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Autor: Schelsky, Helmut

Buch: Soziologie der Sexualität

Titel: Soziologie der Sexualität

Stichwort: Sexualität; Konventionalisierung, Konvention 2; psychologisch Fremddeutung

Kurzinhalt: ... auf der anderen Seite übernimmt aber gerade heute die Gewohnheit, die Verhaltensformen und Reaktionen des anderen auf ihre psychologischen Zusammenhänge, Motive und Charakterstrukturen zurückzuführen, eben wieder jene Funktion,

Textausschnitt: 113b
2. Eine zweite soziale Funktion der Psychologie sehe ich darin, daß die psychologische Fremddeutung heute zu eben der konventionellen Form der Distanzierung der anderen Person wird, die im Verfall der Institutionen und Zeremonielle alter Art verlorengegangen ist. Auf der einen Seite hat der Institutions- und Formenverlust, wie es Gehlen analysiert, zu der <hautnahen> Distanzlosigkeit der vollen Eigenschaftsbreite des anderen Menschen geführt, auf der anderen Seite übernimmt aber gerade heute die Gewohnheit, die Verhaltensformen und Reaktionen des anderen auf ihre psychologischen Zusammenhänge, Motive und Charakterstrukturen zurückzuführen, eben wieder jene Funktion, ihn als Person zu verdecken und zu distanzieren. Von Situationen zu enger und womöglich zu verpflichtender Kommunikation entlastet man sich heute danach durch Psychologisierung der anderen und der Situation; ich halte dies durchaus für eine der wesentlichsten Konventionen unseres gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebens. Sie macht es möglich, auf wohl ausgegliederte Teilaspekte des anderen Menschen hin sich zu verhalten, ihn gegenständlich zu dirigieren und ihn in den Zwang vorkalkulierbarer Situationen zu stellen, und schafft schließlich, da ich ein ähnliches Fremdverständnis bei ihm auch voraussetzen kann, eine neue Form des gemeinsamen Einverständnisses, eben jenen Consensus der Konvention, im gegenseitigen Verhalten. Dies ist eine der wesentlichsten Ebenen, auf denen heute, gesellschaftlich vorgeformt, die Geschlechts- und Liebesbeziehungen ablaufen: Man verhält sich zum Triebbedürfnis des anderen, reduziert die Motivationen auf den bloßen Stimmungsgehalt der Situation und verdeckt sich den personalen Anspruch des Verhältnisses durch eine Beschränkung des Interesses auf die Neugier am bloß Eigenschaftlichen des anderen. In der Erziehung verhindert die psychologische Vergegenständlichung des <Erziehungsobjektes> immer mehr das Eingehen eines echten personellen Lehr- und Lern-Verhältnisses, worauf neuerdings sowohl D. Riesman in einer Kennzeichnung der amerikanischen Erziehungsmethoden (90) wie E. Rosenstock-Huessy in einer Interpretation der Schrift Augustins <De magistro> (91 b, S. 134 ff.) hingewiesen haben. So haben wahrscheinlich die wenig erforschten Formen der modernen konventionellen Distanzierung der anderen Person, die das Verhalten mit ihr leicht und stereotyp, in Ablaufformen und Konsequenzen voraussehbar und begrenzt, also konventionell machen, wie in den sexuellen Beziehungen so auf allen Lebensgebieten ihren Ursprung in eben der psychologischen Fremddeutung, die zunächst die Nähe der anderen Person aufdringlich vorgespiegelt hat. (Fs)

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