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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Identität: Sein und Wissen; Gegensatz: Vollzug des Fragens - Sein als das Fragbare; Vollzugswissen; Wissen: Selbstgelichtetheit des Seins

Kurzinhalt: Das Sein geht also, sofern es fragbar ist, selbst als Gewußtes in den Vollzug des Fragens ein ... Ein solches fordert aber einen Ursprung des Entwurfes. Dieser Ursprung muß selbst ein Wissen sein, und zwar ein Wissen um Sein ...

Textausschnitt: 1. "Wenn ich frage nach dem, was 'ist', so befrage ich Seiendes nach seinem Sein im Horizont des Seins überhaupt. So aber setzt sich der Fragende im Vollzug seines Fragens wissend dem Sein im ganzen als dem Fragbaren gegenüber; er setzt den Gegensatz zwischen dem Vollzug des Fragens und dem Sein als dem Fragbaren. (134; Fs) (notabene)

4/2 Daraus scheint zu folgen: Das Sein als das Fragbare ist das dem Vollzug des Fragens Entgegengesetzte, das ihm Entgegenstehende oder das Gegenständliche; Sein ist Gegenständlichkeit und als solche das Andere gegenüber dem Vollzug des Fragens. (134; Fs)

5/2 Zwar kann ich auch den Vollzug selbst noch befragen oder in Frage stellen: in der Frage nach der Frage, ihrer Möglichkeit und den Bedingungen ihrer Möglichkeit; der Vollzug des Fragens ist selbst fragbar, weil und insofern er 'ist'. Aber er ist nur fragbar, indem er im Vollzug eines neuen Fragens diesem als Fragbares entgegengesetzt, d. h. durch Reflexion vergegenständlicht wird. Dann aber ist er nicht mehr unmittelbar reiner Vollzug - wir können sagen: Vollzug als Vollzug -, sondern vergegenständlichter, durch Reflexion vermittelter Vollzug - also: Vollzug als Gegenstand. Der neue Vollzug des Fragens bleibt jedoch außerhalb des Fragbaren. Er liegt als reiner Vollzug diesem voraus. Und der Gegensatz bleibt: Der Vollzug des Fragens setzt sich das Sein als Fragbares, somit als gegenständliches Sein, gegenüber. (134; Fs) (notabene)

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2. Dennoch besteht kein reines Gegenüber; wie könnte dieses auch ein Wissen vermitteln? Vielmehr ist - einerseits - das Sein als das Fragbare nicht nur als reines 'An-sich-Sein' vorausgesetzt und dem Vollzug des Fragens entgegengesetzt, sondern es ist in den Vollzug selbst eingegangen, durch den Vollzug im Wissen ergriffen, sonst könnte ich noch nicht danach fragen; wenn auch nicht im Wissen eingeholt und aufgehoben, sonst könnte ich nicht mehr danach fragen. (134; Fs) (notabene)

7/2 Das Sein geht also, sofern es fragbar ist, selbst als Gewußtes in den Vollzug des Fragens ein. Der Vollzug aber bleibt - anderseits - nicht als schlechthin Anderes außerhalb und jenseits des Fragbaren und als solchen Gewußten, sondern er ist ein unmittelbar sich selbst wissender Vollzug, sonst könnte ich überhaupt nicht sinnvoll fragen, erst recht nicht nach der Frage fragen; wenn er auch nicht im Wissen eingeholt und aufgehoben ist, sonst könnte ich nicht mehr nach ihm fragen. Der Vollzug geht also selbst als Gewußtes in den Vollzug des Wissens ein. (134; Fs)

8/2 Dies zeigt, daß der Gegensatz zwischen dem Sein als Fragbarem und dem Vollzug des Fragens nicht ein reiner, durch nichts vermittelter Gegensatz ist; ein solcher könnte die Möglichkeit des Fragens und Wissens niemals begründen, sondern würde sie aufheben. Auch ist ein reiner Gegensatz niemals möglich, weil jeder Gegensatz durch Einheit, jede Verschiedenheit durch Gemeinsamkeit vermittelt ist. (134; Fs)

9/2 Die Gemeinsamkeit beider - des fragbaren Seins und des fragenden Vollzugs - liegt aber darin, daß sie im Vollzug des Fragens gewußt sind. Die vermittelnde Einheit ist das Vollzugswissen, d. h. das im Vollzug und durch den Vollzug mitgesetzte Wissen. Denn es ist ein Wissen um den Vollzug des Fragens selbst und um das Sein des Fragbaren in einem, Wissen um den Vollzug des Wissens und um das durch ihn vermittelte, in ihm gewußte Sein in einem. (135; Fs) (notabene)

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3. Wie ist das möglich? Wenn ich frage, so frage ich nach dem Sein von Seiendem, im reinen Vorgriff auf das Sein im ganzen. Fragen - auch nach einzelnem - ist nur möglich, wenn ich vorwissend oder vorgreifend schon weiß um Sein und um den Sinn von Sein überhaupt. Aber das Sein im ganzen, wonach ich vorgreife, ist mir nicht unmittelbar gegeben. Ich kann es nicht unmittelbar erreichen und begreifen, in besitzendes Wissen einholen; könnte ich es, so müßte ich nicht mehr fragend danach vorgreifen. (135; Fs)

11/2 Das Wissen um das Sein im ganzen ist also nicht ein erfülltes, begreifend besitzendes Wissen, sondern ein leeres, vorgreifend entwerfendes Wissen, nicht Wissen im Besitz des Gewußten, sondern Vorwissen im Entwurf des Wißbaren. Ein solches fordert aber einen Ursprung des Entwurfes. Dieser Ursprung muß selbst ein Wissen sein, und zwar ein Wissen um Sein, von dem her ich um Sein überhaupt und um den Sinn von Sein überhaupt weiß, von dem her ich also den Horizont des Seins überhaupt im Vorwissen entwerfen kann. Soll es aber der Ursprung des Entwurfes sein, so kann es selbst nicht nur ein Vorwissen im Entwurf des Wißbaren, sondern muß ein Wissen im Besitz des Gewußten sein, des Gewußten aber als eines etwas, das 'ist', das im Sein gesetzt ist und an dem der Sinn von Sein überhaupt aufleuchten kann. (135f; Fs) (notabene)

12/2 Dies aber ist das Vollzugswissen: Indem ich den Vollzug meines Fragens setze, weiß ich unmittelbar um ihn als einen wirklich gesetzten Vollzug. Ich weiß, daß ich frage; ich weiß, daß ich der Fragende bin und im Vollzug des Fragens bin; ich weiß, daß ich den Vollzug des Fragens setze. Ich weiß, daß der Vollzug meines Fragens 'ist', daß er an sich selbst als seiend gesetzt ist. Im Vollzug des Fragens und Wissens ist ein Sein gegeben, das mit dem Wissen unmittelbar zusammenfällt: im Vollzugswissen. Der Vollzug weiß sich als Sein. Das Sein weiß sich als Vollzug. Das Wissen setzt sich als Sein, und das Sein vollzieht sich als Wissen - in der unmittelbaren Einheit von Sein und Wissen im Vollzug. (136; Fs) (notabene)

13/2 Das Wissen um Sein und den Sinn von Sein kann niemals von Anderem her gewonnen oder erklärt werden, das mir als Fragbares und Wißbares gegenübersteht. Ein Fragen nach Anderem, was 'ist', und ein Wissen um Anderes, was 'ist', setzt immer schon ein Vorwissen um Sein voraus, in Heideggers Wort: ein 'vorgängiges Seinsverständnis', das in der unmittelbaren Seinserfahrung und Seinsgewißheit des eigenen Seinsvollzugs gründet. (136; Fs)

14/2 Hier aber offenbart sich der eigentliche und ursprüngliche Sinn von Sein: als An-sich-Sein, schlechthin Gesetzt-Sein, aber nicht im Sinne von Gegenständlichkeit, sondern als das Sein des eigenen, sich wissenden Vollzugs. Der Sinn von Sein als Gegenständlichkeit ist ein von daher abkünftiger, nicht unmittelbarer, sondern schon vermittelter Sinn von Sein. (136; Fs) (notabene)

15/2 Ebenso offenbart sich hier aber auch der Sinn von Wissen: Wissen ist nicht Anderes und Äußeres gegenüber dem Sein, sondern es ist der Selbstbesitz, die Selbstdurchdringung, die Selbstgelichtetheit des Seins, das Bei-sich-Sein des Seins in der ursprünglichen Identität von Sein und Wissen im Vollzug, d. h. in dem sich als Wissen setzenden Selbstvollzug des Seins oder dem sich als Sein setzenden Selbstvollzug des Wissens. (136f; Fs) (notabene)

16/2 Hieraus ergibt sich: Wenn alles Fragen ermöglicht und geleitet ist durch ein Vorwissen um Sein überhaupt, so ist dies nur möglich auf Grund der ursprünglichen Einheit von Sein und Wissen im Vollzug des Fragens selbst. Aus der unmittelbaren Seinserfahrung und Seinsgewißheit des Vollzugs weiß ich um das Sein des Vollzugs und ich weiß daraus um Sein oder den Sinn von Sein überhaupt. Es ist der Ursprung des Entwurfes eines Horizonts des Seins überhaupt, innerhalb dessen ein Fragen nach Anderem als Seiendem oder ein Wissen um Anderes als Seiendes allererst möglich ist. (137; Fs)

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