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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Der persönliche Gott; Option: Primat des Besonderen, Primat der Freiheit; Wasserscheide zwischen Idealismus und christlichem Glauben; Freiheit -> Unbegreiflichkeit; Person - Individuum

Kurzinhalt: Das Höchste ist nicht das Allgemeinste, sondern gerade das Besondere, und der christliche Glaube ist so vor allem auch Option für den Menschen als das unreduzierbare, ...

Textausschnitt: 2. Der persönliche Gott

146a Wenn christlicher Glaube an Gott zunächst einmal Option für den Primat des Logos, Glaube an die vorausgehende und die Welt tragende Realität des schöpferischen Sinnes ist, so ist er als Glaube an die Personhaftigkeit jenes Sinnes zugleich Glaube daran, dass der Urgedanke, dessen Gedachtsein die Welt darstellt, nicht ein anonymes, neutrales Bewusstsein, sondern Freiheit, schöpferische Liebe, Person ist. Wenn demgemäß die christliche Option für den Logos Option für einen personhaften, schöpferischen Sinn bedeutet, dann ist sie darin zugleich Option für den Primat des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen. Das Höchste ist nicht das Allgemeinste, sondern gerade das Besondere, und der christliche Glaube ist so vor allem auch Option für den Menschen als das unreduzierbare, auf Unendlichkeit bezogene Wesen. Und darin ist er noch einmal Option für den Primat der Freiheit gegenüber einem Primat kosmisch-naturgesetzlicher Notwendigkeit. Auf diese Weise tritt nun das Spezifische des christlichen Glaubens gegenüber anderen Entscheidungsformen des menschlichen Geistes in aller Schärfe hervor. Der Ort, den ein Mensch mit dem christlichen Credo bezieht, wird unmissverständlich klar. (Fs)

146b Dabei lässt sich zeigen, dass die erste Option - die für den Primat des Logos gegenüber der bloßen Materie - ohne die zweite und dritte nicht möglich ist, oder genauer: Die erste bliebe, für sich allein genommen, bloßer Idealismus; erst die Hinzufügung der zweiten und dritten Option - Primat des Besonderen, Primat der Freiheit - bedeutet die Wasserscheide zwischen Idealismus und christlichem Glauben, der nun einmal etwas anderes als bloßen Idealismus darstellt. (Fs)

147a Darüber wäre sehr viel zu sagen. Begnügen wir uns mit den unumgänglichen Klarstellungen, indem wir zunächst fragen:
147b Was heißt eigentlich das: dieser Logos, dessen Gedanke die Welt ist, sei Person und deshalb sei Glaube Option für den Primat dem Besonderen vor dem Allgemeinen? Man kann die Antwort im Letzten ganz einfach geben; denn schließlich bedeutet es nichts anderes, als dass jenes schöpferische Denken, das wir als Voraussetzung und Grund allen Seins fanden, wahrhaft seiner selbst bewusstes Denken ist und dass es nicht nur sich selber weiß, sondern seinen ganzen Gedanken weiß. Es bedeutet weiterhin, dass dies Denken nicht nur weiß, sondern liebt; dass es schöpferisch ist, weil es Liebe ist; dass es seinen Gedanken, weil es nicht nur denken, sondern lieben kann, in die Freiheit eigenen Seins gesetzt, ihn objektiviert, ins Selbersein entlassen hat. So bedeutet dies Ganze, dass jenes Denken seinen Gedanken in seinem Selbersein weiß und liebt und liebend trägt. Womit wir wiederum bei dem Wort sind, auf das unsere Überlegungen immer wieder zusteuern: Nicht umschlossen werden vom Größten, sich umschließen lassen vom Kleinsten, das ist göttlich. (Fs)

147c Wenn aber so der Logos allen Seins, das Sein, das alles trägt und umschließt, Bewusstsein, Freiheit und Liebe ist, dann ergibt sich von selbst, dass das Oberste der Welt nicht die kosmische Notwendigkeit, sondern die Freiheit ist. Die Folgen sind sehr weit tragend. Denn das führt ja dazu, dass die Freiheit gleichsam als die notwendige Struktur der Welt erscheint, und dies wieder heißt, dass man die Welt nur als unbegreifliche begreifen kann, dass sie Unbegreiflichkeit sein muss. Denn wenn der oberste Konstruktionspunkt der Welt eine Freiheit ist, welche die ganze Welt als Freiheit trägt, will, kennt und liebt, dann bedeutet dies, dass mit der Freiheit die Unberechenbarkeit, die ihr innewohnt, wesentlich zur Welt gehört. Die Unberechenbarkeit ist ein Impli-kat der Freiheit; Welt kann - wenn es so steht - nie vollends auf mathematische Logik zurückgeführt werden. Mit dem Kühnen und Großen einer Welt, die von der Struktur der Freiheit gezeichnet ist, ist so aber auch das dunkle Geheimnis des Dämonischen gegeben, das uns aus ihr entgegentritt. Eine Welt, die unter dem Risiko der Freiheit und der Liebe geschaffen und gewollt ist, ist nun einmal nicht bloß Mathematik. Sie ist als Raum der Liebe Spielraum der Freiheiten und geht das Risiko des Bösen mit ein. Sie wagt das Geheimnis des Dunkels um des größeren Lichtes willen, das Freiheit und Liebe sind. (Fs)

148a Noch einmal wird hier sichtbar, wie die Kategorien von Minimum und Maximum, von Kleinstem und Größtem, in einer solchen Optik sich wandeln. In einer Welt, die letztlich nicht Mathematik, sondern Liebe ist, ist gerade das Minimum ein Maximum; ist jenes Geringste, das lieben kann, ein Größtes; ist das Besondere mehr als das Allgemeine; ist die Person, das Einmalige, Un-wiederholbare, zugleich das Endgültige und Höchste. Die Person ist in einer solchen Weitsicht nicht bloß Individuum, ein durch die Zerteilung der Idee in die Materie entstandenes Vervielfältigungsexemplar, sondern eben »Person«. Das griechische Denken hat die vielen Einzelwesen, auch die vielen Einzelmenschen, stets nur als Individuen gedeutet. Sie entstehen infolge der Brechung der Idee durch die Materie. Das Vervielfältigte ist so immer das Sekundäre; das Eigentliche wäre das Eine und das Allgemeine. Der Christ sieht im Menschen nicht ein Individuum, sondern eine Person - mir scheint, dass in diesem Überschritt von Individuum zu Person die ganze Spanne des Übergangs von Antike zu Christentum, von Piatonismus zu Glaube liegt. Dieses bestimmte Wesen ist durchaus nichts Sekundäres, das uns nur bruchstückweise das Allgemeine als das Eigentliche ahnen ließe. Als das Minimum ist es ein Maximum; als das Einmalige und Unwiederholbare ist es ein Höchstes und Eigentliches. (Fs) (notabene)

149a Damit ergibt sich ein letzter Schritt. Wenn es so steht, dass die Person mehr ist als das Individuum, dass das Viele ein Eigentliches und nicht nur ein Sekundäres ist, dass es einen Primat des Besonderen vor dem Allgemeinen gibt, dann ist die Einheit nicht das einzige und letzte, sondern dann hat auch die Vielheit ihr eigenes und definitives Recht. Diese Aussage, die sich aus der christlichen Option mit einer inneren Notwendigkeit ergibt, führt von selbst auch zur Überschreitung der Vorstellung von einem Gott, der bloß Einheit ist. Die innere Logik des christlichen Gottesglaubens zwingt zur Überschreitung eines bloßen Monotheismus und führt zum Glauben an den dreieinigen Gott, von dem jetzt noch abschließend die Rede sein muss. (Fs) (notabene)

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