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Autor: Rahner, Karl

Buch: Geist in Welt

Titel: Geist in Welt

Stichwort: Urteil, Erkennen; Bei-der-Welt-Sein, Bei-einem-andern-Sein; Intuition

Kurzinhalt: Erkennen überhaupt ist zunächst zu fassen als Beisichsein eines Seins. Aber gerade damit ist gegeben, daß das Erkannte so erfaßt ist, wie es an sich selber ist ... Dieses andere erscheint darum in bezug auf solches Erkennen als normierend ...

Textausschnitt: 89a Diese urteilende Hinbeziehung des Wissens auf ein Ansich als auf das, was nicht dem psychischen Vorkommnis dieses Wissens als solchen sein Sein verdankt, ist dem Urteilen, der complexio, wesentlich. Damit ist nicht gesagt, daß Erkennen überhaupt notwendig auf ein Sein gehe, das, vom Denken verschieden, nur durch ein solches meinendes, zuteilendes Hinbeziehen eines abgelösten Wissens erfaßt werde. Eine solche Gegenüberstellung gehört nicht zum Wesen des Erkennens überhaupt. Im Gegenteil: Erkennen überhaupt ist zunächst zu fassen als Beisichsein eines Seins. Aber gerade damit ist gegeben, daß das Erkannte so erfaßt ist, wie es an sich selber ist. Die Erfassung eines Ansich ist daher denkbar ohne gegensätzliche Absetzung von erkennendem Subjekt und Gegenstand, ohne Urteil als affirmative Synthesis1. (Fs)

89b Aber menschliches Erkennen ist zunächst Bei-der-Welt-Sein, ein Bei-einem-andern-Sein in der Sinnlichkeit, und Erkenntnis dieses anderen in seinem Ansich als des objectum proprium ist darum nur möglich in einem Gegensetzen des anderen und Hinbeziehen des Wissens auf dieses entgegengesetzte, an sich seiende andere. Dieses andere erscheint darum in bezug auf solches Erkennen als normierend, als mensura der Erkenntnis2 als etwas, was in dieser Hinbeziehung getroffen oder verfehlt werden kann, so daß solchem urteilenden Erkennen immer die Möglichkeit des Verfehlens seiner Intention, die Möglichkeit des Irrtums wesentlich ist. In einem ruhenden Selbstbesitz des Ansich in Identität des Seins als eines an sich bei sich seienden ist das nicht möglich. In einem solchen Idealfall, in der Intuition im thomistischen Sinn, kann daher von Urteil und von Irrtum nicht die Rede sein, so wenig wie von einem eigentlichen Normiertwerden durch den Gegenstand (als objectum proprium), da das Erkennen ja mit ihm von vornherein und endgültig identisch ist und bleibt, weil die Sache in ihrem Ansich ihr selber zur Gegebenheit kommt. Darum ist die Intuition bei Thomas immer wahr3. Aber menschliche Erkenntnis, die nicht reine {90} Sinnlichkeit ist, hat das andere im Denken streng als solchem als das Nichtidentische, und erreicht es darum nur in der Hinbeziehung des Wissens auf das Ansich, ad rem. Nur in der complexio als eigentümlich menschlicher Weise ist für den Menschen das Ansich der Sache als solches zu erreichen. (Fs)

90a Solche Hinbeziehung ist menschlichem Erkennen wesentlich. Es gibt kein Denken, insofern es notwendig gegenständlich denkt, ohne die affirmatio eines Ansich. Der Mensch denkt immer etwas von einem anderen Etwas und setzt so immer ein Ansichseiendes. Selbst wenn er zweifelt oder leugnet, daß er dieses Ansich wissend erreiche, daß sein Denken von einem Ansichseienden gelte, setzt er ein solches Ansich. Denn Zweifel und Leugnung eines solchen Ansich konstituiert ein solches aufs neue: Das "daß ein solches nicht zu erreichen sei", das "daß wir über eine solche Möglichkeit nichts auszumachen vermögen", setzt selbst etwas, das vom aktuellen Vollzug dieses Gedankens unabhängig, also als Ansich gedacht wird1. {91} (Fs)

Was dieses Ansich, auf das die affirmative Synthesis geht, näherhin sei, wird noch zu untersuchen sein.

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