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Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte

Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2

Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna

Stichwort: Ockham; Intuition, Objektivität; Freiheit und Allmacht Gottes; de potentia sua absoluta, de potentia sua ordinata; post hoc - propter hoc (Zweitursache); Beispiel: Feuer

Kurzinhalt: Nach Ockham haben wir eine unmittelbare, intuitive Erkenntnis des Einzeldings ... Es bedarf keines Dritten, keines Erkenntnismittels zwischen Gegenstand und Verstand, und gerade darin, daß der Verstand sich passiv verhält, ist die Objektivität ...

Textausschnitt: 430a Nach Ockham haben wir eine unmittelbare, intuitive Erkenntnis des Einzeldings. Sobald wir Aussagen machen, bedienen wir uns der Begriffe, die unser Geist bildet. Den Allgemeinbegriffen entspricht keine Allgemeinheit in den Dingen, auch keine allgemeine Natur. Anfangs sieht Ockham die Allgemeinbegriffe als bloße Gedankengebilde (ficta oder figmenta), später identifiziert er sie mit dem Akt des Erkennens. In dem passiv sich verhaltenden Verstand erzeugt das Einzelding eine Ähnlichkeit seiner selbst. Das Universale ist das Gedachtsein der Dinge und inhäriert der Seele als seinem Subjekt. Damit gründen die Begriffe zwar auf der Wirklichkeit, aber nicht allgemeiner Substanzen, sondern der Einzeldinge. Es bedarf keines Dritten, keines Erkenntnismittels zwischen Gegenstand und Verstand, und gerade darin, daß der Verstand sich passiv verhält, ist die Objektivität (Sachgerechtheit) der Erkenntnis gewährleistet. (Fs) (notabene)

430b In der Gotteslehre betont Ockham vor allem die Freiheit und Allmacht Gottes. Er vermag alles, was nicht einen Widerspruch in sich schließt. Der Wille Gottes ist weder von außen noch von innen gebunden. Er handelt, wann und wie er will. Zur Erklärung des faktischen 'So' genügt der allmächtige göttliche Wille. Das Gute ist seine Anordnung. Auch der von ihm gesetzten Ordnung gegenüber ist Gott völlig frei. Er könnte die Gebote aufheben und Diebstahl, Unzucht, ja Gotteshaß gebieten. Im 'Centiloquium', einer Zusammenstellung von 100 meist sehr zugespitzten Thesen, dessen Echtheit von Verehrern Ockhams heute bestritten wird, wird allerdings eingewendet, ein göttliches Gebot des Gotteshasses sei mit dem Widerspruchsprinzip unvereinbar. Denn wer auf Befehl Gottes ihn hasse, liebe ihn, weil er sein Gebot erfülle. Erfüllung eines göttlichen Gebotes und Gotteshaß schlössen sich damit gegenseitig aus (Cl. 5 u. 7). (Fs)

431a Wenn schon von Gott selbst her sein Handeln keiner Notwendigkeit unterliegt, so ist es Ockham erst recht zuwider anzunehmen, daß vom Sein und Verhalten des Menschen her Gott irgendwie gebunden wäre. Sosehr er die Freiheit des Menschen betont und soviel er dessen natürlichen Fähigkeiten zutraut - der Mensch kann z. B. aus sich heraus Gott über alles lieben -, im Zweifel entscheidet er immer zugunsten der Souveränität Gottes. Dieser kann einen Menschen in der Sünde beseligen und einen Begnadeten verdammen. Mehrfach braucht Ockham für den Übergang a contradictorio in contradictorium durch bloßes Verstreichen der Zeit folgendes Beispiel: Gott kann bestimmen, daß alle, die heute an einem bestimmten Ort sind, verdammt werden und daß alle, die morgen dort sind, gerettet werden. Bleibt nun jemand zwei Tage dort, so ist er, der gestern verworfen war, heute in Gnaden aufgenommen, ohne daß er oder etwas an ihm sich geändert haben (IV Sent. q. 4 L ad 2). (Fs) (notabene)

431b Gott hat sich aber durch seine Anordnungen, an die er sich hält und die durch seine Verfügung für den Menschen ihre Notwendigkeit haben, selbst gebunden. Was Gott an sich kann, kann er nicht gemäß der von ihm erlassenen Ordnung, was er 'de potentia sua absoluta' vermag, vermag er nicht 'de potentia sua ordinata'. Um die Kontingenz der faktischen Ordnung deutlich zu machen, gefällt sich Ockham darin, Möglichkeiten, die auf Grund der potentia absoluta dei bestehen, aufzuzeigen und aus ihnen weitere Möglichkeiten abzuleiten. Bei diesen seinen gewagten, die Grenze des Erträglichen oft überschreitenden Potentia-dei-absoluta-Spekulationen entwickelt er eine Theologie des Als-ob und verliert den tatsächlich von Gott beschrittenen Heilsweg aus dem Auge. Erst recht wird kein Versuch gemacht, ihn zu begründen bzw. der Weisheit der Wege Gottes in Ehrfurcht nachzugehen. (Fs) (notabene)

431b Gott hat sich aber durch seine Anordnungen, an die er sich hält und die durch seine Verfügung für den Menschen ihre Notwendigkeit haben, selbst gebunden. Was Gott an sich kann, kann er nicht gemäß der von ihm erlassenen Ordnung, was er 'de potentia sua absoluta' vermag, vermag er nicht 'de potentia sua ordinata'. Um die Kontingenz der faktischen Ordnung deutlich zu machen, gefällt sich Ockham darin, Möglichkeiten, die auf Grund der potentia absoluta dei bestehen, aufzuzeigen und aus ihnen weitere Möglichkeiten abzuleiten. Bei diesen seinen gewagten, die Grenze des Erträglichen oft überschreitenden Potentia-dei-absoluta-Spekulationen entwickelt er eine Theologie des Als-ob und verliert den tatsächlich von Gott beschrittenen Heilsweg aus dem Auge. Erst recht wird kein Versuch gemacht, ihn zu begründen bzw. der Weisheit der Wege Gottes in Ehrfurcht nachzugehen. Die Darstellung der Heilsgeschichte weicht der Erörterung bloßer Möglichkeit, und die Theologie wird zum Übungsfeld logisch-dialektischer Kunstfertigkeit. In dieser Linie liegt es, wenn Ockham mit Vorliebe Grenzfälle oder Ausnahmen ins Auge faßt und daraus weitere Möglichkeiten deduziert. Weil Gott all das, was er mittels Zweitursachen bewirkt, auch unmittelbar hervorbringen kann, kann z. B. nicht bewiesen werden, daß etwas von einer vorliegenden causa secunda bewirkt ist. Es ist nur ein post hoc und kein propter hoc festzustellen. Zum Beispiel kann daraus, daß etwas bei Annäherung an Feuer brennt, nicht bewiesen werden, daß das Feuer die Ursache der Verbrennung ist. Denn Gott kann genauso festsetzen, daß immer dann, wenn etwas dem Feuer sich nähert, er allein die Verbrennung bewirkt, wie er mit der Kirche abgemacht hat, daß beim Aussprechen bestimmter Worte die Gnade des Sakramentes unmittelbar durch ihn in der Seele bewirkt wird (II Sent. q. 5 R). (431f; Fs) (notabene)

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