Nutzen basiert. (Fs)

90c Das Gute im vollen Sinn des Wortes ist anderer Natur: Es ist wert, um seiner selbst willen und in sich selbst geliebt zu werden, als Zweck und nicht als Mittel. Ebenso besteht die Liebe im eigentlichen Sinne darin, jemanden um seiner selbst willen und in sich selbst zu lieben. Dies ist die so genannte Freundschaftsliebe oder die wohlwollende Liebe. Der Gegenstand dieser Liebe ist eine Person oder eine bestimmte Eigenschaft der Person, beispielsweise ihre Wahrhaftigkeit oder ihre Güte, ihre Rechtschaffenheit sowie jede andere authentische Tugend. Das Gute und die Freundschaft dieser Art gehören im eigentlichen Sinn zur Ethik. (Fs)

91a Die Neigung zum Guten ist im Dekalog durch die beiden Gebote der Liebe zu Gott und dem Nächsten ausgedrückt, die das gesamte Gesetz enthalten. Sie ist die Grundlage für die Rechte und Pflichten, die die anderen Neigungen näher bestimmen. Kurz, sie gibt jedem Menschen das Recht und legt ihm die Pflicht auf, nach dem Guten zu streben und dem Bösen zu entsagen und es zu bekämpfen. Diese Neigung entwickelt sich durch die Tugenden auf der Grundlage eines allgemeinen Wunsches nach Gerechtigkeit und nach Freundschaft, der sich in jeder einzelnen Handlung konkretisiert. Die Liebe für das Gute, die zugleich allgemein und konkret ist, bietet die natürliche Grundlage der göttlichen Tugend der Liebe (Caritas). Die Caritas bringt die Liebe zum Guten zur Vollendung, indem sie sie umgestaltet und reinigt. (Fs) (notabene)

91b So wie wir die Gesundheit am meisten schätzen, wenn wir krank sind, so zeigt sich uns die Neigung zum Guten am spürbarsten, wenn wir mit dem Bösen und mit dem Leid konfrontiert sind, besonders im Bewusstsein unserer Sünde, sofern diese uns nicht blind macht. Aber nicht nur der Schmerz, sondern auch die Freude offenbart uns unsere Neigung zum Guten. (Fs)

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