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Autor: Hazard, Paul

Buch: Die Krise des europäischen Geistes

Titel: Die Krise des europäischen Geistes

Stichwort: Leibniz, Bossuet; Edikt von Nantes; Bruch

Kurzinhalt: Aber Bossuet hat den Widerruf des Ediktes von Nantes gutgeheißen ... und hiermit vollzog sich der endgültige Bruch.

Textausschnitt: 263b Bossuet ist es, den man erreichen müßte, um ans Ziel zu gelangen. »Sie sind wie ein zweiter Sankt Paulus, dessen Arbeiten nicht auf eine einzige Nation oder auf eine einzige Provinz beschränkt bleiben. Ihre Arbeiten sprechen gegenwärtig in den meisten europäischen Sprachen, und die von Ihnen Bekehrten verkünden Ihren Triumph in Sprachen, die Sie selbst nicht verstehen ...1«

263c Lange hatte Bossuet geglaubt, man könnte die Protestanten durch Disputationen zurückgewinnen. Als er im Jahre 1671 seine Exposition de la doctrine catholique herausgab, schien er die Hand auszustrecken, die Arme zu öffnen. Wie Leibniz wollte er nicht mehr »unterscheiden, was unterscheidet«, sondern das betonen, was einigen konnte. Indem er die katholische Doktrin von allem überflüssigen Beiwerk befreite, mit dem die Wirrköpfe und die Maßlosen sie überladen hatten, indem er aufzeigte, daß die fundamentalen Glaubenssätze die gleichen waren, indem er sich zum Heiligenkult, zu der Frage der Bilder und Reliquien, zum Ablaß, den Sakramenten, der Rechtfertigung durch die Gnade auf das verständigungsfreundlichste äußerte, indem er die Überlieferung und die Autorität der Kirche rechtfertigte; indem er nachwies, daß der Glaube an die Transsubstantiation die einzige wirkliche Schwierigkeit darstelle und daß zudem diese Schwierigkeit nicht unüberwindlich sei, machte er eine so großzügige, so warmherzige Geste, daß die ganze protestantische Welt davon gerührt war. Man hatte sogar seine Exposition für zu liberal erklärt, um rechtgläubig zu sein, aber mit der Zustimmung der Bischöfe und des Papstes selbst versehen, triumphierte sie, verbreitete sich über ganz Europa und tat ihre Wirkung: »Diese Darlegung unserer Lehre wird zweierlei gute Auswirkungen haben: die erste wird sein, daß mehrere Streitigkeiten ganz einschlafen werden, weil man erkennen wird, daß sie auf einer falschen Auslegung unseres Glaubens beruhen; die zweite wird sein, daß die verbleibenden Unterschiede nach den Grundsätzen der sogenannten Reformierten nicht so grundlegend erscheinen werden, wie sie zunächst haben glauben machen wollen, und daß sie auch nach eben diesen Grundsätzen nichts enthalten, was die Grundlagen des Glaubens verletzt...« (Fs)

264a Aber Bossuet hat den Widerruf des Ediktes von Nantes gutgeheißen (er entsprach in logischer Konsequenz seinem Denken), und hiermit vollzog sich der endgültige Bruch. Von dem Tage an, an dem er vor dem versammelten Hof über das Compelle intrare gepredigt hat - es war am Sonntag, dem 21. Oktober 1685 -, mußten die Protestanten ihn nicht nur zu ihren Gegnern, sondern zu ihren Feinden zählen. Und man weiß, welchen Sturm im Jahre 1688 die Veröffentlichung der Histoire des Variations des Églises protestantes hervorgerufen hat. Monate, Jahre hindurch erschienen Widerlegungen, Erwiderungen, Erwiderungen auf die Erwiderungen. Weder die einen noch die anderen waren sanft: »Man braucht nicht das ganze Meer auszutrinken, um zu wissen, daß sein Wasser salzig ist, noch braucht man uns alle Verleumdungen, die man uns anhängt, aufzutischen, damit wir uns darüber klar werden, wieviel Bitterkeit man gegen uns hegt1.«

265a Hier erhält Leibniz' Versuch seinen grandiosen Charakter und seine erhabene Bedeutung: nach der Aufhebung des Ediktes die Einigung erstreben! Von allen Seiten hatte man sie ersehnt. Es hatte Leute in Schweden, in England und selbst noch in Rußland gegeben, die versucht hatten, diejenigen, die guten Willens waren, zu einer Herde zu vereinigen. Aber jetzt, wo die Hirten nichts anderes mehr taten, als sich miteinander herumschlagen, noch immer an die Wiederversöhnung zu denken, welch Beginnen! Und doch war gerade das der Traum von Leibniz, und Bossuet war es, den er zu Hilfe herbeirief. (Fs)

265b Sie beginnen zu konferieren, nicht als Personen von Fleisch und Blut, wohl aber mit ihren Ideen, mit ihrem Wollen. Sie sitzen sich dabei nicht gegenüber, aber sie unterhandeln so ins einzelne gehend miteinander, als ob sie in irgendeinem schmucklosen Sitzungssaal zusammensäßen und unter einem Kruzifix. Mit Hilfe einiger Eingeweihter entspinnt sich in dem mystischen Halbdunkel, das sich für langwierige und schwierige Unterhandlungen eignet, zwischen diesen beiden großen Seelen eine ergreifende Diskussion. (Fs)

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