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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Freiheit für das Gute - Freiheit der Willkür (libertas indifferentiae); Wilhelm von Ockham - Thomas von Aquin; Petrus Lombardus; Entscheidungsfreiheit: Vernunft und Wille (liberum arbitrium); sequi naturam - dominari naturam; liberum arbitrium

Kurzinhalt: Der Begriff der 'Freiheit der Willkür' (libertas indifferentiae) steht am Ursprung der verschiedenen Formen der Pflichtethik und das Verständnis der 'Freiheit für das Gute' liegt der Tugendethik und der Strebensethik zugrunde ...

Textausschnitt: Die Wurzel des Problems: 'Freiheit für das Gute' und 'Freiheit der Willkür'

59d Unseres Erachtens liegen die Wurzeln des eben besprochenen Problems in zwei verschiedenen Auffassungen von Freiheit begründet, die zwei verschiedene Sittenlehren zur Folge haben. Der Begriff der 'Freiheit der Willkür' (libertas indifferentiae) steht am Ursprung der verschiedenen Formen der Pflichtethik und das Verständnis der 'Freiheit für das Gute' liegt der Tugendethik und der Strebensethik zugrunde. Ein Exkurs zu diesem Thema ist für das Verständnis der erwähnten Problematik sehr hilfreich. (Fs; tblStw: Freiheit) (notabene)

60a Die Theorie der 'Freiheit der Willkür' wurde gegen Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts entwickelt. Sie entstand unter anderem in der Franziskanerschule in kritischer Auseinandersetzung mit der Lehre des Thomas von Aquin. Besonders bedeutend war für diese Lehre Wilhelm von Ockham (+ 1349), der als Begründer des Nominalismus bekannt ist. (Fs)

60b Der gemeinsame Bezugspunkt der Diskussionen ist die klassische Definition der Entscheidungsfreiheit bei Petrus Lombardus in den Sentenzen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts:

Die Entscheidungsfreiheit (liberum arbitrium) ist die Fähigkeit des Verstandes und des Willens, vermöge dessen man das Gute wählt unter Beistand der Gnade, oder das Böse, wenn die Gnade fehlt (Sentenzen, Buch II, 24. Distinktion, 3. Kapitel). (Fs)

60c Thomas von Aquin hatte erklärt, dass die Entscheidungsfreiheit aus der Vernunft und dem Willen hervorgeht. Die Fähigkeit, eine Entscheidung zu treffen, ergibt sich also aus unseren beiden geistigen Vermögen, Vernunft und Willen, und sie ist von dem natürlichen Streben nach Wahrheit, nach dem Guten und nach Glückseligkeit angeregt. Man kann also die Entscheidungsfreiheit eine 'Freiheit zum Guten oder zur Vollkommenheit nennen, sofern sie ein Vermögen zu Handlungen ist, die die Wahrheit und das Gute beinhalten, selbst wenn sie gelegentlich versagt und etwas Schlechtes tut. (Fs) (notabene)

60d Wilhelm von Ockham verkehrt diese Verhältnisse ins Gegenteil: Die Entscheidungsfreiheit geht nicht aus der Vernunft und dem Willen hervor, sondern sie geht ihren Handlungen voraus. Wir haben die Wahl, ob wir denken wollen oder nicht und ob wir zu wollen wünschen oder nicht. Die Entscheidungsfreiheit ist daher das grundlegende Vermögen des Menschen, dessen Tätigkeit ursprünglich nur von seiner eigenen Entscheidung abhängt. Man definiert nun die Entscheidungsfreiheit als die Fähigkeit, ganz beliebig zwischen entgegengesetzten Möglichkeiten zu entscheiden: zwischen Ja und Nein, zwischen Gut und Böse. Daher der Name 'Freiheit der Willkür' (libertas indifferentiae). (Fs) (notabene)

60e Hier vollzieht sich eine regelrechte Revolution in der Auffassung vom Menschen und von seinem Handeln. Sie beginnt mit der Loslösung der Moral von der geistigen Natur des Menschen und seinen verschiedenen inneren Neigungen, besonders von seinem Streben nach Glück. Ockham behauptete, man könne beliebig auswählen, ob man nach Glück strebe oder nicht und ob man am Leben bleiben wolle oder nicht. Die Natur des Menschen bildet nun nicht mehr die Grundlage für die Freiheit. Die Freiheit ist damit der Willkür untergeordnet. Die berühmte Empfehlung der Alten: sequi naturam (der Natur folgen) verliert ihren Sinn. Ein neues Ideal tritt an ihre Stelle: dominari naturam (Herr über die Natur sein). (Fs)

61a Wir wollen nun aufzeigen, wie aus diesen beiden Definitionen der Freiheit zwei grundverschiedene Auffassungen und Gliederungen der Sittenlehre entstehen. Wir beginnen mit der 'Freiheit für das Gute', die in der Antike - für christliche und nicht christliche Denker gleichermaßen - grundlegend war. (Fs)

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