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Autor: Sala, Giovanni B.

Buch: Kontroverse Theologie

Titel: Kontroverse Theologie

Stichwort: Ortskirche, Eucharistiegemeinschaft; Priestermangel (eg: Seelsorgeraum)

Kurzinhalt: Wenn die Eucharistie nicht mehr an die Gläubigen herangetragen werden kann, dann müssen sich die Gläubigen aufmachen ...

Textausschnitt: 11. Die Ortskirche als Eucharistiezentrum

173c Wie soll in der gegenwärtigen Situation die missionarische Präsenz der Kirche gewährleistet werden angesichts der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft nach außen und des akuten Priestermangels nach innen? Die Seelsorge der Kirche basiert hauptsächlich auf der Organisationskompetenz der Territorialpfarrei. Ein solches Territorialprinzip ist naheliegend und von der Sache her durchaus richtig. Denn auch heute, trotz erhöhter Mobilität, verbringen die meisten Menschen ihr Leben in einer örtlichen Gebundenheit, die sie nur selten wechseln wollen oder können. Daraus ergibt sich von selbst die Ortskirche, d.h. die Gemeinde derer, die am selben Ort an Christus glauben. (Fs)

174a Seit der Zeit der Urkirche tritt die Ortskirche in Erscheinung ganz besonders dadurch, daß die Gläubigen sich am Tag des Herrn versammeln, um das Gedächtnis des Opfers Christi zu begehen. Kirchliche Gemeinde ist wesenhaft Eucharistiegemeinschaft. Die Eucharistie aber kann nur dort gefeiert werden und die Gemeinde des Herrn nur dort entstehen und dauerhaft angemessen leben, wo es einen Priester gibt, der mit der Gemeinde die Eucharistie feiert, mit ihr auch zusammenlebt und sie leitet. Das Identitätsmerkmal der Gemeinde ist deshalb zuerst und grundlegend gnadenhafter Natur: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20). Diese Versammlung "in Seinem Namen" und Seiner versprochenen Gegenwart findet vom NT her gerade im eucharistischen Erinnerungsbefehl Jesu ihre Mitte und kann von daher keinesfalls als beliebige Privatversammlung gegen die sakramentale Objektivität der Kirche ausgespielt werden. (Fs)

174b Erst danach hat die Gemeinde der Gläubigen auch lokalen Charakter und bildet deshalb eine Ortskirche: die katholische, universale Kirche an diesem Ort. Auch für die Kirche gilt, daß "gratia supponit naturam". Wie der Mensch als Sozialwesen in einer räumlich umschriebenen Gesellschaft lebt, so lebt er als Glied des mystischen Leibes Christi in einer räumlich umschriebenen Gemeinde. In der Pfarrei entfaltet ein Mensch, im Normalfall, sein christliches Leben, das zwar in der Sonntagsmesse seine Mitte hat, das sich aber nicht auf sie reduzieren läßt. Aus der Quelle der eucharistischen Verbundenheit mit dem Mittler zwischen Mensch und Gott entspringt ein vielförmiges Gebetsleben, das Bemühen um eine lehrmäßige Vertiefung des Glaubens und die missionarische Tätigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft. (Fs)

174c Wenn aber eine genuin katholische Gemeinde sich um den die Eucharistie feiernden Priester sammelt, dann müssen im Falle der ungünstigen Situation, in der eine beträchtliche Zahl der schon existierenden Pfarreien keinen Priester mehr hat, die verwaisten Gemeinden sich auf den Weg machen, um nicht nur sich in bestimmten Abständen an einen Ort zu begeben, wo ein Priester lebt und die Eucharistie feiert, sondern auch um sich an diese Eucharistiegemeinde in der Weise zu binden, daß sie nun zu ihr mit Verbindlichkeit gehören. Bei weitgehender Aufgabe früherer Territorialgemeinden entstünden so Eucharistiezentren, denen der einzelne aus bewußter Entscheidung heraus beitritt und aus denen er sich (etwa beim Ortswechsel) auch abmeldet. (Fs)

174d Wenn die Eucharistie nicht mehr an die Gläubigen herangetragen werden kann, dann müssen sich die Gläubigen aufmachen, ihr Wichtigstes und Heiligstes suchen und Eucharistie gemeinsam regelmäßig dort feiern, wo dies aufgrund der Anwesenheit eines Priesters eben möglich ist. Alle dagegen anführbaren Argumente greifen angesichts der unvergleichlichen Bedeutung der Sakramente letztlich nicht. Weder die organisatorischen und praktischen Schwierigkeiten (angefangen von der Schaffung eines Fahrdienstes bis hin zur Frage nach der Eignung herkömmlicher Kirchenbauten für solche Eucharistiezentren) noch die zumindest zunächst gegebene menschliche und geistliche Härte eines solchen Verlassens des Vertrauten und traditionell Gewachsenen; vor allem nicht der sich pastoral gerierende Einwand, damit würden jene nicht zu derartiger Mobilität bereiten Fernstehenden fallengelassen, die man im alten Rahmen noch irgendwie erreichen und ansprechen könne. (Fs)

175a Dem ist zu entgegnen: Wer nicht dazugehören will, sollte in diesem Willen auch ernstgenommen und auf die Konsequenzen seiner Position aufmerksam gemacht werden, zumal sich durch eine Konzentration des Gemeindelebens im Modell der Eucharistiezentren eine derartige Schärfung des Profils der Kirche erreichen ließe, daß das Wort dieser entschiedenen Gemeinden wohl eindrucksvoller und vernehmlicher in das Ohr der Fernstehenden zu tönen vermöchte, als das unsere heutigen Gemeinden überhaupt können und wagen. Zudem darf die Kirche schon aus notwendigem Selbstschutz die Gestaltung ihres Glaubenslebens nicht von denen abhängig machen, die sich von diesem Glauben abgewandt haben. Denn damit gewinnt sie - wie man leicht sehen kann - nicht nur keine Ungläubigen zurück, sie entwurzelt und vernachlässigt auch noch die Gläubigen, die sie besitzt und die in ihr keine geistliche Heimat mehr finden. (Fs)

175b Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine Diözese so viele Eucharistiezentren haben soll, wie die Zahl der Priester ist, die sie aktiv in der Seelsorge einsetzen kann. Dagegen wird freilich eingewendet, daß die Diözesen unter Priestermangel leiden. Welches ist aber der Bezugspunkt für diese numerische Einschätzung? In Relation zur Anzahl der gewachsenen und immer noch auf dem Papier existierenden Pfarreien stimmt gewiß die Einschätzung. Wenn man aber als Bezugspunkt die Gläubigen nimmt, die tatsächlich am Leben der Pfarrei teilnehmen, so kommt man zu einem anderen Ergebnis. Nimmt man einige zentral gelegene Kirchen in den Städten, einige besonders "gute" Pfarreien und Wallfahrtsorte aus, so bietet das Bild der meisten Sonntagsmessen alles andere als das eines zahlenmäßigen Mißverhältnisses zwischen Priestern und den ihnen anvertrauten Gläubigen. (Fs)

175c Hier ist der Punkt, wo die Situation die Kirchenleitung auffordert, auf die Realität der Gegenwart innovativ durch ein strukturell wirklich neues Grundmodell christlicher Gemeinde zu reagieren, ein Modell nämlich der Art, wie oben versucht wurde zu umreißen. (Fs)

175d Man sagt, daß "der Priestermangel die Gemeinden mündig und zum ersten Subjekt der Seelsorge werden lasse". Näher der Realität wäre es zu sagen, daß die in der Pastoral berufstätigen Laien Subjekte geworden sind, insofern ihnen ein von der Sakramentenpastoral weitgehend freies Feld offen steht, in dem sie ihre "pädagogischen, therapeutischen und sozialen Dienste"1 professionell einem Gottesvolk anbieten, dem nicht einmal die Initiative zu einer kleinen Fahrt, um die Hl. Messe mitzufeiern, zugetraut wird. Die so gerne gescholtene Versorgungskirche mit ihren zwei Klassen von Christen wird weitergeführt; nur sind es jetzt "bloße Laien" (die Objekte der Pastoral) und "Laien-Priester" (die Subjekte der Pastoral), und konsequenterweise ist das Angebot anders geworden, nämlich nach der Art der säkularen Gesellschaft und deshalb in Konkurrenz zu ihr. Damit wird eine Präsenz der Kirche aufrechterhalten, die geeignet ist zu verdecken, wie sehr die Kirche als Sakrament des Heiles in Wirklichkeit abwesend ist. In diese sakramental weitgehend verwaiste Kirche paßt die Figur des Pfarrbeauftragten als Bündelung der neuen kirchlichen Dienste, die das Amtspriestertum überflüssig machen. (Fs)

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