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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Freiheit für das Gute -> Strebensethik; semina virtutum

Kurzinhalt: Man kann die 'Freiheit für das Gute' mit dem Erlernen eines Handwerks oder eines Berufs vergleichen ... Aus der 'Freiheit für das Gute' entwickelt sich eine Strebensethik ...

Textausschnitt: Wie die 'Freiheit für das Gute' die Strebensethik begründet

61b Man kann die 'Freiheit für das Gute' mit dem Erlernen eines Handwerks oder eines Berufs vergleichen. Sie ist die Fähigkeit, unsere Handlungen frei zu gestalten, so wie man Werke hoher Qualität herstellt. Von Geburt an haben wir die moralische Freiheit erhalten, gleich einem Talent, das entwickelt werden muss, oder wie ein Keim, der die Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis und die Neigung zum Guten und zur Glückseligkeit enthält. Das Vermögen, die Wahrheit zu erkennen und das Gute zu tun, entfaltet sich durch das, was die Autoren der Antike semina virtutum (Samen der Tugenden) nannten. Am Anfang des Lebens ist diese Fähigkeit noch schwach, wie bei einem Kind oder einem Lehrling. Wir müssen unsere Freiheit genauso wie unseren Charakter bilden. Dies geschieht durch eine angemessene Erziehung, in der man drei wichtige Stufen unterscheiden kann, die den verschiedenen Lebensaltern entsprechen. Der Kindheit entspricht das Erlernen der Regeln und Gesetze des Handelns, das Erlernen einer Disziplin im Leben mit Hilfe der Eltern und der Lehrer. Danach kommt die Jugendzeit des sittlichen Lebens, das sich durch eine zunehmende Selbstständigkeit und eine wachsende Eigeninitiative auszeichnet, getragen vom Hang zur Wahrheit und zum Guten, der sich in der persönlichen Erfahrung ausdrückt. Hier setzt bereits anfänglich die Tugend ein, die Charaktereigenschaft und Fähigkeit zur persönlichen Handlung. Im reifen Alter entfaltet sich schließlich die Tugend wie das Talent in der Musik und den bildenden Künsten. Die Tugend ist eine unternehmerische, verständige und großzügige Kraft, die Fähigkeit zugunsten vieler Menschen aufwändige Werke zum Guten zu führen. Sie bereitet Freude und verleiht Leichtigkeit des Handelns. (Fs)

62a Aus der 'Freiheit für das Gute' entwickelt sich eine Strebensethik, das heißt eine Form der Ethik, die unmittelbar das Streben nach dem vollkommenen Guten und der Glückseligkeit zum Inhalt hat. Es geht also um die Ausrichtung des Lebens als Ganzes und um die Ausformung bestimmter moralischer Eigenschaften. Diese Ethik entsteht auf der Grundlage der wichtigsten Tugenden, die die Freiheit stärken und das Handeln vervollkommnen. Dabei werden die den Tugenden entgegengesetzten Laster und Sünden mitberücksichtigt. Die Behandlung des Gesetzes und dessen erzieherischer Funktion bringt diese Art der Ethik zum Abschluss. Weisheit und Liebe sind hier eng miteinander verbunden; der Kampf gegen das Böse fordert gelegentlich aber auch, dass diese Ethik einen gewissen Zwang ausübt. (Fs)

62b Dieses Verständnis der Freiheit steht für die Begegnung mit der christlichen Offenbarung ganz und gar offen. Die natürliche Neigung zur Wahrheit und zum Guten ist Werk Gottes, der den Menschen als Ebenbild seiner Weisheit und Güte schafft. Gleich einem inneren Lehrmeister beruft er den Menschen, tiefer an seiner schöpferischen Freiheit teilzuhaben. Von Geburt an ist der Mensch innig mit Gott verbunden. Die Verbindung mit Gott gehört substanziell zu unserer Persönlichkeit und drückt sich im Verlangen nach Glück und Liebe aus. Diese Bindung ist der menschlichen Freiheit keineswegs schädlich, sondern begründet sie vielmehr. Je mehr sich der Mensch dem Wirken Gottes mit aufrichtigem Herzen öffnet, desto mehr entfaltet sich seine Freiheit, wie der heilige Paulus lehrt. Auf diese Weise lässt sich ohne weiteres verstehen, wie die Heilige Schrift die Erlösung des Volkes Gottes beschreibt, nämlich als Wirken des Heiligen Geistes im Herzen der Gläubigen. Gottes Gnade und die Freiheit des Menschen stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern arbeiten eng miteinander zusammen. (Fs)

63a Das Ereignis der Offenbarung hatte in der Tat eine beträchtliche Umformung der Tugendlehre zur Folge. Nicht mehr der Mensch ist die wichtigste Quelle moralischer Eigenschaften, sondern Gott ist es, der durch Christus wirkt. Die christliche Theologie unterscheidet daher die vom Heiligen Geist 'eingegossenen' Tugenden von den 'erworbenen' Tugenden, die sich der Mensch durch eigene Anstrengung aneignet. Obwohl die eingegossenen Tugenden göttlichen Ursprungs sind, sind sie dennoch persönlicher Natur, wie das beispielsweise bei den 'göttlichen Tugenden' Glaube, Hoffnung und Liebe deutlich ist. Außerdem entfalten diese Tugenden eine wahre Wirksamkeit, da sie von innen her die so genannten 'menschlichen Tugenden' umformen, die den vier Kardinaltugenden zugeordnet werden (Klugheit oder praktische Weisheit, Gerechtigkeit, Stärke oder Mut, Maß oder Selbstbeherrschung). Eine beständige Erziehung im Lichte des Evangeliums ermöglicht so die Entfaltung einer aktiven Zusammenarbeit mit Gott, deren Grundlage Glaube und Liebe bilden und wo der Heilige Geist mit seinen Gaben federführend tätig ist. (Fs)

63b Die Lehre von den Tugenden, die die 'Freiheit für das Gute' vervollkommnen, steht also in Harmonie zum Evangelium und erscheint für die Auslegung seiner Botschaft über die richtige Lebensweise unentbehrlich. (Fs)

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