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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Kontrazeptives Sexualverhalten; gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung; physiologische Struktur des Aktvollzuges -> naturalistisches Argument

Kurzinhalt: Was gerade nicht modifiziert zu werden braucht, ist das sinnliche Begehren, der Trieb und die daraus entspringenden Handlungen ... Zusammenfassend: Kontrazeptives Sexualverhalten macht sexuelle Akte grundsätzlich zu Akten ohne prokreative Folgen

Textausschnitt: 88c Betrachten wir nun das kontrazeptive Verhalten. Empfängnisverhütung heißt, daß zum Zweck der Vermeidung einer Empfängnis das Sexualverhalten nicht modifiziert zu werden braucht. Freilich, etwas muß auch hier im Verhalten modifiziert werden. Es bedarf - zumindest seitens eines der beiden Ehepartner - einer gewissen Disziplin, z.B. in der regelmäßigen Einnahme von pharmazeutischen Präparaten gemäß ärztlicher Verordnung (aber auch das ist nebensächlich, wie der Fall der Sterilisierung oder von Intrauterinpessaren zeigt). In jedem Fall: Was gerade nicht modifiziert zu werden braucht, ist das sinnliche Begehren, der Trieb und die daraus entspringenden Handlungen (was selbstverständlich gerade auch die Pointe des onanistischen Orgasmus durch coitus interruptus ist). (Fs)

89a Während das zuerst betrachtete Ehepaar die Wahl vollzog, durch leibliche Akte verantwortlicher Enthaltung den Vollzug voraussichtlich prokreativ folgenreicher Sexualakte zu vermeiden, so heißt Kontrazeption einen Akt wählen, der solche möglichen prokreativen Folgen eines Sexualverkehrs verhindert. Auf der Ebene des Vollzugs sexueller Akte jedoch modifizieren diese Eheleute überhaupt nichts. Was sie tun, ist, diese Akte daran zu hindern, fruchtbar sein zu können (sie verhüten eine Empfängnis) und machen so eine verantwortliche Modifizierung ihres Sexualverhaltens gerade überflüssig. Im Unterschied zu periodischer Enthaltung ist dieser Akt, durch den die Zeugungsfolgen eines ansonsten unmodifizierten Sexualverhaltens verhindert werden, selbst kein sexueller Akt. Er ist ausschließlich eine "Methode", deren Anwendung sich lediglich auf sexuelle Akte bezieht, indem sie deren prokreativen Folgen verhütet. (Fs) (notabene)

89b Das zeigt nun ganz deutlich, daß der kontrazeptive Akt nicht aufgrund seines "unnatürlichen" Charakters problematisch ist (im Sinne z.B. der Verhinderung des natürlichen Ovulations- oder Befruchtungsprozesses durch "künstliche" Eingriffe, was ja auf den Fall des coitus interruptus nicht zutrifft). Vielmehr ist hier - zum Unterschied von anderen Arten künstlicher Eingriffe - das Unnatürliche oder Künstliche (sofern wirklich vorhanden) überhaupt deshalb erst problematisch, weil die Verhaltensweise, die damit verbunden ist, sittlich verkehrt ist. Diese Verkehrtheit der Kontrazeption besteht genau darin, daß sie ein bestimmtes, von prokreativer Verantwortung informiertes Sexualverhalten einfach unnötig und überflüssig macht. Zudem involviert sie eine Entscheidung gegen tugendgemäße "Selbststeuerung" des Triebes durch Enthaltung. (Fs)

90a Der kontrazeptive Akt prokreativer Verantwortung ist nichts als ein Akt des Willens, der Sexualität und den Leib als reines Objekt behandelt, in bezug auf das eine Maßnahme ergriffen wird (ähnlich wie man eine kranke Leber, ein krankes Herz oder einen kranken Verdauungsapparat "behandelt"). Folglich wird hier das Sexualverhalten aus seiner Durchformung durch Verantwortlichkeit hinsichtlich seiner Eigenschaft, Ursache neuen Lebens zu sein, herausgelöst. Es wird seiner Aufgabe entzogen, selbst Subjekt und Prinzip solcher Akte der Verantwortung und einer prokreativ verantwortlichen ehelichen Liebe zu sein. Die prokreative Verantwortlichkeit vollzogener sexueller Akte selbst wird eliminiert und negiert. Sexuelle Akte werden ja einfach generell daran gehindert, überhaupt Ursache neuen menschlichen Lebens sein zu können; die sexuelle Akte vollziehende Person handelt deshalb auch nicht mehr als eine solche Ursache. Es ist nicht einmal mehr nötig - vor allem im Falle der Sterilisierung - überhaupt weiterhin an prokreative Verantwortung zu denken. Die prokreative Dimension ehelicher Liebe wird gerade auf der Ebene ihres leiblichen Ausdrucks vollständig zum Verschwinden gebracht. Zurück bleibt - abgesehen von der in unserem Fall ja an sich richtigen Absicht, aus Gründen der Verantwortung eine Empfängnis zu vermeiden - der Anspruch, in solchen Akten kontrazeptiven Sexualverkehrs eheliche Liebe zum Ausdruck zu bringen; aber diese Liebe bzw. die leiblichen Ausdrucksakte dieser Liebe haben nun durch das Ausschließen der prokreativen Dimension ihren Sinngehalt völlig verändert. Sie können gar nicht Ausdruck ehelicher Liebe sein, denn eheliche Liebe ist ja eine Liebe zwischen zwei Personen, die sich zum Dienst an der Weitergabe menschlichen Lebens in einer Lebensgemeinschaft verbunden haben1. Somit wurde die Verknüpfung der beiden Sinngehalte des ehelichen Aktes objektiv zerrissen, und zwar genau auf der Ebene intentionaler Handlungen, auf der Ebene des konkreten Sexualverhaltens, das aus freiem Willen gewählt wurde, das heißt auf der Ebene einzelner Akte des kontrazeptiven Sexualverkehrs. (Fs)

91a Zusammenfassend: Kontrazeptives Sexualverhalten macht sexuelle Akte grundsätzlich zu Akten ohne prokreative Folgen. Akte, deren vorausgesehene prokreative Folgen intentional - absichtlich - verhindert wurden, können nicht mehr als Akte des Typs "generative Akte" und damit auch nicht als prokreativ verantwortliche Akte vollzogen werden1. Zumindest aus Gründen prokreativer Verantwortung bedürfen solche Akte keiner Beherrschung durch Vernunft und Willen mehr. Somit verlieren sexuelle Akte objektiv ihren Charakter als menschliche Handlungen des Typs "prokreativ verantwortliche Sexualakte", während Akte periodischer Enthaltung und des in diesem Kontext stehenden Sexualverkehrs voll und ganz diesen Charakter bewahren2. (Fs)

91b Deshalb können wir außerdem sagen: Insofern - und nur insofern - die kontrazeptive Wahl die intentionale Zurückweisung prokreativer Verantwortung für das eigene Sexualverhalten impliziert, impliziert sie auch einen anti-prokreativen, gegen Fortpflanzung gerichteten Willen. Aber es ist nun spezifisch dem Menschen eigen, seinen Sexualtrieb und die daraus entspringenden Akte in die Strukturen der Verantwortlichkeit und damit in das Leben des Geistes zu integrieren. Empfängnisverhütung zerstört deshalb den eigentümlichen Weg, auf dem menschliche Sexualität dazu berufen ist, Bestandteil verantwortlichen menschlichen Verhaltens zu sein. Anstatt der Anforderung zu entsprechen, jene Akte, die wesentlich Ursachen der Weitergabe menschlichen Lebens sind, verantwortlich zu vollziehen, treffen empfängnisverhütende Eheleute eine Maßnahme, durch die ihre sexuellen Akte und damit sie selbst die Eigenschaft verlieren, eine solche Ursache zu sein, bezüglich deren Folgen ein verantwortliches Verhalten erforderlich ist. Dies ist ein grundsätzlicher Angriff sowohl auf die Integrität der menschlichen Person als leib-geistige Einheit, wie auch auf eheliche Liebe als Ausdruck dieser Einheit. (Fs)

92a Um es deshalb nochmals zu sagen: Kontrazeptiver Sexualverkehr ist kein Ausdruck ehelicher Liebe. In sich selbst betrachtet, d.h. in seiner intentionalen Objektstruktur und als ein bestimmter Typ menschlicher Handlung unterscheidet er sich (abgesehen von eher aesthetischen Gesichtspunkten) in nichts von anderen, nun gerade auch für nicht-eheliches Sexualverhalten charakteristische Formen sexueller Aktivität, wie etwa "Petting" (gegenseitige sexuelle Reizung bis zum Orgasmus) oder Sodomie (Anal- und Oralsex). Denn es "kann ja nicht das bloße Muster des leiblichen Verhaltens sein, durch welches die Stimulierung erhalten wird, das hier den entscheidenden Unterschied auszumachen vermöchte!"1 In der Tat hat bei kontrazeptivem Sexualverkehr nur noch das physiologische, rein äußerliche Verhaltensmuster etwas mit einem prokreativen Akt-Typ gemeinsam; in Wirklichkeit jedoch ist er funktional äquivalent zu und ersetzbar durch irgendwelche andere physiologischen Muster sexueller Stimulierung. Wohlverstanden schließt diese Feststellung als solche noch kein Urteil über diese Art von Sexualverhalten ein. Sie dient nur dem Hinweis, daß es - was die intentionale Handlungsstruktur auf der Ebene des "Objektes" betrifft - einfach keinen ersichtlichen Grund gibt, kontrazeptiven Sexualverkehr von irgendwelchen anderen Formen gegenseitiger sexueller Stimulierung und Befriedigung zu unterscheiden, vorausgesetzt, diese verstehen sich (subjektiv) als Formen des Ausdrucks gegenseitiger Liebe. Falls man jedoch behaupten würde, alle diese Verhaltensweisen seien tatsächlich und objektiv mögliche Ausdrucksformen personaler Liebe, so dürfte es dann auch schwierig sein, noch ein entscheidendes Argument gegen Sexualverkehr zwischen Gleichgeschlechtlichen vorbringen zu können, vorausgesetzt man behaupte gleichzeitig, es bestehe zwischen ihnen eine personale Liebesbeziehung82. (Fs) (notabene)

93a Das vorliegende Argumentationsziel ist jedoch erreicht mit dem Nachweis, daß kontrazeptiver Sexualverkehr keine menschliche Handlung des Typs "Zeugungsakt" ist und er deshalb als äquivalent zu irgendwelchen Formen gegenseitiger sexueller Stimulierung betrachtet werden kann. Denn niemand - vorausgesetzt er besitzt die elementarsten Kenntnisse über menschliche Fortpflanzung - wird ja wohl behaupten wollen, Petting, Anal- oder Oralsex könne Ausdruck der Verknüpfung von unitivem und prokreativem Sinngehalt ehelicher Sexualität sein. Wer dennoch einen entscheidenden Unterschied zwischen diesen Formen sexueller Betätigung und kontrazeptivem (vaginalen) Sexualverkehr festhalten möchte, der muß sich bewußt sein, was er damit sagt: Er behauptete dann nämlich, die rein physiologische Struktur des Aktvollzuges mache den entscheidenden Unterschied aus. Dies wäre nun aber ein vollkommen naturalistisches Argument, es sei denn, man wolle damit auf Unterschiede hinweisen, die man geläufigerweise eher in Erotik-Handbüchern zur Sprache bringt. (Fs)

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