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Autor: Rahner, Karl

Buch: Geist in Welt

Titel: Geist in Welt

Stichwort: § 2. Die Anzeigen der abstraktiven reditio in se ipsum; Urteil - Allgemeinbegriff: vollzogene - mögliche Synthese; concretio; complexio, affirmatio (Thomas); affirmative Synthesis

Kurzinhalt: ... der Allgemeinbegriff .., unterscheidet sich vom Urteil ... nicht wie ein Stück vom Ganzen ... sondern wie eine mögliche von einer tatsächlich vollzogenen Synthesis von Subjekt und Prädikat.

Textausschnitt: 83b Wir haben damit sachlich auch schon den Ansatz für die Erfassung der zweiten Anzeige der reditio in seipsum gewonnen, den Ansatz für das Verständnis des Urteils. Der Allgemeinbegriff erschien uns wesentlich als ein Was von einem möglichen Etwas, als ein mit einem möglichen Subjekt synthetisierbares Gewußtes. Damit ist aber gesagt: der Allgemeinbegriff, die simplex apprehensio, unter welchem Titel Thomas gewöhnlich von Allgemeinbegriffen redet, unterscheidet sich vom Urteil, in dem er Prädikat ist, nicht wie ein Stück vom Ganzen, zu dem die Begriffe (Subjekt, Prädikat) nachträglich zu ihrer inneren Konstituierung erst noch zusammengestückt werden, sondern wie eine mögliche von einer tatsächlich vollzogenen Synthesis von Subjekt und Prädikat. Denn schon zum Allgemeinbegriff als solchem gehört die Hinbeziehung auf ein mögliches Subjekt. Damit ist aber gleichzeitig gesagt, daß der Satz vor den Allgemeinbegriffen ist, weil die vollzogene Synthesis vor der möglichen steht. Die mögliche Synthesis wird aus der vollzogenen in ihrer Natur genauer zu erkennen sein, wodurch auch die Dunkelheit zu beheben sein wird, die sich in den bisherigen Aussagen über die Hinbeziehung eines Allgemeinen auf ein mögliches entgegenstehendes Subjekt noch fand. (Fs) (notabene)

84a Gewöhnlich ist das Subjekt eines Satzes nicht ein an sich gänzlich bestimmungsloses Diesda. Es ist für sich schon die Synthesis eines leeren Diesda mit einem allgemeinen Gewußten. Das gleiche gilt, und zwar notwendig, für das Prädikat des Satzes. Der Allgemeinbegriff eines Prädikats ist schon vor seiner Zuteilung an das Subjekt zu konkretisieren, als auf ein mögliches Subjekt bezogen zu denken. Das Urteil identifiziert dann das Subjekt (das Diesda) des Satzsubjektes mit dem des Prädikats. Subjekt und Prädikat sind so je schon für sich ein "concretum" (erster oder zweiter Ordnung), d. h. ein Allgemeines in seinem Insein in einem (beliebigen) Diesda. Diese Synthesis heißt in thomistischer Terminologie "concretio", worauf wir noch zu sprechen kommen. Wir dürfen concretio mit konkretisierender Synthesis übersetzen. Wir können jetzt das vom Allgemeinbegriff Gesagte so formulieren: Jeder Allgemeinbegriff wird erfaßt mit und in einer notwendig mitgedachten concretio, und jedes Einzelne wird gegenständlich gedacht in einer concretio, die schon ein Allgemeines vom Diesda differenziert in sich trägt. (Fs)

84b Gewöhnlich faßt man nun das Urteil auf als die Synthesis der beiden Begriffe von Subjekt und Prädikat. Man kann diese Auffassung dann gelten lassen, wenn man sich der inneren Struktur des Begriffes selbst bewußt ist, der jeweils selbst eine konkretisierende Synthesis ist. Wie ist unter dieser Voraussetzung die Synthesis der zwei Begriffe eines Satzes genauer zu begreifen? Offenbar so, daß das in beiden Begriffen enthaltene Allgemeine mit demselben suppositum synthetisiert wird. Bei der Urteilssynthesis handelt es sich daher gar nicht um die Synthesis von zwei Washeiten von gleicher Stellung untereinander, sondern um die Hinbeziehung von zwei Washeiten auf das gleiche Diesda. Dabei hat das Subjekt in seiner konkretisierenden Synthesis, die vorausgesetzt, nicht vollzogen wird, nur die Funktion der festlegenden Anzeige jenes bestimmten Suppositum, auf das das Allgemeine des Prädikats bezogen werden soll. Während das Prädikat als solches in seiner eben noch betrachteten konkretisierenden Synthesis die mögliche Synthesis eines Allgemeinen mit einem beliebigen Diesda war, bestimmt nun das Subjekt eindeutig, welches Diesda gemeint ist. Mit diesem bestimmten Diesda wird im Urteil nun die Synthesis des im Prädikat enthaltenen Allgemeinen vollzogen. Die konkretisierende Synthesis als mögliche (weil Synthesis mit einem beliebigen Diesda) wandelt sich in eine tatsächlich vollzogene, indem der konkretisierenden Synthesis, die mit dem Prädikatsbegriff gegeben ist, nicht mehr ein beliebiges Diesda, sondern das durch das Satzsubjekt schon bestimmte Suppositum vorgehalten wird, auf das sie sich zu beziehen hat und im Urteil auch faktisch bezieht. Thomas nennt diese Synthesis "complexio", "affirmatio", was wir mit affirmativer Synthesis wiedergeben wollen. (Fs)
85a Recht besehen ist nun erst durch die affirmative Synthesis eine gegenständliche Erkenntnis erreicht, oder anders gesagt: eine konkretisierede Synthesis tritt im wirklichen Denken nur als affirmative Synthesis auf. Gegenständliche Erkenntnis ist erst dort gegeben, wo der Erkennende ein allgemeines Gewußtes auf ein an sich seiendes Suppositum bezieht. Daß zunächst das Urteil auf ein an sich seiendes Suppositum ("ad rem") geht, bedarf keiner weiteren Erklärung, da vorläufig noch ganz dahingestellt bleiben kann, was dieses "Ansich" näherhin sei, und so nur gesagt sein soll, daß das Urteil nicht in einer beziehenden Verknüpfung der gewußten, auf der Seite des wissenden Subjektes stehenden, allgemeinen Washeiten als solcher unter sich besteht, sondern in der Hinbeziehung dieser auf das dem wissenden Subjekt gegenüberstehende "Etwas", das durch die Washeit des Satzsubjektes bezeichnet, und von dem die des Prädikats ausgesagt wird. Auch wenn der Versuch gemacht wird, einen allgemeinen Begriff für sich zu denken, gelingt das nur in einer affirmativen Synthesis, in einem Urteil. Denn wird ein solcher "allein" gedacht, so denkt, wie schon gesagt wurde, dieses Denken etwas über ihn. Er selbst ist damit als schon Vergegenständichter (eg: sic) als an sich Seiender gefaßt, den sich das Denken als Gegenstehenden vorhält, auf den als Gegenstand (res) der Erkennende ein Gewußtes bezieht. Damit ist der Allgemeinbegriff immer schon als vom Denken als einem Wissen unabhängiger, an sich seiender und so als bestimmter gedacht, und somit nicht bloß eine synthetisierende, sondern eine affirmative Synthesis vollzogen. Wissen von menschlicher Bewußtheit gibt es daher überhaupt nur in einer affirmativen Synthesis, und dieses Urteilen ist nicht ein Verknüpfen von Begriffen, als ob diese die in sich ruhenden Elemente des Denkens wären und das Urteil nur deren nachträgliche Verbindung, sondern die Hinbeziehung des Wissens auf ein Ansich, in der Begriffe als nur im Urteil mögliche Momente vorkommen. Begriffe kommen entweder vor in einem Urteil über Dinge oder als Gegenstände eines Urteils über sie. Damit ist auch gesagt, daß die Gegensetzung zwischen Subjekt und Gegenstand, die sich in der abstrahierenden, Allgemeinbegriffe bildenden reditio subjecti in seipsum vollzieht, tatsächlich die affirmative Synthesis ist. (Fs)

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