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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Die Perspektive der Moral

Titel: Die Perspektive der Moral

Stichwort: Thomas, Glück: Tätigkeit des theoretischen Verstandes - > visio beatificy; duplex felicitias; naturale desiderium; Boethius "beatitudo est ...

Kurzinhalt: Ein Naturverlangen, das durch Staunen vor dem, "was ist" ausgelöst wird, und zum Nachforschen antreibt. Und dieses Naturverlangen ruht nicht, bis der Intellekt nicht das Wesen der Ursache erfasst hat ...

Textausschnitt: 75d Wenn auch Glück wesentlich in einem Akt des Intellektes besteht, so ist dieser doch mehr ein Akt des spekulativen (theoretischen), als des praktischen Intellektes; es besteht mehr im Erfassen von Wahrheit, als im vernünftigen Ordnen der Handlungen und Affekte1. Es handelt sich hier nur um ein "mehr als": Die Aristotelische duplex felicitias eines erstrangigen und eines zweitrangigen Glücks ist also nicht ausgeschlossen. Liegt demnach das Glück in der Spekulation gemäß den theoretischen Wissenschaften?2 Das ist unmöglich: Denn alle spekulative Wissenschaft des Menschen geht von den Sinnen aus. So können wir höchstens zur Erkenntnis der Existenz Gottes gelangen (des "dass er ist"), nicht aber zur Erkenntnis dessen, "was er ist". Die spekulativen Wissenschaften sind also nur ein Teilhaben, eine Partizipation an der vollkommenen Beatitudo. (Fs)

76a Erst danach wird nun der Gedanke präzisiert und zu Ende geführt1: Der Mensch kann nicht glücklich sein, solange seinem Streben noch etwas übrig bleibt. Da wir nun wissen, dass das Glück Akt des schauenden Intellektes ist, so kann es nur in jenem Vollzug bestehen, in dem dieser Akt des Intellektes seine Vollkommenheit findet. Das Wesen des Intellektes besteht aber darin, zur Erkenntnis dessen fortzuschreiten, was die Dinge sind. Er begnügt sich nicht mit Erkenntnissen, des "dass etwas ist". Solange also der Mensch nur weiß, dass Gott existiert, ist sein Wissen-wollen nicht gesättigt: Er bleibt beim Staunen stehen. Das Staunen treibt jedoch weiter zum Wissen-Wollen. Erst wenn man weiß, was Gott ist, wenn also sein Wesen erfasst ist, kann der Intellekt zum Letzten gelangt sein, wohin es ihn seiner Natur nach drängt. Solange das nicht der Fall ist, kann der Mensch nicht vollkommen glücklich sein. (Fs) (notabene)

76b Thomas nennt dieses Weitergetrieben werden des Intellektes bis hin zur Erkenntnis des "Was" ein "natürliches Verlangen (naturale desiderium) das 'Was' der Ursachen zu erfassen". Ein Naturverlangen, das durch Staunen vor dem, "was ist" ausgelöst wird, und zum Nachforschen antreibt. Und dieses Naturverlangen ruht nicht, bis der Intellekt nicht das Wesen der Ursache erfasst hat. "Deshalb gehört es zum vollkommenen Glück, dass der Intellekt das Wesen der ersten Ursache erfasst. Und so erreicht er seine Vollendung, in dem er sich mit Gott als Gegenstand seines Intellektes vereinigt", denn intellektives Erfassen heißt ja im Erkenntnisakt sich mit dem Gegenstand der Erkenntnis zu vereinen: Im Akt sind Erkennendes und Erkanntes dasselbe2. Darin also, in der Schau des Wesens Gottes (visio divinae essentiae) besteht das letzte Ziel des Menschen als sein äußerstes Seinkönnen. Dieses Schauen ist "visio beatifica", "Schauen, das in vollkommener Weise glücklich macht". (Fs) (notabene)

76c Man ist vielleicht geneigt zu meinen, dies könne wohl nur das Ideal eines Philosophen (oder Theologen) sein. "Erkennen des Wesens Gottes", das klingt nun allerdings eher trocken. Wir können uns ja nichts darunter vorstellen, als was wir sonst als "Erkennen von etwas" erfahren haben. "Schau Gottes" ist aber etwas wesentlich anderes, so wesentlich anderes, wie eben das wesenhaft Unendliche sich vom Endlichen unterscheidet. Aber Erkennen oder Schauen, deren höchste und umfassendste Form die intellektive Schau ist, heißt so viel wie im Besitz dessen sein, wonach es menschlichem Streben seinem tiefsten Wesen gemäß verlangt. Schau Gottes, das kann nur bedeuten, das Leben Gottes mitzuleben, alle Vollkommenheit, alle Wahrheit, alle Schönheit, Harmonie und Pracht in sich aufzunehmen, daraus zu leben und sie zu genießen; es heißt, in einem "Augenblick, der verbleibt" und zugleich intensivstes Tätigsein ist, alle nur auch irgend erdenklichen authentisch menschlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse gesättigt und erfüllt zu haben3. "Erkennen Gottes", das ist mehr als nur das uns bekannte "Wissen um etwas". Was es genau ist, das wissen wir nicht. Selbst ein Paulus kann hier nur sagen er verkünde, "was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben" (1 Kor. 2,9). Thomas zitiert die klassische Formel des Boethius "beatitudo est status omnium bonorum congregatione perfectus ", "ein Zustand der durch die Vereinigung aller Güter vollkommen ist"4. (Fs)

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