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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Idetität: Sein Wissen; Selbstbewußtsein; Bei-sich-Sein des Geistes; Bewusstsein - Gelichtetheit; conscientia reflexa - directa; 'Licht' aller Gelichtetheit; Wissen und Wollen

Kurzinhalt: Nun ist uns aber im unmittelbaren Selbstbewußtsein ... das eigene An-sich-Sein in dessen Selbstvollzug unmittelbar in fragloser Gewißheit gegeben. Wollte ich es in Frage stellen ...

Textausschnitt: 22/2 Nun ist uns aber im unmittelbaren Selbstbewußtsein - wenn auch nur im Aktvollzug des 'Ich frage', 'Ich weiß', 'Ich will' usw. - das eigene An-sich-Sein in dessen Selbstvollzug unmittelbar in fragloser Gewißheit gegeben. Wollte ich es in Frage stellen, so finde ich mich von neuem als derjenige vor, der fragt und der, indem er fragt, weiß, daß er fragt und daß er sich selbst wissend als den Fragenden setzt. Ich kann der Selbstgewißheit meines Fragens nicht entweichen, sondern setze immer neu die fraglose Gewißheit meines fragenden Vollzugs. Hierin ereignet sich das ursprünglich unmittelbare Bei-sich-Sein des Geistes; in ihm liegt eine unmittelbare Erfahrung und Gewißheit unbedingten, unaufhebbar gültigen An-sich-Seins. Hiermit ist aber der Horizont objektiv und absolut gültigen An-sich-Seins überhaupt garantiert, innerhalb dessen der Vollzug solchen Wissens allein möglich ist. (138; Fs)

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2. Wenn wir somit den Ansatz im Bewußtsein von Augustinus1 und Descartes2 sowie der neueren Erkenntniskritik, besonders bei J. de Vries3, aufnehmen, so geschieht dies nicht primär in erkenntniskritischer, sondern in transzendentalphilosophischer Blickrichtung. Das erkenntniskritische Anliegen ist einerseits durch den Aufweis des Gesamthorizonts schon überholt, es wäre anderseits durch den Hinweis auf ein Einzelphänomen nicht hinreichend gelöst. Wohl aber muß die transzendentale Rückführung den Gesamthorizont unseres Fragens und Wissens selbst noch nach der Bedingung seiner Möglichkeit befragen und findet die Antwort in der wissenden Selbstidentität des Vollzugs. (138f; Fs)

24/2 Diese Einsicht bildet den Schlüssel zu einer Metaphysik der Erkenntnis überhaupt oder - noch weiter - zu einer Metaphysik des menschlichen Geistes. Denn nur von hier aus läßt sich die Bewußtheit oder 'Gelichtetheit' erklären, die dem Bewußtsein im ganzen Bereich seiner bewußten Akte und ihrer gegenständlichen Inhalte zukommt. Die Bewußtheit kann weder in der Sonderart bestimmter Akte noch in der Sonderart ihrer Inhalte begründet sein, sondern nur in etwas, das ihnen zukommt, sofern sie von einem Subjekt vollzogen werden. (139; Fs) (notabene)

25/2 Zwar steht der bewußte Vollzug nicht im Vordergrund des Bewußtseins; die thematische Intention ist zumeist auf den gegenständlichen Inhalt gerichtet. Aber ich kann durch Selbstreflexion ein 'reflexes Bewußtsein' (conscientia reflexa) vollziehen, das in thematischer Ausdrücklichkeit dem Bewußtseinsakt selbst zugewendet ist. Doch wird der Akt nicht erst dadurch bewußt, daß ich darauf reflektiere; er war es schon vorher, sonst wäre er - vor der Reflexion - kein Akt, in dem mir ein Inhalt bewußt wird, und eine nachträgliche Reflexion auf den Akt wäre nicht möglich. (139; Fs) (notabene)

26/2 Überdies ist die Reflexion ein neuer Akt, dessen thematische Intention nicht auf ihn selbst, sondern auf Anderes, den vorausgehenden Akt, gerichtet ist. Würde jedoch der Akt erst durch die Reflexion bewußt, wodurch wird der Akt der Reflexion bewußt? Etwa durch einen neuen Akt der Reflexion, der, um bewußt zu werden, wieder einen neuen Akt der Reflexion verlangt? Damit wäre ein 'regressus in infinitum' gesetzt und nichts erklärt. (139; Fs) (notabene)

27/2 Vielmehr fordert die Tatsache bewußter Akte ein jeder Reflexion vorausliegendes 'direktes Bewußtsein' (conscientia directa), das zwar seiner thematischen Intention gemäß Gegenstandsbewußtsein ist, in dem aber immer und notwendig - als Bedingung der Möglichkeit der Bewußtheit als solcher - Selbstbewußtsein mitgesetzt und mitvollzogen wird. (139; Fs)

28/2 Nur dadurch, daß, wenn auch unthematisch, im Grunde des Bewußtseins, gleichsam, an einem Punkt, Sein und Wissen in unmittelbarer Identität zusammenfallen, das Sein wissend bei sich ist, sich selbst durchdringt und besitzt, ist überhaupt Bewußtheit möglich. Es ist ein Punkt, an dem das Sein unmittelbar - in Identität - sich selbst 'gelichtet' ist, somit den Horizont der 'Gelichtetheit' überhaupt entwirft und die Möglichkeit bietet, daß auch Anderes, nämlich ein gegenständlicher Inhalt, in das Licht des Bewußtseins tritt. (139; Fs) (notabene)

29/2 Das 'Licht' aller Gelichtetheit, d. h. der Grund der Bewußtheit als solcher, liegt allein in dem unmittelbar wissenden Bei-sich-Sein des Geistes, das jedem Bewußtseinsakt zugrundeliegt und in jedem Bewußtseinsakt, wenn auch unthematisch, mitvollzogen wird. Insofern ich darin aber die unmittelbare Seinserfahrung und Seinsgewißheit meines Selbstvollzugs besitze, vollziehe ich mich schon im Horizont des Letzten und Unbedingten: im Horizont des Seins. (139f; Fs)

30/2 Dennoch ist, wie sich noch zeigen wird, dieses ursprüngliche Bei-sich-Sein noch kein Akt des Wissens, so wenig wie ein Akt des Wollens. Es ist überhaupt kein eigener Akt, sondern wird in jedem Bewußtseinsakt vollzogen und ist in jedem enthalten, seine Bewußtheit bedingend. Es ist virtuell beides: Wissen und Wollen, nämlich Sich-Wissen und Sich-Wollen in einem, in ursprünglicher, noch unentzweiter Einheit, muß sich aber in ausdrücklichen Akten des Wissens und Wollens aktuieren und differenzieren1. (140; Fs) (notabene)

31/2 In dieser Identität von Sein und Wissen liegt die spezifische Auszeichnung des Geistes. Der Begriff des Geistes wird später noch zu ergänzen und zu vertiefen sein2. Vorläufig können wir schon sagen: Geist nennen wir ein Seiendes, das Bei-sich-Sein zu vollziehen vermag, ein Seiendes, in dem sich das Bei-sich-Sein des Seins ereignet, in dem also das Sein zu sich selbst kommt und wissend von sich selbst Besitz ergreift: in der Identität von Sein und Wissen. (140; Fs)

32/2 Es wird sich noch zeigen, daß - und in welchem Sinn - Sein wesentlich und ursprünglich Bei-sich-Sein, also sich wissender Geist ist. Weiter wird sich zeigen, warum im endlichen Geist das Bei-sich-Sein im jeweiligen Aktvollzug verwirklicht wird und warum der Aktvollzug immer und notwendig auf gegenständliche Inhalte angewiesen ist. Hier aber genügt es festzuhalten, daß alles Wissen - als ein Wissen um Sein im Horizont des Seins überhaupt - im wissenden Bei-sich-Sein gründet: im Vollzug der Identität von Sein und Wissen. (140; Fs)

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