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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Alternative: Glück - Verpflichtung; Thomas - Kant

Kurzinhalt: Seit dem 14. Jahrhundert hat sich die Situation grundlegend verändert. Die Frage des Glücks wird vernachlässigt und die Sittenlehre konzentriert sich mehr und mehr auf Verpflichtungen ...

Textausschnitt: Glück und sittliche Verpflichtung als alternative Prinzipien der Moral

57b Problematisch wird die Sache erst, wenn wir versuchen, über den freien Willen und das Gesetz hinaus einen dritten Pfeiler der Sittenlehre einzuführen: das Streben nach Glückseligkeit. Über die Rolle der Glückseligkeit herrscht Uneinigkeit. Dabei handelt es sich aber um eine Grundfrage von beträchtlicher Reichweite. (Fs)
57c Die Geschichte der Ethik - sowohl aus philosophischer als auch aus theologischer Perspektive - lässt sich in zwei große Zeitabschnitte einteilen. Der erste reicht von der Antike bis ins Mittelalter; die Ethik wurde als Antwort auf die Frage nach dem Glück verstanden. Aufgrund der Erfahrung des Bösen und des Leids wurde diese Frage in aller Schärfe gestellt. Über diesen Ausgangspunkt war man sich im Allgemeinen einig; die Unterschiede bezogen sich lediglich auf die Antworten, unter anderem in Bezug auf die Rolle der Lust. Was das Gesetz betrifft, so wurde dieses nicht als äußerer Zwang, sondern als Ausdruck der Weisheit aufgefasst. (Fs)

57d Seit dem 14. Jahrhundert hat sich die Situation grundlegend verändert. Die Frage des Glücks wird vernachlässigt und die Sittenlehre konzentriert sich mehr und mehr auf Verpflichtungen, die dem Menschen vom Sittengesetz auferlegt werden. Das Sittengesetz wird als Ausdruck des freien Willens Gottes verstanden. Die Handbücher der Moraltheologie betrachten zwar Thomas von Aquin als die wichtigste Autorität, doch im Unterschied zu Thomas' Summa theologiae enthalten sie keinen Traktat über das Glück mehr. In der Auffassung der Autoren der Handbücher kann man also eine Ethik entwickeln und moralisch leben, ohne auf die Frage des Glücks einzugehen. Immanuel Kant wird den >Eudämonismus< (vgl. griechisch eudaimonia - Glück) kritisieren, das heißt jede Form der Ethik, die die Erwägung des Glücks in die moralische Intention einfließen lässt und für die das Glück Ziel des Handelns ist. Kant sagt: »Alle Eudämonisten sind daher praktische Egoisten« (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Akademie-Ausgabe Bd. VII, Berlin 1907/17, S. 130). Weiter sagt er, wenn man die sittliche Ordnung auf die Grundlage der Eudämonie stellt, sei die Folge davon die Euthanasie der Moral (Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Bd. VI, Berlin 1907/14, S. 378). Kant reagierte damit ablehnend auf die Anfänge des englischen Utilitarismus, demzufolge das Ziel der moralischen Handlung das Glück ist, wobei das Verständnis des Glücks auf den Wohlstand der größten Anzahl von Personen reduziert wurde. Demgegenüber wollte Kant die Bedeutung der moralischen Intention bewahren, die er durch den strengen Gehorsam gegenüber dem kategorischen Imperativ gewährleistet sah. (Fs)
58a Ist dieses Problem Kants nicht eine Frage, die wir uns alle stellen? Stellen wir nicht selbst häufig fest, dass das Sittengesetz von uns den Verzicht auf Glück fordert, das heißt den Verzicht auf Lust, Nützlichkeit und Bequemlichkeit? Haben wir nicht auch das Gefühl, dass das Streben nach Glück zu einem Egoismus führt, der unsere besten Absichten verunreinigt?

Die Trennung von Glück und Moral

58b Dies hat zu einer Trennung von Glück und Moral geführt. Kann man moralisch leben ohne auf das Glück zu verzichten? Kann man glücklich sein ohne sich Freiheiten gegenüber der Moral herauszunehmen? Die Trennung von Glück und Moral lässt sich sowohl geschichtlich, als auch in der konkreten Erfahrung der Mensehen feststellen. Das ist ein gewichtiges Problem, denn in Wirklichkeit können wir weder auf Glück noch auf Moral verzichten. (Fs)

59a Das Problem erfasst darüber hinaus auch die Liebe, die wir unmittelbar mit Glück in Verbindung bringen. Muss nicht auch die Liebe vom Gesetz geregelt werden, wenn sie nicht zu einer gefährlichen Leidenschaft degenerieren soll? In seiner Interpretation des ersten Gebotes gibt Kant der Pflicht den Vorrang auch gegenüber der Liebe: das Liebesgebot befiehlt kein Gefühl, sondern eine Pflicht. Im selben Geist reduzieren auch die Handbücher der Moral den Traktat über die Liebe auf die Darlegung der Pflichten, die sich an die Tugend der Liebe anschließen. Es ergibt sich daraus eine kritische Frage: Kann man jemanden aus Pflicht lieben, um ein Soll zu erfüllen? Und weiter: Kann man moralisch sein, ohne den Elan der Liebe zu bändigen? Erstickt dann aber nicht das moralische Gesetz die Liebe?

59b Diese Debatte hat wichtige Folgen für das Verhältnis zwischen der Moral und dem Evangelium. Beginnt nicht die Bergpredigt mit den Seligpreisungen, die in der Auslegung der Kirchenväter Christi Antwort auf die Frage nach dem Glück sind? Verspricht das Evangelium nicht an verschiedenen Stellen Belohnungen? In der Tat ist verschiedenen Aussagen des Evangeliums vorgeworfen worden, dass sie eigennützige Gefühle fördern und den Eudämo-nismus begünstigen. (Fs)
59c Unser Problem weitet sich also aus. Die Trennung von Moral und Glück wirkt sich auf das Verhältnis der Moral zum Evangelium aus. Daher lautet unsere Frage: Wie können wir die Moral mit dem Glück und der Liebe in Übereinstimmung bringen und die Trennung der Moral vom Evangelium überwinden?

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