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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Die Perspektive der Moral

Titel: Die Perspektive der Moral

Stichwort: Thomas: Glück, finis cuius, finis quo; Gott als Sättigung des Willens (Begründung von der Analyse des Willens her); das Glück als Tätigkeit

Kurzinhalt: Jedes Wollen ist entweder antizipierte Gegenwart des Erstrebten oder aber Ruhen im Besitz des Erstrebten; nicht aber ist es, was diese Gegenwart oder den Besitz erwirkt1. Dieses Erwirken ist Leistung des Erkennens ...

Textausschnitt: 74b Nun bleibt aber noch zu fragen, welches denn die außerhalb der Seele liegende Ursache des Glücks ist: ist diese Ursache ein geschaffenes oder ein ungeschaffenes Gut?1 Thomas wiederholt: "Gegenstand des Willens, der das (spezifisch) menschliche Streben ist, ist das universale Gut; wie der Gegenstand des Intellektes das universale Wahre ist. Daraus folgt, dass nichts den menschlichen Willen zu sättigen vermag, außer ein universales Gut." Ein solches ist aber nur Gott: "Deshalb vermag nur Gott den menschlichen Willen zu füllen": "Unde solus Deus voluntatem hominis implere potest." (Fs) (notabene)

74c Man hat diese Antwort natürlich erwartet. Sie ist nun jedoch handlungsmetaphysisch abgesichert und gerechtfertigt und bleibt eine überwältigende Antwort. Die Begründung beruht auf der Einsicht in das Wesen von Intellektualität. Der menschliche Intellekt ist Erkenntnis-Potenz, die zwar nicht alles zugleich vermag (und darin liegt ihre Endlichkeit), aber eben dennoch fähig ist, alle Realität in sich aufzunehmen und ins Unendliche und nach unendlich vielen Hinsichten sich dem, was ist, zu öffnen. Die intellektive Seele ist "gewissermaßen die Gesamtheit der Dinge"2, sie ist quodammodo omnia. Und ein Streben, das wie der Wille, sich nach dem Intellekt richtet, ist ein Streben, das gar nie gesättigt werden kann, es sei denn, es werde eines Gutes teilhaft, das in solch unendlicher Hinsicht gut ist. Genau das meint auch der Satz des Augustinus: "... fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te ": "Geschaffen hast Du uns auf Dich hin, und ruhelos ist unser Herz, bis dass es ruht in Dir"3. (Fs)

74d Die Pointe der Argumentation ist: Nicht weil Gott Schöpfer oder "höchstes Wesen" ist, kann nur er letztes Zielgut des Menschen sein - dann müssten ja auch auf Tiere ihre Erfüllung in Gott finden -, sondern weil nur er jenes Gute ist, das den Willen des Menschen zu sättigen vermag. Da menschliches Glücksverlangen durch Intellektualität geprägt ist, kann es überhaupt nur durch das Erlangen des Unendlichen gesättigt werden. Allerdings ist nun anzugeben, worin denn dieses Erlangen besteht. Deshalb nun, nach der Frage "Welches ist das Gut, das unser Streben sättigen kann?", die Frage: Was ist das Glück? Worin besteht diese Sättigung?4 (Fs) (notabene)

74e Das Glück ist zunächst einmal, als "finis quo" betrachtet, was uns hier interessiert, ein geschaffenes Gut5. Wenn es so etwas wie Glück für den Menschen gibt, dann ist dieses, auch wenn dessen Ursache ungeschaffen ist, "etwas Geschaffenes, das im Menschen selbst vorhanden ist". Es ist "eine ganz und gar 'geschöpfliche' eine von innen her menschliche Realität - und nicht eine von außen her auf uns eindringende Überwältigung. Es ist nicht nur etwas, das uns widerfährt; wir selber sind, als Wirkende, aufs intensivste beteiligt"6. (Fs)
75a Gerade deshalb schon muss nun "Glück" in einem Tun bestehen7. Das Tun, die Tätigkeit, In-Akt-sein, ist die letzte Vollendung eines jeden Seienden. Und Glück, das ist Vollendung, und zwar immanente Vollendung; nicht nur höchste Form des "etwas tun Könnens" (im Sinne des transeunten Hersteilens), sondern höchste Form von Praxis und Lebensvollzug. Und weil das Ergebnis von Praxis im Handelnden verbleibt, heißt dies: höchste Form von Sein-können. Um nicht in einzelne "Aktivitäten" zu zerfallen sondern den Charakter eines Lebensvollzuges zu besitzen, muss dieser Tätigkeit "Kontinuität und Einheit" eigen sein8. (Fs)

75b Diese Tätigkeit kann nicht ein Akt der Sinne sein; aufgrund der Sinne ist es nicht möglich, mit dem ungeschaffenen, unendlichen Gut in Verbindung zu treten9. Und im intellektiven Teil der Seele? Ist das Glück ein Tätigsein des Willens?10 Auch das ist nicht möglich. Und zwar aus den Gründen, die wir aus Aristoteles' Behandlung der Lust kennen: Das Ruhen des Wollens ist delectatio, geistiges Genießen, Freude, eine Form von Lust. "Wollen" ist Begehren des Guten, sich Hinneigen zu ihm, sich auf das Ziel hin Bewegen. Darin kann ja nun das Glück gerade nicht liegen. Kommt das Wollen jedoch zur Ruhe, so ist das deshalb, weil das Ziel gegenwärtig und das Wollen erfüllt ist. "Delectatio", Genießen und Freude sind Folge der Gegenwart, des Besitzens des Gutes. Dafür kann der Wille nicht verantwortlich sein, denn da gibt es ja gar nichts mehr zu wollen. Wollen bzw. sich freuen ist immer "Wollen von etwas" und "sich freuen über etwas". Es bedarf der Gegenwart des Gewollten, damit das Wollen ruht. Jedes Wollen ist entweder antizipierte Gegenwart des Erstrebten oder aber Ruhen im Besitz des Erstrebten; nicht aber ist es, was diese Gegenwart oder den Besitz erwirkt11. Dieses Erwirken ist Leistung des Erkennens, das ein Gut für den Willen erst sichtbar, erstrebbar und im Genießen erlebbar macht. Deshalb kann das Glück nur in einem Akt des Intellektes bestehen12. Und das heißt: Glück ist Erkennen von Wahrheit, Erfassen von Wirklichkeit, Schauen dessen, was ist. Da sind wir nun wieder bei Aristoteles angelangt, - und auch bei Augustinus, der das Glück gaudium de veritate, "Freude über die Wahrheit"13 nennt: Glück ist Freude durch die Sättigung des Willens im Erkennen der Wahrheit. (Fs) (notabene)

75c Da sich jedoch der Intellekt in verschiedener Weise zu Wahrheit verhält, ist die Untersuchung noch nicht abgeschlossen, obgleich nun sämtliche noch verbleibenden Möglichkeiten bereits nur noch Aspekte dessen sein werden, was in Tat und Wahrheit Glück genannt zu werden verdient. (Fs)

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