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Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte

Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2

Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna

Stichwort: Nominalismus: allgemein; Auflösung des Universalismus und Objektivismus; Seinsphilosophie -> Logik; Konzeptualismus; Wilhelm von Ockham; Petrus Aureoli

Kurzinhalt: ... vollzog sich am Beginn des 14. Jh. eine Wende. Ganz allgemein kann sie gekennzeichnet werden als die Auflösung des Universalismus und Objektivismus ...

Textausschnitt: 427a In der Philosophie und Theologie vollzog sich am Beginn des 14. Jh. eine Wende. Ganz allgemein kann sie gekennzeichnet werden als die Auflösung des Universalismus und Objektivismus, die in den 'Summen' der Hochscholastik ihren großartigen Ausdruck gefunden hatten. Die philosophischen und theologischen Synthesen werden abgelöst durch die kritische Untersuchung einzelner Probleme. Hatte man bisher alles auf das Allgemeine zurückgeführt, an dem die Einzeldinge teilhatten, so wendet sich nun das Interesse mehr dem konkreten Ding zu. Dieses ist unmittelbar erkennbar, und es bedarf nicht des Umweges über das Allgemeine. Das Individuelle wird stärker betont, und das erkennende Subjekt wird sich in viel weiterem Ausmaß selbst zum Gegenstand. Der Vernunfteinsicht wird der Vorrang gegeben und gegenüber Lehrautorität und Lehrtradition mehr als bisher das Recht zur Kritik in Anspruch genommen. Die Erkenntnistheorie und die formale Logik bekommen damit größeres Gewicht. Ja, auf dem Gebiet der Logik werden die großen Leistungen des kommenden Jahrhunderts liegen. Das anzuerkennen schließt nicht aus, schon in dieser Verlagerung von der Seinsphilosophie auf die Logik eine beginnende Auflösung des Mittelalters zu sehen. (Fs) (notabene)

427b Die kritische Einstellung wird nach Duns Scotus besonders deutlich bei dem Dominikaner Durandus de S. Porciano (+ 1334) und dem Franziskaner Petrus Aureoli (+ 1322). Beide wenden sich gegen die großen Autoritäten ihres Ordens, Thomas von Aquin (+ 1274) und Duns Scotus (+ 1308). Denn menschliche Autorität ist geringzuachten, wenn klare Vernunfterkenntnis dagegensteht. Nach ihrer Meinung bedarf es keines Individuationsprinzips, um das einzelne zur Existenz zu bringen, und keiner species, um es zu erkennen. Petrus Aureoli unterscheidet das Ding in rerum natura und, sofern es von unserem Verstand begriffen wird (res apparens in intellectu). Der Allgemeinbegriff ist das Produkt unserer Erkenntnis (Konzeptualismus). (Fs) (notabene)

427c Was sozusagen in der Luft lag und sich vielfach ankündigte, bekam in Wilhelm von Ockham seinen entscheidenden Anstoß, ja seine die Zukunft prägende Gestalt. Die von ihm heraufgeführte Haltung pflegen wir als Nominalismus zu bezeichnen. Es wird allerdings vielfach bestritten, daß Ockham Nominalist war1. Ein so krasser Nominalismus, wie Anselm von Canterbury (+ 1109) ihn Roscelin von Compiegne (ca. 1050-1120) nachgesagt hat, war im 14. Jh. auch kaum möglich. Dafür hatte die große Tradition des 13. Jh. eine viel zu stark prägende und bindende Kraft2. Schwerwiegender ist, daß bei der Bezeichnung Nominalismus zu einseitig die erkenntnistheoretische Seite, d. h. der Universalienstreit, im Vordergrund steht, während die damit gekennzeichnete Geisteshaltung sich auch und viel folgenschwerer in der Metaphysik, der Ethik und der Gesellschaftslehre, ja verheerender als in der Philosophie sich in der Theologie ausgewirkt hat. Einfach von Ockhamismus zu reden, verbietet wiederum die Tatsache, daß ein gewisser nominalistischer Zug der gesamten Theologie des 14. und 15. Jh. eigen ist und nicht nur die Schüler Ockhams kennzeichnet, sondern auch manche Theologen, die an sich der Schule des Thomas von Aquin oder des Duns Scotus zuzuzählen sind. So sind für Ockham charakteristische Ansichten, etwa über die souveräne Allmacht Gottes, die Akzeptation des Menschen oder den Akt der natürlichen und übernatürlichen Liebe, von seinen Zeitgenossen wie dem Dominikaner Petrus de Palude (ca. 1280 bis 1342) oder dem Scotus-Schüler Johannes de Bassolis (f 1347) schon vor ihm und noch extremer geäußert worden3. (428; Fs)

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