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Autor: Schelsky, Helmut

Buch: Soziologie der Sexualität

Titel: Soziologie der Sexualität

Stichwort: Sexualität; Konventionalisierung, Konvention 6; große Verbreitung und Anwendung typisierender Schemata

Kurzinhalt: Such- und Darbietungsbild der erotischen Kommunikation geraten in eine gesellschaftlich geforderte und auf gedrungene Standardisierung, die sich sehr frühzeitig der Phantasie der jungen Menschen aufprägt ...

Textausschnitt: 117b
6. Schließlich wäre als ein auffallendes Beispiel dafür, wie die hohen Variationsmöglichkeiten der Individualität und Reaktionen heute konventionell bewältigt werden, noch die große Verbreitung und Anwendung typisierender Schemata zu nennen. Auch hier geraten irgendwelche wissenschaftlichen Hypothesen, Typentheorien des Charakters, der Triebstruktur, des Erscheinungsbildes usw., meist sogar alles miteinander kombiniert, in die Rolle gesellschaftlicher Konventionen der Fremd- und Selbstbeurteilung; die Rassentheorie z.B. mit ihren einfachen Kriterien des äußerlichen Aussehens kam diesem allgemeinen Wunsch nach Sicherheit des Urteils im Schema optimal entgegen. Aber auch differenziertere Typenunterscheidungen halten sich trotz ihrer jeweils bald nachgewiesenen wissenschaftlichen Belanglosigkeit recht dauerhaft in den Köpfen der Menschen, weil sie immer dieses Bedürfnis nach konventioneller Ordnung noch besser befriedigen als eine der Vielfältigkeit der wirklichen Tatbestände gerecht werdende wissenschaftliche Einsicht. In der Beziehung der Geschlechter zueinander spielen diese konventionell typisierenden Schemata heute eine große Rolle. Indem sich der moderne Mensch in umfassender Anonymität begegnet und sein Triebleben in einem breiten, ungeformten Wunschstrom dahinfließt, scheint aus dem Mangel an äußerer und innerer Orientierung etwa die Anbahnung erotischer Kontakte völlig zufällig zu sein; hier setzt die Typenschematisierung in den Verhaltens- und Verständnisformen der Menschen als eine durchgehend gebräuchliche Vorformung und Kanalisierung des Verhaltens zueinander ein. Als kollektiv typisierte Hungerstimmungen hat A. Mitscherlich geradezu die erotischen Ausgangssituationen der Partnerwahl des modernen Großstädters bezeichnet: <Die Massentypisierung erfolgt durch konformistische Angleichung des Habitus. Mit Hilfe der eigentlichen Kommunikationsmittel der Massengesellschaft - des Films, des Fernsehens, der illustrierten Zeitung - orientiert man sich wie in einem nicht allzu umfänglichen Album von Modellen, sucht seinen Typ (ein Vorgang, nicht sehr unähnlich der Wahl zwischen Automobilen) und entdeckt ihn dann auch reichlich im Angebot des Alltags> (89, S. 209). Such- und Darbietungsbild der erotischen Kommunikation geraten in eine gesellschaftlich geforderte und auf gedrungene Standardisierung, die sich sehr frühzeitig der Phantasie der jungen Menschen aufprägt und nur mit der Sanktion eines erheblichen Chancenverlustes durchbrochen werden kann. (Fs)

118a In diesem Beispiel kündigte sich bereits eine zweite, ergänzende Verhaltensgesetzlichkeit des modernen Menschen in seinen erotischen Beziehungen an: die Eingespanntheit auch dieser Reaktionen in das Schema von Angebot und Nachfrage, also die Verbraucherhaltung auf erotisch-sexuellem Gebiet, deren Erörterung wir uns zum Schluß zuwenden möchten. Zusammenfassend wollen wir noch einmal feststellen, daß es uns in diesem Kapitel darum ging, aufzuweisen, daß die gleichen Kräfte, die aus dem Abbau und Verfall der alten Konventionen und institutionellen Regelungen des Geschlechtslebens entstehen und diesen Prozeß mit vorwärtstreiben, inzwischen zu eigener Konventionalität umgeschlagen sind und in einer gesellschaftlich angesonnenen Standardisierung der sexuellen Verhaltensweisen den zeittypischen Sozialcharakter der Sexualität in einem wesentlichen Ausmaße bilden. (Fs)

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