Datenbank/Lektüre


Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Glück: Lust - Freude (zwei Konzeptionen; Definition); Augustinus; Seligpreisungen; Lust - Schmerz - Freude

Kurzinhalt: Die Lust ist ein angenehmes sinnliches Gefühl, ein Affekt, der durch Kontakt mit einem äußerlichen Guten zustande kommt. Die Freude entsteht hingegen von innen her, genau wie die Tätigkeit, die sie verursacht:

Textausschnitt: Die Lust und die Freude: zwei verschiedene Konzeptionen des Glücks

68a Wir schlagen eine Lösung vor, die jedermann unmittelbar einsichtig sein sollte. Die negative Beurteilung des Verlangens nach Glück kommt in folgenden Missdeutungen zum Ausdruck: Es handle sich um ein eigennütziges Streben, das individualistisch sei und zum Egoismus tendiere; es sei der Selbstlosigkeit, der Selbstvergessenheit und der Großzügigkeit entgegengesetzt, denen allein moralischer Wert zukomme und die ein Pflichtbewusstsein voraussetzten. Wenn das Verlangen nach Glück in der Ethik zu stark berücksichtigt wird, werde in ihr das Streben nach Annehmlichkeit und Eigennutz vorherrschen. Die universale Reichweite der moralischen Prinzipien werde zugunsten des individuellen Vorteils vernachlässigt. - Dementsprechend hat man jene ethischen Theorien, die die Glückseligkeit als Kriterium für das moralische Urteil ansetzen, als utilitaristisch oder sogar hedonistisch bezeichnet. Was zu solchen Vorstellungen führt, ist die Definition des Glücks auf der Grundlage der sinnlichen Erfahrung. (Fs)

68b Wenn man indes aufmerksam die Autoren - vor allem die christlichen Autoren - liest, die die Ethik als Streben nach Glückseligkeit verstanden haben, stellt man zunächst fest, dass sie sich der Problematik vollständig bewusst waren. Ihr erstes Anliegen war, das Problem der Lust als grundlegende menschliche Erfahrung zu verstehen und die Lust moralisch zu bewerten. Im Gegensatz zu diesen Bemühungen vernachlässigen viele moderne Ethiker das Thema der Lust. (Fs)

69a Der entscheidende Punkt besteht jedoch darin, dass die besten Definitionen des Glücks bei den erwähnten Autoren über die Lust hinausgehen und das Glück auf die Erfahrung der Freude gründen, die sich von der Lust grundlegend unterscheidet. Ein Zeuge dafür ist der heilige Augustinus in seinen Bekenntnissen. Der Bischof von Hippo formuliert zunächst das Glück anhand des Begriffs der Freude:

So sind alle darin einig, daß sie glücklich sein wollen, wie sie sich auf Befragen alle einig wären, daß sie sich freuen wollen, und sie nennen die Freude auch das selige Leben. (Bekenntnisse X, 21, 31, übers, von Kurt Flasch und Burkhard Mojsisch, Stuttgart 1989, S. 275.)

69b Im Anschluss daran legt er seine berühmte Definition des Glücks vor, die klassische Bedeutung erhalten hat: »Also besteht das selige Leben in der Freude über die Wahrheit (gaudium de veritate)« (X, 23, 33, S. 276). Der tiefere Sinn dieser Definition geht aus einer Passage hervor, in der Augustinus Gott direkt anspricht:

Gibt es doch eine Freude, die den Gottlosen nicht gegeben wird, sondern nur denen, die dich selbstlos verehren, deren Freude du selbst bist. Und das ist das selige Leben - sich freuen zu dir hin, über dich, deinetwegen. Dies ist es und kein anderes (X, 22, 32, S. 276). (Fs)

69c Dieselbe Dynamik kommt in den Seligpreisungen der Bergpredigt zum Ausdruck: Sie bewirken zunächst eine Reinigung und haben dann ihren Höhepunkt in der Verheißung der Freude, die den um Christi willen Verfolgten zuteil wird. Bei niemandem würde hier der Gedanke aufkommen, dass es sich um einen Ansporn zur Lust handeln könnte. (Fs)

69d Die Lust und die Freude sind in der Tat zwei grundverschiedene Erfahrungen, die zwei Konzeptionen des Glücks begründen: Die eine bleibt der sinnlichen Ebene verhaftet und die andere gehört unmittelbar zur moralischen und spirituellen Ebene. Die wichtigsten Unterscheidungen können wir in folgenden Punkten zusammenfassen. Die Lust ist ein angenehmes sinnliches Gefühl, ein Affekt, der durch Kontakt mit einem äußerlichen Guten zustande kommt. Die Freude entsteht hingegen von innen her, genau wie die Tätigkeit, die sie verursacht: Sie ist die direkte Wirkung einer vortrefflichen Tätigkeit, so wie der Genuss eine längere Anstrengung erfolgreich vollendet zu haben. Darüber hinaus empfinden wir Freude, wenn wir die Wahrheit erkennen oder das Gute lieben, gleichsam als Überströmen der Wahrheitserkenntnis und der Liebe in unseren seelischen Empfindungen. Dementsprechend ist die Freude unmittelbar mit der Tugend verbunden, als Zeichen der Echtheit der Tugend. (Fs) (notabene)

70a Die Lust ist dem Schmerz entgegengesetzt: Lust und Schmerz sind miteinander unvereinbar. Die Freude kann hingegen aus einer Prüfung hervorgehen, aus einem Schmerz und einem Leid, das ertragen und mit Mut und Liebe angenommen wird. Die Lust ist von kurzer Dauer und schwankend, genau wie die Ursache, aus der sie hervorgeht. Demgegenüber ist die Freude beständig, so wie es die Tugenden sind, die sie verursachen. Die sinnliche Lust ist zudem so wie das sinnliche Gefühl eine individuelle Erfahrung. Sie vermindert sich, wenn man den Gegenstand der Lust teilt, und verschwindet vollständig, wenn dieser Gegenstand nicht mehr da ist. Dagegen ist die Freude kommunikativ, das heißt sie wächst damit, dass man sie mit anderen teilt und belohnt für das Opfer, das man willig auf sich nimmt. Die Freude ist von der Reinheit und vom Großmut der Liebe untrennbar. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt